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Gewalt unter Kleinkindern kein Problem der Erziehung


Erziehung
Gewaltbereite Dreijährige - haben die Eltern etwas falsch gemacht?

t-online, rw

09.11.2010Lesedauer: 4 Min.
Erziehung: Bei Konflikten kann es schon mal etwas heftiger werden. (Bild: imago)Vergrößern des BildesErziehung: Bei Konflikten kann es schon mal etwas heftiger werden. (Bild: imago) (Quelle: imago-images-bilder)
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Die Kindererziehung hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten einen enormen Wandel durchgemacht. So kämen heute wohl kaum noch Eltern auf die Idee, ihr Kind stundenlang auf dem Töpfchen sitzen zu lassen, um ihm das Einnässen abzutrainieren. Dass jedes Kind hier seinem eigenen Zeitplan folgt, wird überwiegend akzeptiert. Doch inzwischen gibt es andere, neue rote Tücher, bei denen die Erwachsenen aus der Haut fahren. Vor allem wenn Kinder sich nicht nach den gängigen moralischen Normen verhalten, endet bei vielen Eltern die Toleranz.

Moralische Tabus werden auf Kinder übertragen

Es ist geradezu empörend, was sich dort vor aller Leute Augen abspielt - ein handfestes Drama: Lukas, ein begabter Architekt, baut gerade mit viel handwerklichem Geschick eine Burg. Eimerchen und Schaufel hat er dabei. Dumm nur, dass Luisa, vielleicht angespornt von Lukas kunstfertiger Handarbeit, ganz ähnliche Absichten hat. Leider fehlt ihr das nötige Werkzeug. Doch wenn sich die Dreijährige etwas in den Kopf gesetzt hat, gibt sie so schnell nicht auf. Meins, deins - solche Feinheiten interessieren die Kleine wenig. Sie bedient sich einfach bei ihrem Spielkameraden. Weil der davon aber wenig begeistert ist, kommt es zu einer Auseinandersetzung - und zwar nicht nur mit Worten: Im Streit um das knappe Baumaterial zieht Luisa Lukas die gelbe Plastikschaufel über den Kopf. Die Mutter der gewaltbereiten Dreijährigen schämt sich vor den anderen Eltern auf dem Spielplatz in Grund und Boden, greift ein und schimpft mit ihrer Tochter.

Keine Frage: Die meisten Eltern in der heutigen Zeit sind schon viel weiter als die vorherige Eltern-Generation, wenn es darum geht, kindliches Verhalten als solches zu akzeptieren und gelassen darauf zu reagieren. Wenn es aber um bestimmte gesellschaftliche Tabus geht, hat die Toleranz schnell ein Ende. Gewalt, also das Hauen, Treten, Kratzen und Beißen, ist so ein Tabu. Man kann es beinahe in den Augen von Luisas Mutter lesen: Die Sorge, ihr Töchterchen werde einmal Mitglied in einer brutalen Mädchengang, die andere Kinder und Jugendliche "abzieht" und zusammenschlägt, wenn sie jetzt nicht rigoros handelt und eingreift. Immer getreu dem Motto: Wehret den Anfängen!

Erwartungen müssen zum Entwicklungsstand des Kindes passen

"Eltern haben eine Wunschliste von Eigenschaften, die ihre Kinder haben sollen", schreibt der Kinderarzt Herbert Renz-Polster in der Zeitschrift "Eltern". Diese Liste ändere sich fortwährend, je nachdem welche moralischen Wertvorstellungen in einer Gesellschaft gerade dominierten. Dass Konflikte ohne Gewalt gelöst werden sollten, ist so eine unumstößliche ethische Norm. Insofern spricht es durchaus für den Zivilisationsstand unsere Gesellschaft, dass Luisas Verhalten ihrer Mutter so unangenehm ist. "Wir müssen nur aufpassen, dass unsere Erwartungen und Forderungen auch zu den Anlagen und zum Entwicklungsstand unseres Kindes passen", so Renz-Polster. Der Autor des Buches "Kinder verstehen" ist überzeugt: "Wir erziehen an unseren Kindern vorbei. Wir erwarten Dinge von ihnen, die sie noch gar nicht können können."

Kinder nicht wie unfertige Erwachsene behandeln

Der Kinderarzt und Autor plädiert dafür, kindliches Verhalten aus Sicht der Kinder zu begreifen, sie gewissermaßen dort abzuholen, wo sie in ihrer Entwicklung gerade stehen. Nicht die Frage, was dem Kind zu einem fertigen und moralisch einwandfrei handelnden Erwachsenen noch fehlt, solle im Vordergrund stehen, sondern vielmehr das Verständnis dafür, warum sich Kinder so verhalten, wie sie es tun. "Kindern fehlt es an nichts. Sie mögen unfertige Erwachsene sein - aber sie sind hundertprozentig dafür ausgerüstet, Kinder zu sein", verdeutlicht Renz-Polster seinen pädagogischen Ansatz.

Mitgefühl entwickeln Kinder erst mit ungefähr vier Jahren

Natürlich können Eltern in einen Kinderzwist eingreifen, bevor er völlig eskaliert. Aber übertriebene Enttäuschung oder gar Scham wegen des gewalttätigen Verhaltens des eigenen Sprösslings sind fehl am Platz. Ebenso unangebracht ist es, das eigene Kind über Gebühr auszuschimpfen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es gar nicht versteht, was es falsch gemacht hat, ist sehr groß. Die Fähigkeit, überhaupt Mitgefühl zu empfinden, sich in einen anderen Menschen hineinzuversetzen, entwickeln Kinder erst mit etwa vier Jahren. Und auch in diesem Alter sollten Eltern nicht mit Schimpfen oder verzweifeltem Erklären arbeiten.

Stattdessen empfehlen Experten die Methode der Induktion, um einem Kind zum Beispiel die Folgen gewalttätigen Verhaltens erfahrbar zu machen. Haut ein Kind seiner Mutter etwa auf den Arm, kann diese sich mit betrübtem und traurigem Blick den Arm halten und dabei "Aua, aua! Das tut weh!" rufen. Nach kurzer Zeit wird das Kind einen ähnlichen Blick aufsetzen und im besten Falle beginnen, die Mutter zu trösten und zu streicheln. Das Kind lernt, dass andere Menschen die gleichen schlechten Gefühle haben, wenn sie geschlagen werden oder man ihnen etwas kaputt macht, die es selbst in solchen Momenten auch verspürt. Dieser Lerneffekt wirkt mit Sicherheit nachhaltiger als großes Gezeter und Schimpfen, das dem Kind zwar Schuldgefühle macht, jedoch kaum dazu führt, dass es überhaupt versteht, was es falsch gemacht hat.

Gelassenheit, wenn es mal Ärger gibt

Grundsätzlich plädiert Renz-Polster bei Sandkasten-Konflikten wie dem zwischen Luisa und Lukas für mehr Gelassenheit. Die Vorstellung, die lieben Kleinen müssten immer prima miteinander auskommen, sei von vornherein illusorisch. Nur weil sie so drollig aussehen, müssten Kinder schließlich nicht miteinander befreundet sein und alles in friedlicher Eintracht miteinander teilen. "Wer von uns Erwachsenen teilt denn seinen Laptop, das Auto und all die anderen 'Erwachsenen-Schäufelchen'?" fragt der Kinderarzt. Konflikte seien auch hier an der Tagesordnung. Insofern sind Kleinkinder den Erwachsenen dann doch gar nicht so unähnlich; nur dass sie ihre Konflikte eben noch etwas anders lösen. Übrigens: Als Luisa und Lukas sich wenige Tage nach dem Sandkasten-Drama wieder trafen, war alles vergessen und sie haben wunderbar miteinander gespielt - ganz ohne Schlägerei.

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