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Gefährliche "Fuckup"-Bewegung: Gescheiterte Unternehmer sind keine Heilsbringer


Gefährliche Bewegung
Gescheiterte Unternehmer sind keine Heilsbringer

MeinungEine Kolumne von Ursula Weidenfeld

Aktualisiert am 02.01.2018Lesedauer: 3 Min.
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Mitarbeiter der insolventen Air Berlin: Wenn Unternehmer scheitern, leiden darunter Mitarbeiter und Investoren.Vergrößern des Bildes
Mitarbeiter der insolventen Air Berlin: Wenn Unternehmer scheitern, leiden darunter Mitarbeiter und Investoren. (Quelle: Zinken/dpa)

Deutschland feiert neuerdings seine gescheiterten Unternehmer. Das ist ein gefährlicher Trend. Denn Gründer scheitern in den wenigsten Fällen allein.

2017 war das beste Jahr der deutschen Wirtschaftsgeschichte seit der Jahrtausendwende: Alles lief super. Die Wirtschaft wuchs, die Arbeitslosigkeit sank auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung, der Export stieg, die Steuereinnahmen erreichten ungeahnte Höhen.

Auch Merkel spricht von der "Kultur des Scheiterns"

Das schönste Ergebnis dieses Rekordjahrs aber ist eine echte gesellschaftliche Innovation: Auch das Scheitern können die Deutschen jetzt prima. Nach Jahrzehnten, in denen wirtschaftlich Gescheiterte geächtet wurden, wird Scheitern nun endlich als eigenständige Leistung anerkannt. Und: 2018 soll es noch besser werden. Die Pleitiers sollen im neuen Jahr nicht nur respektiert, sie sollen gefeiert werden. Die hocherwünschte "Kultur des Scheiterns" hat es bereits in die Ansprachen der Kanzlerin geschafft.

Das ist ein gefährlicher Trend. Denn eine solche Kultur hat nur dann Sinn, wenn unter dem Strich die Zahl der Gewinner wächst: wenn also durch das Verstehen von Misserfolgen weniger Fehler gemacht und bessere Firmen gegründet werden als zuvor. Davon aber ist Deutschland weit entfernt. Im aktuell entspannten wirtschaftlichen Umfeld ist die Lust am Scheitern kaum mehr als eine neue Umdrehung in der Spirale der Sorglosigkeit.

Keine Management-Konferenz kommt heute ohne ein Bekenntnis zum Scheitern aus, kein Mitarbeiter-Event ohne das Verlangen nach einer total offenen und beglückenden internen Fehlerkultur. Vortragsredner, die sich die Schönheit des Scheiterns als Thema ausgesucht haben, bekommen die höchsten Honorare, ihre Seminare sind ausgebucht. "Fuckup Nights" heißen Abende, an denen Pleite-Unternehmer bei Bier und Snacks von ihrem Desaster erzählen. Sie sind die Kultveranstaltungen der neuen Gründerwelle.

Scheitern als Bewegung ist gefährlich

Dabei sind sie, ähnlich wie die "Cashburn Rate" der ersten digitalen Gründungswelle, kein heilsames Reinigungsritual, sondern Anzeichen für die beginnende Phase der Irrationalität. Als die erste digitale Gründerhausse Ende des vergangenen Jahrtausends heißlief, wurden die Unternehmer gefeiert, die das Geld ihrer Investoren am schnellsten verjuxten. Bei den Bankrott-Partys der aktuellen Generation werden die Geschichten des Sterbens von Firmen bejubelt.

Wenn es nur darum ginge, gestrandeten Unternehmern eine zweite Chance zu geben, wäre die Sache goldrichtig. In Deutschland war es bisher kaum möglich, nach einer Insolvenz wieder auf die Beine zu kommen und eine neue Firma zu gründen. In diesem Punkt gab es tatsächlich Verbesserungsbedarf. Daraus aber eine Bewegung zu machen, die ausgerechnet einen der letzten und einsamsten Texte des Meisters des absurden Theaters, Samuel Beckett, als Mantra summt – "Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better." – ist nicht nur unbedarft. Es ist gefährlich.

Gründer scheitern nicht allein. Ihre Mitarbeiter und Angestellten verlieren ihren Arbeitsplatz. Ihre Kapitalgeber verlieren Geld, ihre Lieferanten bleiben auf offenen Rechnungen sitzen. Sie alle haben am Ende keine schönen Geschichten zu erzählen. Das gilt für die Insolvenz von Air Berlin genauso wie für den Gründer einer App-Fabrik mit zehn Angestellten. Wer ein Unternehmen gründet, übernimmt Verantwortung – nicht nur für sich selbst. Unternehmenspleiten schaden dem Wohlstand und zerstören Vertrauen.

Lernen Unternehmer doch nicht aus ihrem Scheitern?

Ein Drittel aller Unternehmensgründer gibt in den ersten drei Jahren nach der Gründung auf. Startups in der digitalen Szene sind noch riskanter. Hier ist nur eine von zehn Firmen dauerhaft erfolgreich. "Fail fast, fail often", heißt die neue Devise. Mach Deine Firma schnell zu, wenn sie nicht läuft, und gründe die nächste.

Bei der zweiten Unternehmensgründung haben Firmengründer zwar noch nahezu dieselben Erfolgsaussichten wie bei der ersten, hat das Institut für Mittelstandsforschung herausgefunden. Danach aber nimmt der Erfolg deutlich ab. Vielleicht, weil die meisten Gründer eben doch nicht aus dem Scheitern lernen?

Von ewigen Verlierern will niemand etwas wissen. Deshalb ist die neue Kultur keine andere als die gute alte Erfolgskultur, nur in neuen Kleidern. Das ist gut so. Für die Gründer. Für ihre Mitarbeiter. Und für das Land.

Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin. Ihr neuestes Buch heißt: "Regierung ohne Volk. Warum unser politisches System nicht mehr funktioniert."

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