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Facebook schützt seine Daten, aber wer schützt die Bürger?


Facebook-Skandal
Schützt die Bürger, nicht die Daten!

MeinungVon Laura Stresing

Aktualisiert am 09.04.2018Lesedauer: 7 Min.
Meinung
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Zwei Teenager sitzen am Strand und posten auf FacebookVergrößern des Bildes
Facebook-Nutzerinnen: Solange die Vorteile überwiegen, lässt niemand die Finger von der Plattform. (Quelle: Peter Seyfferth/imago-images-bilder)

Seit dem Facebook-Skandal reden alle über Datenschutz. Aber wer schützt eigentlich die Bürger? Das Geschäft mit den Daten fügt Menschen Schaden zu, doch der scheinbare Nutzen überwiegt. Noch.

Wochen nach den ersten schockierenden Berichten über den massenhaften Missbrauch von Nutzerdaten tritt Facebook an die Öffentlichkeit und sagt: Es ist alles viel, viel schlimmer als ihr alle gedacht habt. Aber keine Sorge: Wir kümmern uns darum. Und in ein paar Jahren sind wir mit dem Thema durch. – Das Unternehmen macht es sich mal wieder einfach mit der Krisenkommunikation.

Auf der anderen Seite hat wohl auch niemand erwartet, dass Facebook jetzt die geschäfte einstellt, bis alles geklärt ist. Ganz im Gegenteil: Die Unternehmen, die jetzt auf Distanz gehen, lassen sich an einer Hand abzählen. Und als Facebook am Donnerstag ohne Ankündigung sämtliche Verbindungen zur Dating-App Tinder kappte, waren deren Nutzer ziemlich verärgert. Offenbar hat die Maßnahme, die den Freunden der App-Nutzer künftig ihre Privatsphäre zugesteht, die ganze Anwendung vorübergehend außer Betrieb gesetzt – und ein paar Flirts vermasselt.

Die Erosion der Privatsphäre ist unvermeidbar

"Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral", schrieb Bertolt Brecht in der "Dreigroschenoper". Das lässt sich in gewissem Sinne auch auf den digitalen Raum übertragen: Die eigene Privatsphäre und die der Mitmenschen wird bereitwillig geopfert, solange sich der Einzelne davon Vorteile verspricht. Je mehr dabei mitmachen, desto schwerer wird es, sich dieser Dynamik zu entziehen. Egal ob Facebook, WhatsApp, der neue Sondertarif der Krankenversicherung oder Gesichtserkennung im öffentlichen Raum: Die letzten, die sich in Datensparsamkeit üben wollen, sind gekniffen. Für sie hat es irgendwann nur noch Nachteile, einen Bogen um bestimmte digitale Technologien zu machen.

Die Ökonomin Nicola Jentzsch von der "Stiftung Neue Verantwortung" hat sich mit diesen Effekten beschäftigt und kommt zu dem Schluss: Die Datenökonomie führt zu einer Erosion der Privatsphäre. Dieser Prozess könne zwar durch rechtliche und technische Mittel aufgehalten werden. Die Bundesregierung strebt aber gerade in die Gegenrichtung: Sie will mit ihrer Idee vom „Dateneigentum“ sogar eine Gesellschaft vorantreiben, in der Nutzer ganz selbstverständlich mit ihren Daten für Dienste „bezahlen“.

Es klingt nach einem logischen Schritt, denn es ist ja schon gefühlte digitale Realität: Menschen nutzen kostenlose Dienste und nehmen dafür Werbung und Tracking-Software hin. Bisher haben ja auch beide Seiten von diesem Tausch profitiert – sonst würde es Facebook, Google und all die anderen Dienste längst nicht mehr geben. Keine Spam-Nachrichten und keine Online-Hetze, kein Cybermobbing und keine falschen Freundesanfragen konnten die Nutzer bisher von der Plattform verjagen.

Auch der aktuelle Skandal rührt die wenigsten, trotz wachsender Ausmaße. Statt 50 Millionen sind jetzt geschätzt bis zu 87 Millionen Menschen betroffen. Ganz nebenbei informiert Facebook die Öffentlichkeit auch noch über eine weitere Schwachstelle: Über die Suche und „Konto wiederherstellen“-Funktion sollen nahezu alle zwei Milliarden Facebook-Nutzer systematisch ausgespäht worden sein.

Cambridge Analytica war nur die Spitze des Eisbergs

Damit bestätigt Facebook, was viele schon befürchtet haben: Mit Cambridge Analytica wurde zwar die erste Firma auf frischer Tat ertappt, wie sie illegal gehandelte Facebook-Daten verwendete. Doch das war nur die Spitze des Eisbergs. Tatsächlich galt es vor 2015 als offenes Geheimnis, dass man als App-Entwickler über Facebooks Programmierschnittstelle massenhaft Nutzerdaten abgreifen konnte. Jedes Spiel, jedes noch so dämliche Persönlichkeitsquiz konnte potenziell die Profildaten seiner Nutzer und deren Freunde auslesen. So kam auch der Forscher Aleksandr Kogan an seinen Datenschatz, der Cambridge Analytica 800.000 US-Dollar wert gewesen sein soll.

Facebook hat diese "Lücken" geschlossen. Doch was nützt das schon? Die Zahnpasta ist aus der Tube. Die Daten sind in der Welt und können unmöglich zurückgeholt werden. Und machen wir uns nichts vor: Nahezu jeder Facebook-Nutzer ist von einem ähnlichen, aber noch nicht bekannt gewordenen Fall vom Format der Cambridge Analytica-Story betroffen. Das Problem geht übrigens nicht nur Facebook-Mitglieder an. Hinzu kommen Datenpannen bei unzähligen anderen Online-Diensten, Apps, Auskunfteien, Versicherungen – wollte man sie alle nennen, es wäre eine lange Liste.

Datenschutzverstöße bleiben meist im Dunkeln

Dennoch bleibt die Bedrohung für die meisten Menschen seltsam abstrakt. Denn dass jemand die Folgen höchstpersönlich zu spüren bekommt, ist zum Glück noch die Ausnahme und nicht die Regel. Mit Datenmissbrauch und Privatsphäre-Verletzungen verhält es sich meist wie mit einem Mord ohne Leiche. Und dort, wo Probleme überhand nehmen, entwickelt die Gesellschaft Schutzmechanismen. So hat man sich mit alltäglicher Internetkriminalität wie Identitätsdiebstahl einigermaßen arrangiert. Die Polizei ermittelt, die Versicherung zahlt, das Opfer kommt mit dem Schrecken davon. Nur ganz selten spielen sich Tragödien ab, wie nach dem Hack auf die Fremdgehplattform „Ashley Madison“. Nachdem deren Mitglieder öffentlich im Internet bloßgestellt worden waren, zerbrachen Ehen und Familien; es gab sogar eine Suizidserie.

Internetnutzer verhalten sich im Grunde wie Autofahrer. Jeder kennt die Gefahren; Autofahren ist sogar potenziell lebensgefährlich. Doch statistisch gesehen überwiegt der Nutzen. Außerdem glauben Autofahrer und Internetnutzer, dass ihnen schon nichts passiert, wenn sie nur vorsichtig sind und gewisse Grundregeln beachten. Das ist sogar öfter wahr als falsch: Wer den Sicherheitsgurt anlegt oder sein Passwort regelmäßig ändert, hat weniger zu befürchten.

"Wir waren viel zu idealistisch"

Wahr ist aber auch, dass Mensch in ihrer persönlichen Risikoeinschätzung meist daneben liegen. Man könnte auch sagen: Menschen sind unverbesserliche Optimisten. Auch im Umgang mit Daten gilt meist das Prinzip Hoffnung. So hätten sich die meisten wohl nicht im Traum vorstellen können, dass eine Firma aus England versuchen würde, aus den Facebook-Likes von Millionen Nutzern eine manipulative Methode zu entwickeln, damit später ein Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt wird.

Selbst Facebook stellt sich nach dem Datenskandal und der Affäre um die Wahlbeeinflussung aus Russland immer noch hin und behauptet, von den Missbrauchs-Möglichkeiten seines Geschäftsmodells nichts gewusst zu haben. "Wir waren viel zu idealistisch", sagte die Nummer zwei im Konzern nach Zuckerberg, Sheryl Sandberg. "Ignorant" wäre das treffendere Adjektiv, schließlich wurde die Konzernspitze mehrfach von besorgten Angestellten gewarnt.

Facebook weiß durchaus um seine Macht. Die Plattform müsste nur den Schalter umlegen, um zum größten Überwachungsapparat der Welt oder zur globalen Schufa zu mutieren. Kurz vor dem Wochenende kam heraus, dass Facebook bis vor kurzem Krankenhäuser bequatschte, um an anonymisierte Patientenakten zu kommen. Die Informationen sollten mit Facebook-Profilen abgeglichen werden, um mehr über die Patienten zu erfahren als die Ärzte bisher wissen konnten. Das Projekt wurde noch in der Planungsphase eingestellt, weil man gemerkt hat, dass es zum jetzigen Zeitpunkt keine gute Idee wäre.

Wann kippt die Stimmung?

Es ist schon erstaunlich, dass sich die aktuelle Debatte angesichts solcher Tendenzen hauptsächlich um die Frage dreht, wie Unternehmen ihre Datensammlungen noch strenger abschotten können. Als ginge es beim Datenschutz tatsächlich nur darum, Namen und Adressen, Likes, Browser-Verläufe und Passwörter zu schützen und nicht die Bürger.

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Aus der Politik ist hier offenbar nicht viel zu erwarten. Aus dem zuständigen Innenministerium hört man keinen Piep. Justizministerin Katarina Barley hätte gerne Einblick in die Algorithmen des Konzerns und sagt selbst, es sie nicht erwartet, den zu bekommen. Die Grünen wollen Facebook kartellrechtlich entflechten. Die Forderung ist ebenso vernünftig wie chancenlos. Denn das "System Facebook" hat sich bewährt. Wo Daten gesammelt wurden, hatte das für die meisten Anwender mehr Vor- als Nachteile.

Die Frage ist, wann das kippt – und für wen.

Das „Data Justice Lab“ hat sich die Mühe gemacht, Beispiele aus der Vergangenheit zusammenzutragen. Der „Data Harm Report“, also der Datenschadensbericht, listet Fälle auf, in denen sich fehlerhafte oder bewusst diskriminierende Analysesoftware negativ auf die Leben von Einzelpersonen oder ganzen Gruppen ausgewirkt hat. Im Kreditwesen und Einzelhandel, in Justiz, Arbeitswelt, Gesundheitssystem und Bildung – überall haben Menschen schon Nachteile erfahren oder Schaden erlitten aufgrund von Big Data-Entscheidungen in Geschäftswelt und Verwaltung.

Es trifft vor allem die Schwächsten der Gesellschaft

So stieg zum Beispiel die Zahl der arbeitsbedingten Verletzungen unter UPS-Zustellern, nachdem die Mitarbeiter mit Tracking-Geräten ausgestattet worden waren und der Zeit- und Leistungsdruck auf die Belegschaft daraufhin enorm zunahm. Das deutsche Logistik-Unternehmen PLT lässt sich davon nicht abschrecken und führt das gleiche Konzept wie UPS ein.

Beim Lesen des Berichts fällt auf: Es trifft vor allem diejenigen, die sowieso benachteiligt sind. Minderheiten, einkommensschwache und sozial ausgegrenzte Gruppen können sich am wenigsten dagegen wehren, wenn Erkenntnisse aus Datenanalysen missbraucht werden, um auszusortieren, auszubeuten und zu diskriminieren. Wer keine interessante Zielgruppe für Werbung bildet, keine Lobby und wenig politischen Einfluss hat, fällt durchs Raster. In den internen Datenbanken des Adresshändlers Axciom gibt es eine Kundenkartei mit dem Titel „Abfall“ („waste“): Menschen, die auf dem Datenmarkt keinen Wert haben.

Datenschutz als soziale Aufgabe

Vielleicht wäre es an der Zeit, die Datenökonomie und ihre Folgen auch als eine sozialpolitische Herausforderung zu diskutieren, als eine Frage der Gerechtigkeit und Solidarität. Würden manche Debatten über datengetriebene Geschäftsmodelle anders geführt werden, würden Datenschutzgesetze vielleicht sogar anders aussehen, wenn jeder gleichermaßen befürchten müsste, zu den Verlierern solcher Systeme zu zählen? Ich glaube, ja.

Dabei sollte sich gerade im Hinblick auf datengetriebene Geschäftsmodelle jeder bewusst machen, dass sich das Blatt jederzeit wenden kann. Durch Fehler in der Datenbank oder Fehleinschätzungen durch Menschen und Maschinen kann jeder zu Unrecht eine negative Bewertung erhalten. Auch hier gibt es viele Beispiele, etwa von Unbeteiligten, die durch Verwechslungen in Verbrecherdatenbanken oder auf Terrorlisten landeten. Hinzu kommt, dass man vielfach noch nicht absehen kann, welche Bedeutung bestimmten Informationen in der Zukunft bekommen werden. Das ist der Denkfehler der Menschen, die glauben, sie hätten nichts zu verbergen.

Wer sind die wahren Gewinner?

Noch aber glaubt eine einflussreiche Mehrheit, dass sie mehr zu gewinnen als zu verlieren hätte, wenn sie die kommerzielle Verwertung von Daten voran treibt. Das ist auch der starken Marketingleistung und Lobbyarbeit der Unternehmen geschuldet. Und tatsächlich haben Bessergestellte und Gebildete noch wenig zu befürchten, wenn ihr sozio-ökonomischer Status bewertet wird. Wer gesund ist und vorsichtig fährt, kann sich auch von Versicherungen mit Trackern ausstatten und für sein umsichtiges Verhalten belohnen lassen.

Gleichzeitig blicken wir voller Befremden auf das Social Scoring-System in China. Was wir dabei vielleicht vergessen: Selbst der totale Überwachungsstaat kann von einer Mehrheit als vorteilhaft empfunden werden. Vielleicht ist es zu viel verlangt und reines demokratisches Wunschdenken, dass solche Systeme von ihren Profiteuren in Frage gestellt werden.

Vor allem aber den Erfindern nehme ich es nicht ab, dass negative "Nebeneffekte" nicht vorhersehbar oder gar beabsichtigt waren. So geht selbst einem Mark Zuckerberg auf, dass ihm das Abspeichern jeglicher Kommunikation irgendwann einmal auf die Füße fallen könnte. Der Facebook-Gründer nimmt deshalb für sich ein besonders exklusives Privileg heraus und lässt seine über Facebook verschickten Privatnachrichten nachträglich löschen. So mächtig ist sonst keiner.

Verwendete Quellen
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