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Geschlechtsumwandlung: Leiden unter dem eigenen Geschlecht


Wenn Kinder unter ihrem Geschlecht leiden

t-online, Lindsey Tanner, mmh

Aktualisiert am 18.02.2014Lesedauer: 5 Min.
Geschlechtsumwandlung: Wenn Kinder unter ihrem Geschlecht leiden. (Montage T-Online)Vergrößern des BildesWenn Kinder unter ihrem Geschlecht leiden. (Montage T-Online) (Quelle: Thinkstock by Getty-Images-bilder)
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Die Achtjährige leidet. Oder ist es der Achtjährige? Ein Mädchen, das sich wie ein Junge fühlt und nach eigenem Empfinden ganz einfach in einem Körper mit dem falschen Geschlecht steckt. Und dessen Bedürfnis von seinen Eltern und Ärzten so ernst genommen wird, dass sie sich auf eine Geschlechtsumwandlung eingestellt haben. Die Eltern-Redaktion hat mit einem Experten zum Thema Geschlechtsumwandlung gesprochen.

"Ich ein Junge", kündigte das Kind im Alter von 18 Monaten an. Seitdem hat sich an seiner Überzeugung nichts geändert. Die Familie ging erst von einer vorübergehenden Laune aus und suchte dann die Hilfe eines Experten, nachdem das Kind über lange Zeit beharrlich blieb, Kleider ablehnte und auf einen Jungennamen bestand. Damals lautete die Diagnose auf Geschlechtsidentitätsstörung. Die Familie erfuhr, dass die Kinder häufig eben nicht wie erwartet aus ihrem Wunsch herauswachsen.

Dieser Wunsch entwickelt sich meist schon sehr früh. "Das Ding da unten passt doch gar nicht", sagt der Junge, "ich bin doch ein Mädchen". Solche Sätze fallen auch schon bei Zweijährigen, weiß Achim Wüsthof." Vor allem im Kindergartenalter setzen sich Kinder stark mit ihrem Körper auseinander." Der 45-jährige Endokrinologe behandelt seit zehn Jahren Kinder, die das Gefühl haben, im falschen Körper zu stecken. Momentan sind es 70, davon 35 Mädchen und 35 Jungs, zwischen zwölf und 18 Jahren.

Geschlechtsumwandlung: Eltern waren geschockt

In dem geschilderten Fall aus Los Angeles waren die Eltern erst mal geschockt. Es dauerte, bis sie akzeptieren konnten, dass ihre Tochter sich als Junge fühlte. Sie begannen, ihr Kind als Sohn zu behandeln. In der Schule weiß niemand, dass ihr Junge biologisch als Mädchen geboren wurde.

Der Kinderarzt hingegen lehnte den Wunsch der Eltern ab, das Kind als Jungen zu behandeln. Nach einiger Suche stieß die Familie dann auf Jo Olson am Kinderkrankenhaus von Los Angeles, der die Bemühungen um eine Neupositionierung des Kindes unterstützte - und der die Ansicht vertritt, dass Ärzte betroffenen Kindern eine Behandlung zur Vorbereitung einer Geschlechtsumwandlung ermöglichen sollten, in der Regel mit Hormonen. "Es wäre gut, wenn man die Sache aus der mentalen Welt in die medizinische Welt heben würde", sagt er.

Vor der Geschlechtsumwandlung: Fälle genau prüfen - keine kurze Laune

Als ihr Sohn erfahren habe, dass er mit Medikamenten behandelt werden würde, die das Wachstum der Brust verhindern sollen, sei er sehr aufgeregt gewesen, berichtet die Mutter. Jetzt fiebere er der Behandlung entgegen. Sobald die ersten Anzeichen der einsetzenden Pubertät auftreten, soll es losgehen.

Wann ist es ernst?

Normal sind kleine Phasen: Kleine Jungs stolzieren mit Mamas Highheels, ziehen Mamas BH an, Mädchen sprühen sich Papas Rasierschaum ins Gesicht. Das ist spielerische Nachahmung und ganz normal.

"Bei diesen Kindern aber ist das Verhalten keine Phase, sondern durchgängig und sehr auffällig. Jungs sind versessen darauf, Röckchen zu tragen und wollen die Haare nur und unbedingt lang tragen", schildert Wüsthof. "Das ist nicht durch Erziehung wegzukriegen, das ist tief verwurzelt, die Kinder identifizieren sich mit dem anderen Geschlecht als ihrem biologisch angeborenen." Dann ist der Zeitpunkt gekommen, an dem Eltern mit ihrem Kind einen Kinderpsychologen aufsuchen sollten, denn Kinderärzte sind mit diesem Thema oft überfordert.

Immer mehr Kinder in Behandlung für eine Geschlechtsumwandlung

Kinderärzte sollten über solche Fälle informiert sein und sich bewusst machen, dass die Kinder einer Behandlung bedürfen, sagt Norman Spack vom Kinderkrankenhaus Boston, ein Vorreiter auf dem Gebiet. "Wenn man die Türen aufmacht, kommen solche Kinder. Es gibt sie da draußen. Sie sind in unseren Praxen", betont er. Schätzungen zufolge sei eines von 10.000 Kindern betroffen. Den Terminus "Geschlechtsidentitätsstörung" als psychiatrische Diagnose hält er allerdings für irreführend.

Immer mehr Jugendliche und sogar Kinder werden inzwischen auf eine Geschlechtsumwandlung vorbereitet, wie die Medizinzeitschrift "Pediatrics" berichtete. Das Angebot von entsprechenden Arzneimitteln, Hormonen oder gar Eingriffen bei Patienten unter 18 Jahren hat jedoch ethische Bedenken hervorgerufen. Die Fälle müssten genau geprüft werden, betonen Experten.

Häufigkeit von Geschlechtsumwandlungen ist schwer zu schätzen

Wüsthof räumt ein, dass es schwer ist, die Häufigkeit der Transsexualität zu schätzen. "Wir gehen in Deutschland von etwa einem unter 10.000 Menschen aus. Das müssten dann bestimmt mehr sein, als die circa 150 Jugendlichen, die sich in Deutschland derzeit nach Hochrechnungen in Behandlung finden." Es gibt etwa 10 bis 20 Ärzte seiner Fachrichtung, die sich mit der Therapie befassen. Anlaufstellen im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie sind in erster Linie: die Unikliniken Hamburg, Frankfurt, Berlin und München.

So reagieren Eltern richtig

  • Anfangs sollten Eltern ihre Kinder ruhig dezent auf Widersprüche hinweisen. "Du bist aber doch ein Junge und Jungs haben einen Penis", könnte eine Antwort sein.
  • Bleiben Kinder über längere Zeit bei ihrem Verhalten, sollten Eltern mit dem Kinderarzt sprechen und einen Kinder- und Jugendpsychologen aufsuchen.
  • Eine gegengeschlechtliche hormonelle Behandlung wird erst dann angewendet, wenn die biologische Pubertät einsetzt.

Im gefühlten Geschlecht leben

Doch wie kann das Umfeld damit umgehen? Schule, Verwandte, Freunde? "Recht gut", gibt Wüsthof Entwarnung: "Die Kinder leben schon im gefühlten Geschlecht." Manche der betroffenen Mädchen suchen sich schon einen Jungennamen oder gehen automatisch auf die Jungstoilette und umgekehrt. Meist sind die Reaktionen unspektakulär: "Wenn es dann tatsächlich zu einer Behandlung kommt, heißt es oft: Das haben wir doch schon immer gewusst."

Wüsthof schränkt allerdings auch ein, dass es Schulen gibt, die damit gar nicht zurecht kommen. Dann müssen Eltern reagieren, eventuell die Schule wechseln, um ihre Kinder keinen Schikanen auszusetzen. Manche knifflige Situation wird eventuell auch gemieden, wie die Bundesjugendspiele, in denen die sportlichen Leistungen der Kinder eindeutig einem Geschlecht zugeordnet werden müssen. Man kann auch ein ärztliches Attest vorweisen, in dem die Problematik erklärt wird.

Behandlung mit weitreichenden Folgen

Achim Wüsthof betont eindringlich, dass eine Behandlung weitreichende Folgen für das Leben des Kindes hat. "Es ist sehr wichtig, eng mit den Spezialisten zusammen zu arbeiten". Wüsthof selbst ist Kinder- und Jugend-Endokrinologe und behandelt seine Patienten gemeinsam und in enger Absprache mit den Kinder- und Jugendpsychologen des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. Erst in Abstimmung mit diesen beginnt in der Pubertät die gegengeschlechtliche Hormonbehandlung, damit biologischen Mädchen ein Bart wächst und den geborenen Jungs ein Busen. Chirurgische Eingriffe zur Geschlechtsumwandlung werden erst an Erwachsenen vorgenommen.

In der Regel entsteht der erste Kontakt zwischen Kindern und Experten im Grundschulalter. Erst zwei Fälle erlebte Wüsthof, in denen sich die Kinder umentschieden hatten und keine Behandlung zum Wunschgeschlecht wollten.

Aus dem Hamburger Patienten wurde Patientin "J."

In Deutschland sorgte vor einigen Jahren der Fall eines Jungen aus der Nähe von Hamburg für Aufsehen, der ebenfalls schon als Kleinkind darauf bestand, ein Mädchen zu sein. Als Jugendlicher wurde "J." behandelt - und in der Folge zur Frau. "Die Patientin 'J.' wurde mit 18 Jahren geschlechtsangleichend operiert", teilt der Hamburger Facharzt Achim Wüsthof mit. "Es geht ihr als Frau sehr gut."

Immer wieder melden Schlagzeilen von Menschen im Senioren-Alter, die sich endlich entschließen, zu ihrem wahren Geschlecht zu stehen - mit allen Konsequenzen. Die Elternredaktion von T-Online fragte Wüsthof, ob diese Menschen auch schon als Kinder den Wunsch verspürt haben: "Mit großer Wahrscheinlichkeit fühlten sie das auch schon als Kleinkinder, aber bestimmte Umstände führten dazu, dass sie sich das damals noch nicht getraut haben." Vieles hat sich ja auch - medizinisch und psychologisch - in den letzten Jahrzehnten erst entwickelt und die Toleranz der Gesellschaft ist gewachsen.

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Selbstverstümmelung aus Verzweiflung

Das ist gut, denn fehlt die intensive psychologische Betreuung kann dies drastische Folgen haben: Einige Betroffene versuchten, durch Selbstverstümmelung ihre Anatomie zu ändern, warnen Fachleute. Insgesamt seien sie anfälliger für Stress, Depression und gar Selbsttötungsversuche. Diese Probleme verschwänden aber in der Regel, wenn die Kinder oder Jugendlichen in Behandlung kämen und es ihnen erlaubt werde, ihrem Geschlechtswunsch - oder Geschlecht - entsprechend zu leben, erklärt Spack. Ein Ziel der medikamentösen Behandlung ist nach Angaben Spacks, den Kindern und Jugendlichen Zeit für die emotionale Reife zu geben und sicherzustellen, dass eine dauerhafte Geschlechtsänderung wirklich angestrebt werde.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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