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Hebamme Ingeborg Stadelmann im Interview


Kult-Hebamme Ingeborg Stadelmann
"Geburtsschmerz wie Gipfel-Besteigen"

t-online, Simone Blaß

02.07.2013Lesedauer: 8 Min.
Ingeborg Stadelmann: Ihr Buch "Hebammensprechstunde" ist die Bibel unter den Hebammenratgebern.Vergrößern des BildesIngeborg Stadelmann: Ihr Buch "Hebammensprechstunde" ist die Bibel unter den Hebammenratgebern. (Quelle: Stadelmann Verlag)
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Ingeborg Stadelmann ist die Autorin eines Buches, das die meisten werdenden Mütter irgendwann einmal in die Hände bekommen. Ihre "Hebammensprechstunde" ist fast schon so etwas wie die Bibel unter den Ratgebern zu Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Ihr naturheilkundlicher Ansatz hat bereits viele junge Mütter dazu bewegt, Geburt wieder als natürlichen Vorgang zu begreifen und das Urvertrauen in den mütterlichen Körper und das Baby zu stärken.

Ingeborg Stadelmann kommt aus dem Allgäu und ist eng mit der Natur verbunden aufgewachsen. Das Elternportal von t-online.de führte ein Interview mit der Bestsellerautorin, deren Buch von den Verlagen zunächst abgelehnt wurde und die sich dann entschloss, es im Eigenverlag herauszubringen - mit vollem Erfolg.

Kritik gab es hauptsächlich von Kolleginnen

t-online.de: Über 500.000 Exemplare Ihres Buches wurden inzwischen verkauft. Eine Zahl, die für sich spricht. Was hat Ihrer Meinung nach den Nerv der Frauen getroffen?

Stadelmann: Ich denke, es ist die Mischung aus Wahrheit, Einfühlsamkeit und Authentizität, die überzeugt hat.

t-online.de: Glauben Sie, es hat auch etwas mit dem bewussten Verzicht auf Bilder und Fotos zu tun?

Stadelmann: Ja, schon. Kein Mensch ist duplizierbar. Jede Schwangerschaft, jede Geburt ist anders - und immer individuell. Ich empfinde es als wichtig, dass die Frauen sich im wahrsten Sinne des Wortes kein falsches Bild machen. Dieser Bauch ist so schön rund und glatt und meiner voller Schwangerschaftsstreifen, dieses Baby lacht und meines schreit - es macht keinen Sinn, irgendwelchen Zielen hinterherzulaufen.

t-online.de: Waren die Reaktionen auf Ihr Buch durchweg positiv?

Stadelmann: Zu 99,5 Prozent. Kritik kam eher mal aus den eigenen Reihen. Es gab Zeiten, da haben es mir manche Hebammen übel genommen, dass ich sozusagen unsere Berufsgeheimnisse verrate. Aber das ist inzwischen vorbei. Heute sind die Frauen schon von sich aus eher natürlich orientiert und freuen sich darüber, dass ich das Wissen über die Naturheilkunde aufgeschrieben habe, das durch die Industrialisierung fast schon verschüttet war.

Der Trend geht zurück zur Natürlichkeit

t-online.de: Würden Sie sagen, dass Frauen, die in großen Städten leben, mit den Themen Schwangerschaft und Geburt anders umgehen als solche, die mit der Natur enger verbunden sind?

Stadelmann: Auf jeden Fall, aber natürlich nicht zu 100 Prozent. Letztendlich hat es etwas mit dem Bewusstsein zu tun. Die Frauen in städtischen Gebieten sind häufig sehr kopforientiert. Wer auf dem Land lebt, ist wurzelorientierter, hinterfragt lang nicht so viel, sondern nimmt mehr als gegeben hin. Ich selbst bin im Allgäu aufgewachsen und habe von klein auf erfahren, wie ich mir die Natur zunutze machen kann. Trotzdem haben wir zum Beispiel in Berlin einen sehr hohen Geburtshausanteil.

t-online.de: Auf der einen Seite kann man einen vorsichtigen Trend zu mehr Natürlichkeit bei der Geburt wahrnehmen, auf der anderen Seite gibt es mehr Wunschkaiserschnitte. Wohin geht die Entwicklung? Werden die Hebammen in ihrer Funktion als "weise Frauen" an Wichtigkeit wieder gewinnen oder ist der Beruf eher eine aussterbende Gattung?

Stadelmann: Ich bin davon überzeugt, dass die Frauen sich wieder mehr auf die Natürlichkeit besinnen werden. Gott sei Dank gibt es in medizinischen Kreisen nun auch Stimmen, die sich fragen, was getan werden kann, um die steigende Zahl der Kaiserschnitte zu reduzieren.

t-online.de: Verstehen Sie Frauen, die eine so große Angst vor der Geburt haben, dass sie sich für einen Kaiserschnitt entscheiden?

Stadelmann: Ich kann schon verstehen, dass eine Frau sagt, ich trau mich nicht. Aber was macht sie, wenn der Strom ausfällt? Dann muss sie das Kind ja doch auf natürlichem Weg gebären. Im natürlichen Denken lässt sich eine Geburt nicht vorbestimmen. Und nur, wer sich einer Aufgabe stellt, kann auch versuchen, diese zu meistern. Ein Wunschkaiserschnitt ist eine Entscheidung, die sich nicht rückgängig machen lässt und die auch das Kind betrifft. Es wird ihm die Erfahrung des Sich-Durchkämpfen-Müssens fürs Leben fehlen.

Aus meiner Sicht ist eine Frau, die sagt, ich kann das nicht, trotzig. Dieser Trotz verschafft ihr aber eine Narbe, die sie mit ins Grab nehmen wird. Und nimmt ihr eine Erfahrung, die ihr unglaublich viel geben kann im Leben.

t-online.de: Wie wichtig ist der Geburtsschmerz in Ihren Augen?

Stadelmann: Sehr wichtig, für Mutter und Kind. Es ist vergleichbar mit dem Besteigen eines Gipfels. Wer mit der Gondel hochfährt, wird nie das Gleiche erleben wie derjenige, der den beschwerlichen Aufstieg wagt. Die Frau, die oben angekommen ist, weiß, welche Aufgabe sie bewältigt hat und wie viel tatsächlich in ihr steckt. Das Erleben einer Geburt gibt Frauen eine Kraft, die sie lebenslang nutzen können.

Viele Frauen kennen ihre Möglichkeiten gar nicht

t-online.de: Sie selbst haben drei Kinder. Haben die Geburten sie verändert, auch im Hinblick auf Ihren Beruf?

Stadelmann: Ja, sehr. Bei meinem ersten Kind habe ich schon gemerkt, dass ich es anders möchte und beim zweiten wurde mir so richtig klar, dass eine ganzheitliche naturheilkundliche Methode das Beste für Mutter und Kind ist. Aber auch bei mir als Hebamme hat sich viel getan. Mir war zum Beispiel vorher nicht wirklich bewusst, wie stark die Schmerzen sind und wie unwissend die Frauen.

t-online.de: Was ist Ihrer Ansicht nach die wichtigste Aufgabe einer Hebamme?

Stadelmann: Da zu sein. Und zwar von dem Moment an, in dem die Frau den Kontakt sucht. Ich kann jeder Schwangeren nur raten, sich schon früh um eine Hebamme zu kümmern. Es ist etwas sehr Wertvolles, dass wir in Deutschland diese großartige Möglichkeit haben. Die Kasse bezahlt die Hebammenleistung von Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende der Stillzeit. Ich finde es immer wieder erstaunlich, dass viele Frauen aber zum Beispiel gar nichts von der Möglichkeit wissen, ihre Vorsorgeuntersuchungen von einer Hebamme durchführen zu lassen. Ich bin jetzt seit 36 Jahren im Beruf, mein Buch ist 1994 erschienen und immer noch ist vieles bei den Schwangeren nicht angekommen.

t-online.de: Sie selbst sind als Hebamme nur noch online und telefonisch tätig. Fehlt Ihnen der direkte Kontakt zu den Frauen, fehlen Ihnen die Geburten?

Stadelmann: Tatsächlich war das Verlassen des "Erdenlichts", der von mir gegründeten Hebammenpraxis, die schwerste Entscheidung, die ich bis jetzt zu treffen hatte. Vor allem anfangs hat mir die Arbeit dort sehr gefehlt. Aber ich habe mich für den Auftrag entschieden, der mir dringlicher erschien: Wissen zu vermitteln, es zu verbreiten. Doch ich denke immer wieder gerne zurück.

t-online.de: Welche Geburt war die faszinierendste?

Stadelmann: Eine Hausgeburt im Allgäuer Tal. Draußen herrschte starkes Schneetreiben und es war Heiligabend. Es war wie im Bilderbuch.

t-online.de: Sie sind nicht nur Autorin, sondern gleichzeitig auch Verlegerin, halten Vorträge, sind viel unterwegs. Ihr neuestes "Baby" ist ein Versandhandel für alles, was junge Eltern brauchen.

Stadelmann: Ja, ich möchte den Müttern das bieten, was ich ihnen auch zu vermitteln versuche: unter anderem natürliche, schadstofffreie Textilien auf der Babyhaut. Ich stelle immer wieder fest, dass diesbezüglich in der breiten Bevölkerung noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten ist. Vor Kurzem habe ich mich mal, sozusagen inkognito, unter die Besucher einer Babymesse gemischt und war ziemlich erstaunt, wie viele Eltern über so manches überhaupt nicht nachdenken. Denen gegenüber steht aber eine Generation, die sehr bewusst handelt.

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"Die Angst dominiert heute wie früher"

t-online.de: Was denken Sie: Worin unterscheiden sich die Mütter von heute von den Müttern vor zehn, 20 oder 30 Jahren? Welche Themen dominieren heute und welche dominierten damals in den Gesprächen?

Stadelmann: Eins kann ich ganz klar sagen, die Angst dominiert heute wie früher. Doch heute steht mehr die Frage im Raum, was kann ich unternehmen, damit es nicht mehr zwickt und zwackt oder damit das Baby nicht mehr schreit? Die Eltern wollen eher eingreifen, verändern, die Situation beherrschen. Was ich auch verständlich finde, wenn ich mir ihre Lage ansehe. Die meisten frischgebackenen Mütter kommen direkt aus dem Berufsleben, waren gefordert, jeden Tag ihren Job zu erfüllen in einer sehr materiellen und wirtschaftlichen Gesellschaft. Sie haben ein riesiges Sicherheitsbedürfnis und suchen für jedes Problem eine Lösung.

t-online.de: Aber Lösungen haben doch sicher auch die Frauen früher schon gesucht?

Stadelmann: Ja, natürlich. Schon vor Hunderten von Jahren wurden Kindern mit Honig getränkte Tücher oder gar Bier angeboten, damit sie leise sind. Diesbezüglich waren junge Mütter schon immer auf der Suche nach wissenden Menschen und haben sich Rat bei Hebammen geholt. Nicht nur, wenn ein Kind kam, sondern auch, wenn eines auf sich warten ließ. Ein unerfüllter Kinderwunsch ist übrigens heute mehr denn je ein großes Thema in der Beratung, das viel Einfühlungsvermögen braucht.

Aber das grundsätzliche Problem ist: Heute wird Wissen nicht mehr gefiltert und das verunsichert. Es fehlen der gesunde Menschenverstand und das Urvertrauen. Aber, wenn es nicht mehr vorgelebt wird, wo sollen die Mütter sich das auch herholen?

t-online.de: Sie selbst haben inzwischen fünf Enkelkinder. Können Ihre Töchter und Schwiegertöchter etwas von Ihnen annehmen? Haben Sie selbst auch manchmal das Bedürfnis, helfend einzugreifen?

Stadelmann: Wir haben eine ganz tolle Vereinbarung getroffen: Wenn mir etwas auffällt, dann spreche ich es an. Wenn Fragen aufkommen, dann wird gefragt. Das klappt wunderbar und ich bin sehr stolz auf meine Familie.

Es mangelt an Solidarität unter den Frauen

t-online.de: Der Druck in unserer Gesellschaft ist groß. Wir sollen funktionieren, ja nicht schwach werden. Viele Frauen fühlen sich regelrecht gezwungen, nach einer Geburt so schnell wie möglich wieder fit zu sein und auch so auszusehen. Aus einem Wochenbett wird schnell ein Tagebett. Wie finden Sie diese Entwicklung?

Stadelmann: Entsetzlich. Ich stelle immer wieder fest, dass dieser Zwang aus den Frauen selbst kommt. Die Solidarität unter Frauen hat stark abgenommen. Das Verständnis füreinander, für die Situation der anderen geht verloren. Hier spielen Themen hinein wie fehlende Nachbarschaftshilfe, berufstätige Großmütter und Anonymität. Es fehlt das Füreinanderdasein. Eine Frau braucht diese acht Wochen nach der Geburt. Es ist weder ein Wochenkauf, noch ein Wochenlauf. Es heißt nicht umsonst Wochenbett. Hält die Frau es nicht ein, kann das schlimme Folgen für ihre Gesundheit haben. Aber um es einzuhalten, braucht sie Hilfe von außen.

t-online.de: Glauben Sie, dass Hilfe von außen in Form von Elternzeit, Herdprämie oder das Recht auf einen Betreuungsplatz tatsächlich den Kinderwunsch eines Paares beeinflussen können?

Stadelmann: Also, ich möchte nicht in der Haut eines Kindes stecken, das deswegen gezeugt wird.

Vertrauen in Mutter und Kind

t-online.de: Welchen Rat finden Sie persönlich für eine werdende Mutter am wichtigsten?

Stadelmann: Suchen Sie das blinde Vertrauen zum Kind und versuchen Sie, sich das immer zu behalten. Ihr Kind entscheidet mit. Im Moment des Zweifelns beziehungsweise des Verzweifelns ist es immer ein guter Rat, zurückzudenken an den Moment der Zeugung und den Moment der Geburt. Gerade die Frauen, die spontan geboren haben, können aus dieser Situation viel Kraft ziehen. Frei nach dem Motto: Wir haben das zusammen geschafft, da stehen wir alles andere auch gemeinsam durch.

t-online.de: Und was raten Sie dem Vater?

Stadelmann: Er soll Vertrauen haben in Mutter und Kind und dies der Frau gegenüber auch entsprechend äußern. Gerade das Wochenbett ist wie die Zeit der ersten Liebe, in der ein Liebespaar nicht aus dem Nest kommt. In diese Situation sollte die ganze Familie eintauchen dürfen - mit einem entsprechenden Bodyguard vor der Tür.

Die Anfangszeit mit einem Baby ist unwiederbringlich. Die Eltern sollten sie unbedingt nutzen als die schönste Zeit der wachsenden Bindung.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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