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Therapien: Schreiambulanzen helfen überforderten und entnervten Eltern


Ist mein Kind ein Schreibaby?
Warm, satt, trocken - und trotzdem Gebrüll

dpa-tmn, t-online, rw

Aktualisiert am 05.09.2011Lesedauer: 4 Min.
Schreibabys: Sechs Wochen altes, schreiendes Baby.Vergrößern des BildesWenn das Schreien nicht aufhört, sind Eltern schnell an ihrer Belastungsgrenze. (Quelle: imago-images-bilder)
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Den Eltern ist es ein Rätsel. Ihr kleines Baby liegt in seinem warmen Bettchen, hat eine saubere Windel und ist satt - trotzdem schreit es. Es schreit und scheint gar nicht mehr damit aufzuhören. Hält ein solcher Zustand längere Zeit an, kann er sich zur kaum zu ertragenden Nervenprobe entwickeln, vor der die Eltern hilflos und frustriert kapitulieren müssen. Sie sind massiv überfordert und reagieren in seltenen Fällen sogar mit Aggressionen gegen ihr Kind. Einen Ausweg aus dem häuslichen Schrei-Terror versprechen sogenannte Schreiambulanzen.

Vor allem beim ersten Kind sind Eltern noch oft unsicher. Zu den Fragen, die sie sich stellen, gehört unter anderem auch: "Ist es normal, dass unser Baby so viel schreit?" Eine Frage, die Sabine Ulrich aus ihrer täglichen Praxis kennt. "Viele Eltern sind unsicher, ob ihr Kind ein Schreibaby ist", so die psychotherapeutische Heilpraktikerin. Um das einzuordnen könne man sich einer Faustregel, der sogenannten Dreier-Regel, bedienen. Danach sind Schreibabys in der Regel jünger als drei Monate. Sie schreien an mindestens drei Tagen pro Woche mehr als drei Stunden lang - und das über einen Zeitraum von über drei Wochen.

Aber auch Babys, die weniger oder unregelmäßiger schreien, damit also nicht der fachmännischen Definition eines Schreibabys entsprechen, versetzen ihre Eltern häufig in Sorge und belasten das Familienleben. "Der Schweregrad ist nicht entscheidend, sondern das gefühlte Problem", erklärt Ulrich, die in Hamburg seit acht Jahren betroffene Eltern berät. Das sieht Margret Ziegler ganz ähnlich. Die Kinderärztin arbeitet bei der Münchener Sprechstunde für Schreibabys und auch sie stellt das subjektive Problemempfinden der Erziehungsberechtigten in den Mittelpunkt: "Sobald Eltern sich überfordert fühlen, helfen wir."

Rechtzeitig Hilfe suchen

Damit eine gezielte Hilfe stattfinden kann, müssen sich die betroffenen Eltern aber erst einmal melden. Die meisten Eltern seien bereits am Ende ihrer Kräfte, wenn sie in eine Schreiambulanz gehen, berichtet Ulrich von ihren Erfahrungen. "Alle hoffen, das Problem irgendwie noch selbst in den Griff zu bekommen", so die Therapeutin. Dadurch verfestigt sich der anhaltende Dauerstress oft nur noch weiter. Die entnervten Eltern schaukeln die belastende Situation noch weiter hoch. Das Baby wird stundenlang geschleppt, gewippt und besungen - erfolglos. Denn gerade Babys haben sehr feine Antennen, wenn es um die innere Anspannung ihrer Eltern geht. Der eigene Stress überträgt sich auf das Kind und es beruhigt sich nicht, so dass das Gefühl von Stress und Überlastung immer weiter ansteigt. "In seltenen Fällen wird das Baby aus Wut oder Verzweiflung sogar geschüttelt", weiß Ziegler. "Das dürfen Eltern natürlich auf gar keinen Fall tun, denn es kann schwere gesundheitliche Schäden hervorrufen." Im schlimmsten Fall kann ein kleines Baby an den Folgen des Schüttelns sogar sterben.

Schreibabys leiden an Überreizung

"Fast jedes fünfte Kind schreit in den ersten drei Lebensmonaten überdurchschnittlich viel", sagt die Leiterin der Berliner "SchreiBabyAmbulanzen" Paula Diederichs. Ursache sind nicht die berüchtigten Drei-Monats-Koliken, sondern eine Regulationsstörung beim Baby selbst. "In den ersten Lebenswochen prasseln alle möglichen Sinneseindrücke ungefiltert auf das Baby ein, es kann zu einer Überreizung kommen", erklärt Kinderärztin Ziegler die Ursachen des für Eltern so entnervenden Gebrülls.

Äußerer Stress überträgt sich aufs Baby

Doch warum schreien einige Babys so viel mehr als andere? "Manche Frauen haben schon während der Schwangerschaft viel Stress. Die Stresshormone werden auf das Kind übertragen", sagt Körperpsychotherapeutin Diederichs. Auch eine schwere Geburt oder belastende Lebensumstände wie ein Umzug oder eine Trennung können sich auf das Kind auswirken. "Manchmal setzen Mütter sich auch zu sehr unter Druck, weil sie alles perfekt machen wollen", nennt Diederichs ein weiteres Problem. Es sind also oft Stressfaktoren, die von Außen auf das Baby einwirken und es selbst unruhig werden lassen.

Entspannung für Eltern und Kind

Umso wichtiger ist es, dass Eltern sich rechtzeitig Hilfe von Außen suchen, damit die Situation zu Hause nicht irgendwann eskaliert. Der erste Schritt in den Schreiambulanzen ist eine kinderärztliche Untersuchung. "Manchmal hat das Schreien gesundheitliche Gründe, etwa eine Milchunverträglichkeit", so Heilpraktikerin Ulrich. Wenn solche physischen Ursachen ausgeschlossen werden können, folgt ein Gespräch mit den Eltern. "Wir wollen möglichst viel über das Leben mit dem Baby erfahren", erklärt Ziegler. Wann schreit es? Wie lange? Wie geht es den Eltern? Was tun sie, um das Baby zu beruhigen?

In München machen die Experten Videoaufnahmen von Eltern und Baby, in Berlin gibt es die Möglichkeit von Hausbesuchen. Überall ist es das Ziel, genau abgestimmt auf den jeweiligen Fall, eine individuelle Lösungsstrategie zu entwickeln. "Als erstes unterstützen wir die Eltern dabei, sich wieder entspannen zu können", sagt Ziegler. "Wir suchen nach Entlastungsmöglichkeiten für den Alltag, zum Beispiel Auszeiten und Unterstützung für die Mütter", ergänzt Diederichs. Hinzu kämen Entspannungstechniken für die Babys. "Mit Massagen, speziellen Griffen und Brummtönen versuchen wir, das Erregungsniveau der schreienden Kinder zu senken", so die Berliner Expertin. Schritt für Schritt sollen Eltern und Baby so wieder in einen ruhigeren Alltag zurückfinden.

Signale des Kindes richtig deuten

Die Hamburger Heilpraktikerin Ulrich setzt vor allem auf ausreichend Erholung: "Schreibabys sind häufig total erschöpft und übermüdet." Zunächst werde das Baby deshalb zwei Wochen lang darin unterstützt, wieder in den Schlaf zu finden. "Danach helfe ich Eltern und Baby mittels eines Schlaftrainings einen regelmäßigen Schlaf- und Wachrhythmus zu finden." Oft müssten Eltern erst lernen, die Signale ihres Kindes zu verstehen. Blinzeln, Augenreiben, eine starke Streckung des Rückens - wer die Körpersprache des Babys kenne, könne auch seine Überreizung leichter vermeiden, sagt Diederichs. Ganz wichtig sei es auch, die positiven und schönen Momente mit dem Baby wieder bewusster wahrzunehmen, empfiehlt Ziegler: "Die schönen Zeiten helfen dabei, die anstrengenden Phasen besser auszuhalten."

Veränderungen erfordern viel Geduld

Wer aber glaubt, ein einmaliger Besuch in einer Schreiambulanz reiche aus, und schon wird aus dem kleinen Schreihals zu Hause ein stiller, friedlicher Engel, der irrt gewaltig. Blitz-Verbesserungen dürfen Eltern von den Ambulanzen nicht erwarten. Wichtig sei es, am Ball zu bleiben und nicht aufzugeben, mahnt Kinderärztin Ziegler zu Geduld. "Es braucht ein wenig Zeit, bis sich der Teufelskreis auflöst."

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