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Verbrennungen rauben Sebastian einen Teil seiner Kindheit


Schicksal
Spiel mit dem Feuer raubte Sebastian einen Teil seiner Kindheit

Anja Speitel

Aktualisiert am 12.07.2013Lesedauer: 7 Min.
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Verbrennungen: Der achtjährige Sebastian hat schwerste Verbrennungen erlitten.Vergrößern des Bildes
Der achtjährige Sebastian hat schwerste Verbrennungen erlitten. Tapfer erträgt er die Schmerzen und wochenlange Klinikaufenthalte. (Quelle: Privat)

Sebastian hat schwere Verbrennungen erlitten. Die Flammen fraßen sich so tief in sein rechtes Bein, dass der damals achtjährige Junge mehrere Hauttransplantationen benötigte. Über 30.000 Kinder unter 15 Jahren verbrennen oder verbrühen sich jedes Jahr in Deutschland - 6000 davon so schwer, dass sie stationär behandelt werden müssen. Sie brauchen Hauttransplantationen und psychologische Betreuung. Auch nach dem Klinikaufenthalt ist die Behandlung noch lange nicht abgeschlossen.

Als Marion Sebastians Schreie hörte, wusste sie sofort, dass etwas Furchtbares passiert sein musste: "Ich habe ihn noch nie so schreien gehört" sagt die Landwirtin aus dem Allgäu, als sie den 18. November 2012 Revue passieren lässt. Ihr ältester Sohn Max hatte einen Tag zuvor seinen 14. Geburtstag in einer kleinen Hütte gefeiert. Am folgenden Morgen räumte Max die Hütte mit seinen Brüdern und ein paar Freunden auf. Ein alter Teppich war dreckig und nass. "Hängt ihn über die Stange draußen, der Regen wird ihn sauber waschen und dann trockenen wir ihn", sagte Marion zu den Jungs und ging ins Bauernhaus zurück. Doch die Kinder kam auf die Idee, den Teppich zu verbrennen. Sie übergossen ihn mit Benzin, Sebastian bekam ein paar Spritzer davon auf seine Hose. Sobald der Teppich in Brand gesteckt wurde, schlugen die Flammen auf Sebastian zurück. Er brannte sofort lichterloh.

Die verbrannte Haut hing in Fetzen herab

Die anderen Jungen reagierten richtig: Sie wälzten Sebastian auf dem Boden, um die Flammen zu ersticken. Doch die hatten sich bereits tief in sein rechtes Bein gefressen. "Es sah schlimm aus", erinnert sich die Mutter. "Die Hose war hineingeschmort, die Haut so verbrannt, dass sie in Fetzen hinunter hing. Darunter sah man rot-weißes Fleisch." Marion rief sofort den Notarzt unter 112. "Dann stand ich wie ohnmächtig neben Sebastian, der nur noch schrie. Ich versuchte ihn zu beruhigen, doch er stand so unter Schock, dass mir das kaum gelang. Zum Glück war der Notarzt innerhalb weniger Minuten da." Der spritzte Sebastian ein Beruhigungsmittel, wickelte ihn in eine Kühldecke und verständigte den Rettungshubschrauber.

Mit dem Rettungshubschrauber in eine Spezialklinik

Sebastian wurde in eine Spezialklinik für brandverletzte Kinder geflogen. "Das ist immer nötig, wenn mehr als zehn Prozent der Körperoberfläche - das entspricht der Größe von zehn Händen des Verletzen - verbrannt oder verbrüht sind oder die Schädigung Gesicht, Hände, Füße oder Genitalien betrifft. Zudem brauchen Säuglinge bei thermischen Schädigungen immer die Hilfe in einem Zentrum für Brandverletzte", erklärt Hans Joachim Grundhuber, Leitender Oberarzt der Kinderchirurgie im Münchner Klinikum Schwabing. Es verfügt über fünf Betten für Verbrennungsopfer im Kindesalter. Dort wurde Sebastian hingeflogen.

"Eine Kolonne von Ärzten stand da schon, als wir auf dem Dach landeten. Sebastians entsetzliche Schmerzen hatten sich durch Infusionen etwas gelegt. Nachdem die Ärzte ihn untersucht hatten, war klar, dass er sofort in den OP musste, um die Hose von der Haut wegzuschneiden", erzählt die Mutter. Dabei wurde festgestellt, dass Sebastian vom Po bis unter die Kniekehle Verbrennungen dritten Grades hatte; das sind die schlimmsten, die es gibt. Sie betreffen alle Hautschichten und reichen hin bis zur Verkohlung. Das bedeutet den Verlust von unter der Haut liegendem Gewebe inklusive Nervenschädigung.

Sebastians Verbrennungen mit Eigenhaut abgedeckt

Sofort war klar, dass Sebastian Hauttransplantationen benötigt. Das geht jedoch nicht gleich. "Solch eine schwere Verbrennung oder Verbrühung ist lebensgefährlich. Das Kind muss erst stabil werden, die Wunden gesäubert und die verletzten Bereiche abgetragen werden. Dabei kann es auch zu großen Blutverlusten kommen", sagt Grundhuber. Die Gefahr, dass sich die Wunden entzünden ist groß.

Sebastian lag deshalb die ersten Tage in einem speziellen Zimmer mit keimarmer Umgebung auf der Kinderintensivstation. Die Sauerstoffsättigung in seinem Blut war nicht ausreichend, er hatte Kreislaufprobleme und bekam Morphium gegen die Schmerzen. Zum Verbandswechsel, der alle paar Tage nötig war, wurde der Junge jedes Mal in Narkose gelegt, denn die Schmerzen wären im Wachzustand zu schlimm gewesen. Acht Narkosen hat Sebastian in den ersten drei Wochen deshalb bekommen. Plus jene, die er wegen der Hauttransplantationen brauchte.

Knapp eine Woche nach dem Unfall war Sebastian dafür stabil genug. "Man kann höchstens 20 Prozent Haut abtragen und an den verletzten Stellen wieder auflegen. Da man eine plane Fläche zur Hautentnahme braucht, sind Kopf, Gesäß, Rücken und Oberschenkelbereich günstig. Dort werden wie mit einer Art Käsehobel dünne Schichten der Lederhaut abgetragen und mit Klammern, Nähten oder Gewebekleber auf den Wundflächen fixiert", beschreibt der Oberarzt das Verfahren.

Sebastian wollte die Hautentnahme am Kopf

Für Sebastian war klar, dass er die Hautentnahme keinesfalls an seinem gesunden, linken Bein haben wollte. Deshalb wurde Spalthaut vom rechten Schienbein und dem Kopf entnommen. Meistens wird Spalthaut am Kopf entnommen. Der Vorteil ist, dass die Haut dort qualitativ sehr hochwertig ist. Zudem wird die leichte Oberflächenveränderung der Haut an der Entnahmestelle am Kopf quasi unsichtbar, wachsen die Haare doch schnell nach. "Sebastian hatte überhaupt keine Probleme mit seiner Glatze. Nach der OP trug er eine Art Turban. Wir lachten darüber, denn er sah damit aus wie ein Schlumpf. Als der Verband nach fünf Tagen runter kam, hatte Sebastian auch schon wieder kleine Stoppeln", erinnert sich Marion.

Cremes, Massage und Krankengymnastik für die Narben

Nach der Hauttransplantation musste Sebastian noch drei Wochen im Krankenhaus bleiben. Transplantierte Stellen müssen ruhig gelagert werden, damit die Haut gut anwachsen kann. Zudem stehen häufige Verbandswechsel an, um Infektionen zu vermeiden. Nach der ersten Abheilung ist es wichtig, rund um die Uhr spezielle Druckverbände zu tragen - in der Regel für zwei Jahre. Dadurch werden die Narben weicher, flacher, heller und jucken weniger. "Sebastian akzeptiert seinen Kompressionsstrumpf, aber die Narben jucken noch oft oder er hat Schmerzen. Deshalb bekommt er immer noch Medikamente. Außerdem massiere ich Sebastians Narben jeden Morgen und Abend mit einer speziellen Creme," sagt seine Mutter. Das ist die zweite wichtige Säule bei der Nachbehandlung von Verbrennungsnarben, denn die Eigenfettung der Haut ist durch die Verletzung gestört. "All das lässt Sebastian mit Engelsgeduld über sich ergehen. Was ihn jedoch nervt, ist die Krankengymnastik. Da muss er dreimal pro Woche hin."

Bewegungstherapie ist die dritte, besonders wichtige Säule der Narbenbehandlung: "Im ersten Jahr nach der OP schrumpfen die Narben am stärksten", sagt Grundhuber. "Durch Narbenzüge kann es zu Bewegungseinschränkungen kommen. Dem versucht man durch Krankengymnastik gegenzusteuern. Die transplantierte Haut wird durch die Bewegungen gedehnt, die Narben wachsen mit. Bei starken Wachstumsschüben oder wenn die Narben an besonders beweglichen Körperstellen wie Gelenke sitzen, kann es aber nötig werden, erneut zu transplantieren. Deshalb ist eine engmaschige Nachbetreuung wichtig: In den ersten zwei Jahren nach einer Hauttransplantation sehen wir uns die Narben alle drei Monate an. Ab dem dritten Jahr kommen die Kinder halbjährlich zur Nachbeobachtung."

Sebastian braucht vier weitere Hauttransplantationen

Die Haut an der Kniekehle muss sich bei jeder Beinstreckung dehnen. Genau dort hatten sich die Flammen bei Sebastian besonders tief ins Gewebe gefressen. Nachdem er nach drei Wochen festem Liegen aus dem Klinikum entlassen wurde, riss die Haut in seiner Kniekehle wieder auf. "Es entstand ein richtiges Loch, das nässte und Sebastian weh tat. Jeden Tag mussten wieder die Verbände gewechselt werden, aber das Loch schloss sich nicht", erzählt Marion. Im Januar war klar, dass Sebastian deshalb eine weitere Hauttransplantation brauchte.

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Dies geschah in der Unfallklinik Murnau, die näher am Hof der Familie liegt als jene in München. Zweimal wurde Spalthaut transplantiert, doch ohne Erfolg. Erst die Transplantation von Vollhaut, wieder im Klinikum Schwabing, führte zum erwünschten Ergebnis. "Dabei wird Oberhaut und Lederhaut entnommen und verpflanzt", erklärt Oberarzt Grundhuber, der Sebastian operierte. Die Haut wurde aus der Leiste entnommen. "Dort hat Sebastian nun zwar eine zehn Zentimeter lange Narbe, aber endlich ist die Kniekehle zu", sagt Marion erleichtert.

Zwischendurch gibt Sebastian fast auf

Die vielen, langen Krankenhausaufenthalte gingen nicht spurlos an Sebastian vorbei: Durch das lange Liegen und einige Monate, die er im Rollstuhl sitzen musste, um sein Bein zu schonen, hat der früher sehr sportliche Junge 14 Kilo zugenommen. Erst seit Juni darf er wieder zum Fußballtraining, das er jedoch nur ganz langsam steigern kann. Das Bein tut ihm noch häufig weh. Auch seine Seele hat gelitten: "Zuerst hat Sebastian optimistisch nach vorne geblickt. Über den Unfall wollte er damals nicht sprechen, konnte sich auch an gar nichts erinnern. Er hatte das schlimme Ereignis wohl komplett verdrängt", meint Marion. "Als weitere OPs anstanden und Sebastian wusste, dass er wieder wochenlang im Krankenhaus liegen muss, sagte er: 'Manchmal wäre ich lieber tot. Ich will mein altes Bein zurück, mein altes Leben wieder haben.' Da haben bei mir alle Alarmglocken geläutet und ich bin zum Krankenhauspsychologen gegangen." Während der folgenden zehn Wochen wurde Sebastian psychologisch betreut. "Endlich war es den Psychologen möglich, mit ihm über den Unfall zu sprechen. Sebastian konnte das dann gut aufarbeiten und Mut sammeln für die kommenden OPs."

Auch die Eltern brauchen Hilfe

Zwar war es bei Sebastian nicht so, aber oft passiert eine Verbrennung oder Verbrühung durch nur eine Sekunde Unachtsamkeit der Eltern - und die Folgen belasten das Kind sein Leben lang. Dass die betroffenen Eltern Schuldgefühle hegen, traumatisiert sind und ebenfalls psychologische Unterstützung brauchen, bestätigt Anneliese Stapelfeldt, die stellvertretende Vorsitzende von "Paulinchen - Initiative für brandverletzte Kinder". Eltern helfen dann Gespräche mit anderen Betroffenen, weiß Stapelfeldt aus eigener Erfahrung. Ihr inzwischen erwachsener Sohn zog sich mit neun Jahren schwerste Verbrennungen zu, als sich sein Faschingskostüm an einer Kerze entzündete.

Der Leidensweg bei Verbrennungen ist lang

Neben der Hilfe für die Seele bietet "Paulinchen" Eltern Unterstützung bei der Bewältigung des Alltags nach der Zeit im Krankenhaus. Auch Marion kontaktierte den Verein. "Besonders bei dem ganzen bürokratischen Zeug hat mir das sehr geholfen. Sebastian hat jetzt einen Schwerbeschädigtenausweis und Pflegestufe 1." Zudem verfügt "Paulinchen" über eine bundesweite Adressdatenbank mit spezialisierten Ärzten, Psychologen, Sanitätshäusern, Physio- und Ergotherapeuten.

"All das brauchen die Familien noch lange, nachdem die Akutbehandlung im Krankenhaus abgeschlossen ist. Der Übergang in den Alltag ist sehr schwer. Deshalb ist es unverständlich, dass es in ganz Deutschland keine einzige auf brandverletzte Kinder spezialisierte Rehabilitationseinrichtung gibt", bemängelt Stapelfeldt. Weil es keine spezielle Reha für brandverletzte Kinder gibt, musste Sebastian für vier Wochen in eine für Erwachsene. "Das einziges Kind dort zu sein, war nicht leicht für ihn", sagt die Mutter. "Wir haben organisiert, dass Sebastian neben den Therapien zwei Stunden täglich in die örtliche Grundschule gehen konnte. So hat er wenigstens ein bisschen Kontakt mit Gleichaltrigen gehabt. Dennoch merkt man ihm heute an, dass er durch sein Schicksal schneller erwachsen werden musste. Der Unfall hat Sebastian einen Teil seiner Kindheit genommen."

Hier finden Betroffene Hilfe

Paulinchen - Initiative für brandverletzte Kinder
Kostenlose Hotline: 0800 0 112 123
Website: www.paulinchen.de
Download der Broschüre So schützen Sie Ihr Kind vor Verbrennungen und Verbrühungen
Bundesverband für Brandverletzte: www.brandverletzte-leben.de

Erste Hilfe bei Verbrennungen und Verbrühungen
- Sofort den Notarzt unter 112 rufen- Wenn Kleidung Feuer gefangen hat, wälzt man die Person am Boden, um die Flammen zu ersticken
- Brennende Kleidung kann man auch mit Decken oder Wasser löschen- Eingebrannte Kleidung nie entfernen- Mit lauwarmem Wasser kühlen

Oberarzt Hans Joachim Grundhuber rät:

"Wenn die Kleidung nicht eingebrannt ist, ziehen Sie das Kind aus, stellen Sie es in die Badewanne und kühlen Sie die verbrannten Stellen zehn Minuten mit fließend lauwarmen Wasser von circa 20 Grad Celsius. Das gilt auch bei Verbrühungen durch heiße Flüssigkeit oder Dampf. Gelingt es nicht, das Kind auszuziehen, kühlen Sie durch die Kleidung. Aber: Je kleiner das Kind, desto weniger sollte man kühlen. Die Gefahr, dass der kleine Körper zu stark auskühlt ist groß. Falls der Notarzt nach der Kühlung noch nicht eingetroffen ist, wickeln Sie das Kind in Rettungsfolie aus dem Verbandkasten, mit der goldenen Seite zum Kind. Haben Sie diese nicht zur Hand, wickeln Sie das Kind in saubere Tücher. Versuchen Sie, Ruhe zu bewahren und bleiben Sie die ganze Zeit bei Ihrem Kind."
Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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