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Patchworkfamilien: So werden Stiefeltern zu Bonuseltern


Familie & Beruf
Bonuseltern: Es war einmal die böse Stiefmutter

t-online, Simone Blaß

29.06.2011Lesedauer: 5 Min.
Böse Stiefmutter oder Bonus-Mama? Keine leichte Frage für Stiefkinder.Vergrößern des BildesBöse Stiefmutter oder Bonus-Mama? Keine leichte Frage für Stiefkinder. (Quelle: imago)
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Wer kennt sie nicht, diese fiese Frau, die den verwitweten Märchenvater heiratet, Mädchen in Schutt und Asche leben lässt und kleine Jungs den Hexen zum Fraß vorwirft? Doch woher kommt diese Einstellung? Wie sieht es mit den Stiefvätern aus? Und wie steht es überhaupt um den Ruf der Stiefeltern an sich in Zeiten der Patchworkfamilie? Der Familientherapeut Jesper Juul ist der Ansicht, dass die Begriffe Stiefmutter und –vater zu negativ behaftet sind. Er bevorzugt es, von "Bonuseltern" zu sprechen.

In jedem Mythos steckt ein Körnchen Wahrheit

Wie viel an wahrem Kern ist in Märchen wie "Schneewittchen" oder "Frau Holle" eingeflossen? Das fragte sich bereits in den Achtzigern Forscherehepaar Martin Daly und Margo Wilson von der kanadischen McMaster University in Hamilton. Die Wissenschaftler hatten herausgefunden, dass Kinder in Familien mit einem Stiefelternteil ein höheres Sterberisiko haben. Die Gefahr, so das Ergebnis ihrer Studie, war bis zu 70mal größer als bei leiblichen Eltern. Ähnliche Ergebnisse fand man auch in anderen Ländern in Bezug auf Misshandlungen und sexuellen Missbrauch vor allem durch Stiefväter. Eine Untersuchung deutscher Wissenschaftler von der Uni Gießen zeigte anhand von Kirchenbüchern aus vergangenen Jahrhunderten, dass eine neue Frau in der Familie die Zahl der kindlichen Todesfälle drastisch erhöhte. Psychologen sprechen hier vom "Cinderella-Effekt". Auch Evolutionsbiologen gehen immer wieder davon aus, dass man lieber in den eigenen Nachwuchs investiert.

Machtspielchen und Schuldgefühle

Allerdings braucht man auch nicht weit zu gehen, um eine Familie mit Stiefmutter oder -vater zu finden, in der alle unglücklich sind. Und zwar weil von Seiten der Kinder Machtspielchen betrieben werden, die Eltern gegeneinander ausgespielt werden und es dem oder der Neuen so richtig schwer gemacht wird.

Und die Erwachsenen lassen das auch ziemlich häufig mit sich machen, spielen doch das schlechte Gewissen, die Reue und die Schuldgefühle hier oft eine ganz entscheidende Rolle. Hinzu kommt häufig die Diskrepanz zwischen der Liebe zum Kind und der entstandenen Abneigung gegen dessen leiblichen Vater oder seine leibliche Mutter.

Mehr böse Stiefkinder als böse Stiefmütter

Die britische Autorin und Feministin Fay Weldon geht sogar so weit, zu behaupten, dass es heute nicht die böse Stiefmutter ist, die die Familien im übertragenen Sinne vergiftet: "Der Archetyp hat sich geändert. Böse Stiefkinder sind heute weiter verbreitet als es böse Stiefmütter je waren. Nicht mehr Hänsel und Gretel irren Hand in Hand durch den Wald, vielmehr wimmeln die Wälder von einsamen, weinenden zweiten Frauen. Hänsel und Gretel bleiben zuhause im Warmen.“

Nicht alle Stiefmütter handeln stiefmütterlich

Nimmt man es mal ganz genau, dann ist die Patchworkfamilie eben doch nur Flickwerk. Egal wie gelungen, die Nähte bleiben. Doch mit viel Geschick und Feingefühl wird aus Stoffen, die auf den ersten Blick vielleicht gar nicht zusammenpassen, ein harmonisches Ganzes.

Die Patchworkfamilie ist inklusive Stiefmutter und Stiefvater inzwischen fast genauso häufig anzutreffen wie die herkömmliche Familie. Die Zeiten haben sich geändert. Was unter anderem zur Folge hat, dass sich die Stiefmütter und -väter selbst nicht gerne als solche sehen. Die ungeliebte Vorsilbe wird langsam aber sicher aus dem deutschen Sprachgebrauch verbannt.

Mit ein paar pauschalen Tipps ist es nicht getan

Jeder Mensch, jede Familie, jedes Patchwork und jeder persönliche Erfahrungshorizont ist anders. Daher weist Jesper Juul in seinem Buch ‚Aus Stiefeltern werden Bonuseltern‘ auch ausdrücklich darauf hin, dass man in dieser Situation nicht einfach zehn praktische Tipps geben kann, die bei den meisten Familien greifen würden. Stattdessen rät er: „Bringen Sie nicht nur Liebe und Verantwortungsgefühl in Ihre neue Familie mit ein – packen Sie für diese Reise auch den Willen zu persönlicher Entwicklung, Ihren Verstand und Ihre Konfliktfähigkeit mit in den Koffer.“

Seien Sie Sie selbst - leichter gesagt als getan! Ein aufrichtiger und persönlicher Ton aber ist genauso wichtig wie das Verzichten auf allzu viele Fragen. Hinter denen sich in den meisten Fällen sowieso nur der Fragende versteckt. Und die vom Kind nicht selten als aufdringlich empfunden werden.

"Du hast mir gar nichts zu sagen!"

Besser ist es, über die eigenen Gefühle und Gedanken zu sprechen – und auch das nur in Maßen. Die Situation ist für alle Beteiligten schwierig. Fast immer dauert es mindestens fünf bis zehn Jahre, bis sich ein wirklich vertrauensvolles Verhältnis aufgebaut hat, in dem man möglicherweise die Rolle eines Freundes, bestenfalls sogar eine Art Elternrolle übernehmen kann. Genügend Zeit also, um zueinanderzufinden. Jesper Juul sieht die Rolle des neuen Partners, der neuen Partnerin übrigens zunächst als eine Rolle des Gastes, bevor man die Möglichkeit bekommt, Teil der Familie zu werden. "Und in dieser Rolle sind vor allem Freundlichkeit, Höflichkeit und Interesse gefragt.“

Den Erzieher zu markieren und mal kräftig die Muskeln spielen zu lassen, das geht mit Sicherheit schief. Sprüche wie "Du hast mir gar nichts zu sagen, bist ja nicht meine Mutter/mein Vater!" lassen da nicht lange auf sich warten. Indem man sich etwas herausnimmt, was aus Sicht des Kindes oder des Jugendlichen nur einem biologischen Elternteil zusteht, überschreitet man nämlich seine persönliche Grenzen. Erkennt man den Warnhinweis nicht als solchen, öffnet sich bald ein Teufelskreis.

"Stief" wird man schnell

Geht man mit jemandem eine Beziehung ein, der bereits Kinder hat, dann will man in der Regel ja auch gut mit diesen auskommen. Vor allem, wenn eine gemeinsame Zukunft, vielleicht sogar ein Zusammenwohnen geplant ist. In einer solchen Situation ist es natürlich verlockend, zu versuchen, sich bei den Kindern des Partners einzuschmeicheln. Funktionieren wird das allerdings nicht! Denn auch, wenn der Volksmund sagt, dass der Weg zum Herzen einer Mutter über ihre Kinder führt, das Herz eines Kindes oder eines Jugendlichen erobert man grundsätzlich nur auf direktem Weg: "Kinder erfassen die Persönlichkeit eines Erwachsenen messerscharf, auch wenn sie nicht alles sehen, irren sie sich nur selten auf ganzer Linie“, so Juul. Und sie fassen nur dann Vertrauen, wenn sie spüren, dass man es ehrlich mit ihnen meint.

Verweigerung des Kindes genau betrachten

Doch auch dann öffnen sich die einen schneller und die anderen brauchen einfach mehr Zeit. Das ist nicht nur vom Charakter abhängig, sondern auch davon, was sie bereits erlebt haben. Wie häufig ihr Vertrauen enttäuscht wurde. Kinder, die eine oder vielleicht sogar schon mehrere Trennungen hinter sich haben, haben oftmals auch den Glauben in die Erwachsenen verloren. Haben keine Lust, die Liebe der Mutter oder des Vaters auch noch zu teilen.

"Manchmal weigert sich ein Kind auch ganz und gar, sich gegenüber dem neuen Partner seiner Mutter oder seines Vaters konstruktiv zu verhalten. Ganz gleich, was die Erwachsenen tun und sagen, das Kind ist dagegen! Erfahrungsgemäß liegt das oft am intuitiven Empfinden des Kindes, dass dieser Mann oder diese Frau nicht zu seiner Mutter oder seinem Vater passt – eine Einschätzung, die sich meistens als richtig erweist.“ Schließlich ist es durchaus möglich, dass das Urteilsvermögen der Erwachsenen durch das Kreisen ihrer Hormone im Verliebtheitszustand etwas beeinträchtigt ist.

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Nicht zuletzt in diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, sich bereits im Anfangsstadium einer Patchworkbeziehung zu fragen, welche Vorstellungen man selbst von der Zukunft im Kopf hat und inwieweit sich diese mit denen des Partners decken.

Meistens funktioniert es

Die "böse Stiefmutter", der "böse Stiefvater", das ist ein Bild, das unsere Köpfe nach wie vor bevölkert. Doch genau wie Stiefeltern tatsächlich einen negativen Einfluss auf die Familie haben können, können sie natürlich auch positive Effekte in Gang setzen und damit echte ‚Bonuseltern‘ werden. „Es sind die Erinnerungen und Wünsche an die Kernfamilie, mit der wir unsere zusammengesetzte Familie vergleichen und diesem Vergleich kann sie nicht standhalten.“ Was sie aber kann, ist ergänzen. Hinzugekommene "Geschwister" können die soziale Kompetenz stärken, der "Bonuselternteil" kann zu einem wichtigen Dialogpartner werden und zu einem Ort der Ruhe. Vor allem dann, wenn die biologischen Eltern nach wie vor im persönlichen Krieg oder einer Pseudoharmonie leben. Beides keine seltenen Fälle. Doch die Familien, die zusammengefunden haben, sind heute in der Mehrzahl. Diesen Familienmitgliedern ist klar, dass Konflikte immer dazugehören.

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