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Kinder von Samenspendern hadern mit ihrer Identität


"Ich würde schon gern wissen, wer er ist"

dpa, Marie Ludwig

23.10.2015Lesedauer: 4 Min.
Samenspende: Nicole S. weiß nicht, wer ihr Vater ist.Vergrößern des BildesNicole S. erfuhr mit zwölf Jahren, dass sie von einem unbekannten Samenspender stammt. (Quelle: dpa-bilder)
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Wer ist mein leiblicher Vater? Zehntausende Kinder in Deutschland wissen das nicht, denn sie wurden per Samenspende gezeugt. Der weiße Fleck in der eigenen Biografie kann sehr belastend sein. Ein Spenderkind, ein Arzt, ein Ethiker, eine betroffene Familie und ein Spender schildern ihre Erfahrungen.

"Ich würde schon gern wissen, wer er ist", sagt die 30-jährige Nicole aus Düren bei Aachen. Zu ihrer Mutter hat sie eine enge Beziehung. Von ihrem Vater weiß sie dagegen nichts. Es gibt keine Fotos, keinen Namen. Ihre Eltern kennen sich nicht, haben sich noch nie gesehen, geschweige denn berührt: Nicole ist eines von etwa 100.000 Kindern in Deutschland, die durch Samenspende gezeugt wurden.

Mutters Erklärungsversuch mit dem Bio-Buch

"Ich habe mit zwölf die Wahrheit erfahren", sagt Nicole und lacht darüber, wie ihre Mutter das Biologiebuch aus ihrem Schulranzen zog, um den richtigen Einstieg zu finden. "Mama ich weiß schon. Bienchen und Blümchen und so", habe sie damals gesagt. Aber eigentlich hatte das Gespräch mit etwas Anderem begonnen. Nicole machte sich Sorgen, dass sie werden könnte wie der Mann, der mit ihrer Mutter bis zu ihrem fünften Lebensjahr zusammen war.

Als sie erfuhr, dass dieser Mann nicht ihr Vater ist, empfand es Nicole nicht als schlimm, ein Spenderkind zu sein: "Ich war so erleichtert, dass er nicht mein Vater ist." Er sei mit ihr und ihrer Mutter schlecht umgegangen. Böse auf ihre Mutter sei sie nie gewesen: "Ich bin ein echtes Wunschkind."

Kindern die Samenspende besser verschweigen?

Thomas Katzorke ist Reproduktionsarzt und hilft seit gut 45 Jahren Frauen und Familien, Kinder durch Samenspende zu bekommen. Zwischen 3000 und 4000 Euro kann eine solche Befruchtung bei ihm kosten. In seiner Praxis in Essen verhilft er nach eigenen Angaben jedes Jahr zu rund 1000 Schwangerschaften. Er rät Eltern oft davon ab, ihren Kindern zu sagen, dass ihr Leben mit einer Samenspende begann. Der Spender sei keine dritte Bezugsperson, meint er.

Kenntnis der Abstammung ist in Deutschland nicht klar geregelt

Jeder Mensch hat Anspruch auf Kenntnis der eigenen Abstammung. So steht es in der UN-Kinderrechtskonvention, und so hat bereits 2013 das Oberlandesgericht im westfälischen Hamm in einem Fall entschieden. Es sprach einem Spenderkind das Recht zu, den Namen seines leiblichen Vaters zu erfahren. Ein Gesetz, das diese Fragen der Abstammung regelt, gibt es in Deutschland aber bisher nicht.

Samenspender Udo trifft eins seiner Kinder

Udo M. ist 70 und hat vor etwa 30 Jahren Samen gespendet. "Ich habe beim Blutspenden einen Flyer dazu gelesen", sagt der frühere Sozialarbeiter. Über fünf Jahre hat er alle vier Wochen gespendet.

Heute ist Udo einer der wenigen, die offen darüber reden: "Vor einigen Jahren habe ich einen Artikel über ein Mädchen gelesen, das seinen Papi sucht." Udo schluckt. Er selbst hat eine Tochter. Anschließend nahm er Kontakt auf und registrierte sich in einer DNA-Datenbank. Kurze Zeit später kam die Nachricht: Treffer gefunden, und Udo lernte seinen Sohn kennen.

Gewöhnlich hat ein Spender zwischen zehn und 15 Kinder. "Die Begegnung war im Grunde wenig spektakulär", sagt er. Keine Umarmung - man habe sich einfach unterhalten. Seitdem halten die beiden per E-Mail ein bisschen Kontakt.

Theorie der Forscher prallt auf Gefühle der Betroffenen

Etwa 50 bis 100 Euro bekommt ein Mann in der Regel für eine Samenspende. "Wir brauchen viel mehr Spender, die es tun, um Paaren zu helfen, die sich Kinder wünschen", findet Tobias Fischer. Er hat an der Hochschule RWTH Aachen seine Promotion über die ethischen Aspekte der Befruchtung durch Samenspende geschrieben. Er findet sie unter der Bedingung, dass es rechtliche Sicherheit für beide Seiten gibt, vertretbar: "Ein Kind braucht ein liebevolles Umfeld - keine Blutsverwandtschaft."

Der Verein "Spenderkinder" dagegen meint, das reiche nicht aus: Neben der Umwelt hätten nun mal auch Gene starken Einfluss auf jeden Menschen. Der Verein setzt sich seit 2007 für die Rechte von Spenderkindern ein. Dass eine genetische Elternhälfte eine Grauzone bleibe, sei unvertretbar. Wie auch bei der Adoption, sollte der biologische Vater in das Geburtenregister eingetragen werden. Das Vorgehen sei bisher zu sehr auf die Wünsche der Eltern zentriert.

Wann sollte das Kind die Wahrheit erfahren?

Claudia Brügge ist verheiratet und Mutter. Als sie 40 war, haben sie und ihr Mann sich entschlossen, ein Kind durch Samenspende zu bekommen. Heute setzt sie sich im Verein "DI-Netz" für alle Paare und Familien in Deutschland ein, die Unterstützung brauchen.

"Für unser Kind wurde der Name des Spenders bei einem Notar hinterlegt", sagt Brügge. Aber nicht nur die Rechte des Kindes wolle sie berücksichtigen, auch die Eltern müssten sich auf die besonderen Herausforderungen vorbereiten, wenn sie ein Kind zeugten, das mit dem Vater genetisch nicht verwandt sei. Es dem Kind früh zu sagen, sei ganz wichtig: "Je früher umso besser". Späte Aufklärung könne unter ungünstigen Umständen zum Schock führen.

Ein Gesetz kommt frühestens 2017

Auch wenn das Kind da sei, falle es manchen Eltern schwer, einen passenden Zeitpunkt zu finden, dem Kind alles altersgerecht zu erklären. "Ich bin froh, dass jemand meiner Mama geholfen hat", sagt Nicole. Für die Zukunft wünscht sie sich jedoch bessere Regeln: "Bitte endlich ein Gesetz, das die Rahmenbedingungen für alle Beteiligten klarstellt. Laut Justizministerium ist zwar bereits ein Arbeitskreis zum Thema Abstammung zusammengetroffen, aber mit einem Beschluss oder Gesetz könne erst Mitte 2017 gerechnet werden.

"Ich möchte wissen, wer das zweite Puzzleteil ist"

Über das Thema Samenspende werde zu wenig gesprochen, findet Nicole. Grundsätzlich gebe es ihrer Meinung nach nur zwei typische Reaktionen: "Einmal Typ Frau, die verstehen es meistens, warum ich meine Herkunft kennen möchte. Und dann Typ Mann: 'Wie, du willst das wissen? Du willst doch nur das Geld von deinem biologischen Vater.'" Nicole kontert: "Selbst wenn mein Vater Millionär wäre: Es interessiert mich nicht. Ich möchte einfach nur wissen, wer das zweite Puzzleteil ist."

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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