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ARD-"Kinderreport": Deutsche haben Angst vorm Kinderkriegen


"Der Kinderreport - Nachwuchssorgen im Wohlstandsland"
Die Deutschen haben Angst vorm Kinderkriegen

t-online, Daniel Reviol

07.08.2014Lesedauer: 4 Min.
Ist Deutschland kinderfeindlich? Dieser Frage ist die ARD-Doku "Der Kinderreport" nachgegangen.Vergrößern des BildesIst Deutschland kinderfeindlich? Dieser Frage ist die ARD-Doku "Der Kinderreport" nachgegangen. (Quelle: HR)
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Vor 50 Jahren erreichte der Babyboom in Deutschland seinen Höhepunkt. Niemals nach dem Zweiten Weltkrieg war die durchschnittliche Anzahl an Kindern pro Frau höher als 1964 - sie lag damals über 2,5. Ein Wert, der heute utopisch erscheint. Aktuell beträgt die Fruchtbarkeitsrate 1,38. Was hält die Menschen in Deutschland davon ab, mehr Kinder zu bekommen?

"Deutschland ist kinderfeindlich", "Kinder sind Karrierekiller", "Großfamilien sind asozial" - typische Schlagzeilen, die durch die Medien geistern. Die ARD-Dokumentation "Der Kinderreport - Nachwuchssorgen im Wohlstandsland" hat diese Thesen überprüft und ist zu dem Ergebnis gekommen: Die Deutschen haben Angst vor dem Kinderkriegen.

Deutlich mehr Kinderwünsche als Kinder

"Es war vor 50 Jahren eine Selbstverständlichkeit, Kinder zu bekommen. Darüber wurde gar nicht länger nachgedacht", sagt Detlev Lück im Interview mit t-online.de. Das änderte sich, als die Generation der 68er begann sämtliche Werte und Ideale der Älteren zu hinterfragen. "Plötzlich war selbstverständlich, dass nichts mehr selbstverständlich war", erklärt der Familiensoziologe und Mitarbeiter des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB). Die Familie war fortan nur ein Lebensmodell neben anderen - jedoch eines, für das sich heute gerne mehr entscheiden würden, wenn sie es könnten.

"Man merkt, dass im Bekanntenkreis wieder viele Kinder wollen, auch mehr als eins", so ein Passant in der TV-Reportage. Lück bestätigt diese Wahrnehmung: In einer Befragung hat das BiB ermittelt, dass sich Menschen in Deutschland, losgelöst von allen Rahmenbedingungen, im Schnitt etwa zwei Kinder wünschen. "Das heißt, die Leute wollen mehr Kinder, als die Statistik letztlich ermittelt."

Deutschland ist besser als sein Ruf

Lück glaubt, mit besseren Rahmenbedingungen würde sich die Geburtenzahl erhöhen. Aber sind die Verhältnisse wirklich so kinderfeindlich in Deutschland? Laut einem internationalen Vergleich von Industriestaaten durch Unicef landet Deutschland in der Rangliste "Kindliches Wohlbefinden" auf Platz sechs. In einem zweiten Unicef-Ranking, das sich aus der Selbsteinschätzung der Nationen ergab, liegt Deutschland nur noch auf Rang 22.

Deutschland ist besser als sein Ruf, heißt es im ARD-"Kinderreport". Doch die Bedenken und Sorgen der Bevölkerung zeichnen ein negatives Bild.

"Rabenmütter" gibt es nur bei uns

Besonders Frauen, die Mütter werden, fürchten, dass sie ein Kind nicht mit ihren beruflichen Ambitionen vereinbaren können. Der rechtliche Anspruch auf einen Kita-Platz ab dem ersten Lebensjahr, der seit August 2013 gilt, hat diese Vereinbarkeit gestärkt. Allerdings weiß Experte Lück, dass es nicht nur um die Infrastruktur der Kinderbetreuung geht, sondern auch um die "soziale Akzeptanz von Kinderbetreuung". Während in Frankreich Mütter teilweise als "mère-poule" (zu deutsch: "Gluckenmutter") diffamiert würden, wenn sie zu Hause beim Kind bleiben, beschimpfe man in Deutschland Frauen als "Rabenmütter", wenn sie den Nachwuchs schon früh in eine Betreuungseinrichtung geben.

Lück ist sich sicher, dass viele Paare in Deutschland gerne Beruf und Familie vereinbaren würden. Es geht jedoch um mehr: Eltern müssen nicht nur ihren Kindern und ihren beruflichen Ansprüchen gerecht werden, sondern auch gesellschaftlichen Idealvorstellungen. Und die sind hier besonders streng, sagt der Wissenschaftliche Leiter der Stiftung für Zukunftsfragen, Ulrich Reinhardt, in der ARD-Doku: "Frauen müssen sich messen lassen am deutschen Ideal perfekt zu sein."

Auch Reinhardt sieht vor allem ein gesellschaftliches Problem und spricht von der sprichwörtlichen "German Angst": "Angst ist hier sehr stark ausgeprägt, wenn es um das Thema Kinder geht. Deutschland ist auch das einzige Land, in dem es in der Sprache das Wort 'Rabenmutter' gibt."

Lieber eine "kleine Prinzessin" als eine Großfamilie

Der gleiche Perfektionismus führt dazu, dass viele Paare nur noch ein oder zwei Kinder bekommen. Großfamilien gelten als asozial und aus Furcht vor sozialem und finanziellem Abstieg bevorzugen viele "das Familienmodell: spät, klein, wohlbehütet", wie es im "Kinderreport" formuliert wird.

Zukunftsforscher Reinhardt erklärt, dass viele Frauen heutzutage denken, sie tauschen beruflichen Erfolg gegen ein Kind ein - und dann müsse sich das auch lohnen. "In diesen Fällen ist der kleine Prinz oder die kleine Prinzessin schon programmiert." Das Einzelkind wird zum überbehüteten Statussymbol.

Experte fordert mehr Gelassenheit von Deutschen

Im Gespräch mit t-online.de sagt Detlev Lück, was wir uns bei anderen Kulturen abschauen könnten: mehr Gelassenheit. Bis vor kurzem habe der Wissenschaftler in einer Gegend mit starker portugiesischer Gemeinde gelebt. Dort hätten die Kinder oft noch abends auf der Straße gespielt, während sich die Eltern in der Nachbarschaft unterhielten.

"Das waren Szenen, die deutsche Eltern nicht gut hätten beobachten können, ohne dass sie nervös geworden wären", sagt Lück. "Für uns muss alles gut geschützt sein, es muss ein Zaun um den Spielplatz stehen und da muss jemand sitzen, der die Kinder beaufsichtigt."

Lück wünscht sich einen entspannteren Umgang mit Kindern in Deutschland: "Einerseits stellen wir sehr hohe Anforderungen an die Eltern bei der optimalen Förderung der Kinder, andererseits sind wir schnell geneigt, uns zu beschweren, wenn im Nachbarhaus oder im Restaurant ein Kind zu laut ist." Zwar halte Lück Deutschland nicht für kinderfeindlich, "aber das kinderfreundlichste Land ist es auch nicht."

"Mehr Kinder" muss nicht das Ziel sein

Für die Zukunft sieht Lück trotzdem nicht schwarz. Dass Deutschland wie Frankreich bald wieder auf zwei Kinder pro Frau komme, halte er für unrealistisch, "1,6 oder 1,7 wäre allerdings vorstellbar". Dafür sollte weiter an den Rahmenbedingungen in Deutschland, zum Beispiel in der Kinderbetreuung, gearbeitet werden.

Lück ist sich aber auch bewusst, dass es kulturelle und gesellschaftliche Faktoren gibt, die Politiker nicht beeinflussen können. Das müsse aber auch gar nicht so sein: "Es muss nicht automatisch gelten: 'mehr Kinder' ist das große Ziel - das sagt die Politik eigentlich auch gar nicht. Viel mehr geht es darum, den Leuten die Möglichkeit zu geben, ihre eigenen Lebenspläne zu verwirklichen."

Auch im ARD-Film gibt es Entwarnung. Dort erklärt Wirtschaftswissenschaftler Heinz-Josef Bontrup, dass die Geburtenzahl in Deutschland keineswegs beunruhigend sei. Das Land stirbt nicht aus, sondern wächst sogar dank Einwanderung. Obwohl Bontrup zufolge "der Befund völlig unproblematisch" sei, werde "Demografiepanik" geschürt - und wieder geht die Angst um.

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