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Günther-Jauch-Talk: So krank ist unser Gesundheitssystem


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"Gesundheit ist keine Ware" – Kliniken bei Günther Jauch am Pranger

t-online, Frank Lansky

Aktualisiert am 13.05.2013Lesedauer: 5 Min.
Von links nach rechts: Hendrik Schneider, Jürgen Graalmann, Sonia Seymour Mikich, Günther Jauch, Andrea Grebe und Jens SpahnVergrößern des BildesVon links nach rechts: Hendrik Schneider, Jürgen Graalmann, Sonia Seymour Mikich, Günther Jauch, Andrea Grebe und Jens Spahn (Quelle: imago-images-bilder)
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Enteignet und entrechtet, gebeutelt und geschlaucht, überdiagnostiziert und übertherapiert – so mies geht es Kranken in Deutschland. Die Kliniken stehen deswegen am Pranger: "Patientenfalle Krankenhaus – unnötige OPs für satte Gewinne?"- so hieß am Sonntag das Motto von Günther Jauch. Kronzeugin der Anklage war die Journalistin Sonia Seymour Mikich. Sie durchlief nach einer falschen Darmkrebs-Diagnose als Privatpatientin ein Martyrium im anonymen Krankenhaus-System. Und sie fordert: "Gesundheit ist keine Ware, kein Produkt wie alles andere." Doch so einfach ist die Sache nicht – nicht nur gierige Manager und Ärzte sind schuld an etwaigen Missständen, sondern auch die Politik.

Viele unvoreingenommen herein zappende Zuschauer dürften sich am Sonntag zunächst verwundert die Augen gerieben haben: Das deutsche Gesundheitssystem steht unter Anklage – wegen zu vieler Operationen. Doch wo liegt das Problem, wenn ein Land seinen Bürgern einen solch hohen Gesundheitsstandard beschert?

Deutschland bei Operationen vorne mit dabei

Die Redaktion von Jauch klärte auf und sorgte für einen kurzweiligen Abend: In kaum einem anderen Land operieren Ärzte so häufig wie bei uns. Laut einer aktuellen Studie der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) kommen die Bundesbürger auf die meisten Klinik-Behandlungen. Pro 1000 Einwohner zählt die OECD hierzulande 240 Behandlungen, während es in den Niederlanden nur 116 Behandlungen sind – der OECD-Durchschnitt liegt bei 155 Behandlungen. Deutschland belegt demnach hinter Österreich Platz 2 des internationalen Ranking.

Damit war die Anklageschrift formuliert: Operationen wie beispielsweise das Einsetzen eines künstlichen Hüftgelenks bescherten den Kliniken zwar satte Gewinne, seien oft aber gar nicht notwendig – und gefährdeten sogar die Gesundheit der Menschen. Krankenkassen und Gesundheitsexperten warnten deshalb vor unnötigen Eingriffen, Ärzte beklagten, dass zunehmend der Gewinn im Vordergrund stehe und nicht die bestmögliche Therapie für den Patienten.

OP-Prämien für Chefärzte

Der Einspieler verdeutlichte es: Eine Bandscheibe wird fünf Mal so häufig wie bei den Franzosen operiert, das Knie doppelt so häufig wie in Schweden. Überzeugend geriet auch der Einwurf von Günther Jauch, wonach er wegen seines gebrochenen Fußes von drei Ärzten drei verschiedene und unterschiedlich teure Ratschläge erhielt – sofort operieren, Gips anlegen, gar nichts machen.

Für einiges Staunen sorgte ein weiterer Einspieler: Chefärzte erhalten demnach Prämien für die Erreichung bestimmter Ziele bei Operationen – je mehr künstliche Knie-Gelenke pro Jahr eingebaut würden, desto höher das Gehalt. Damit wäre in der Tat die These gestützt, dass viele Kliniken gerne und häufig die profitablen Operationen bei Hüfte, Knie, Bandscheibe und Herzkatheder vornehmen, damit die Zahlen stimmen.

Sind Ärzte-Boni wirklich nicht zu kippen?

Der an diesem Abend bestens aufgelegte CDU-Politiker Jens Spahn – er ist Bundestagsabgeordneter und gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion – bestätigte, dass es diese Boni gebe und erläuterte, die Bundesregierung könne solche Zielerreichungsprämien aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht stoppen – deshalb habe das Kabinett zumindest die Offenlegung der Verträge beschlossen. Der ebenfalls eloquente Vorstandsvorsitzende der AOK, Jürgen Graalmann, warf ein, es gebe sehr wohl rechtliche Mittel, um diese Boni zu kippen – welche, wurde leider nicht thematisiert, das hätte die Zuschauer doch garantiert interessiert.

Ein weiterer interessanter Einspieler informierte über die Leistungspauschale – offensichtlich ist sie als Vergütungssystem der Krankenhäuser tatsächlich ein Fehlanreiz für eine inhumane Behandlung. Die Fallpauschale wurde 2003 von der rot-grünen Regierung eingeführt, damals ließen die Krankenhäuser die Patienten gerne über das Wochenende auf der Station, damit die Auslastung stimmte, was aber die Kosten nach oben trieb. Seitdem hat sich die Sache umgedreht: Die Krankenhäuser wollen die Patienten nach einer Operation schnell wieder loswerden, die Bedürfnisse der Menschen geraten somit in den Hintergrund.

Wie sehr setzt das Management Ärzte unter Druck?

Auf der Anklagebank saß vor allem Andrea Grebe, Geschäftsführerin Klinikmanagement der Vivantes-Kliniken. Doch sie blieb den Abend über blass und nervös und überließ anderen die Bühne. Die Managerin räumte ein, dass die gesamte Medizin unter einem zunehmenden Zeitdruck und einer Ökonomisierung leide – so hätten die Patienten vor zehn Jahren bei einem Herzinfarkt drei Wochen im Krankenhaus gelegen, nun seien es gerade einmal fünf Tage. Grebe führte aber auch die moderne Technologie an: Mehr Computer- und Kernspin-Tomografie trieben zwar die Kosten nach oben, verkürzten aber auch die Heilung.

Hendrik Schneider, Freier Anästhesist und Notarzt ließ all dies nicht gelten und urteilte empört: Das Patientenwohl habe immer weniger Relevanz. Und weiter: Die Ärzte stünden unter einem enormen wirtschaftlichen Druck des Managements, um auf Teufel komm raus zu operieren.

Sind staatliche Ärzte wirklich besser?

Doch CDU-Mann Spahn konterte: Als Freiberufler könne sich Schneider offen über eine Online-Plattform buchen lassen – und laut den dort angezeigten Honoraren bringe es der Anästhesist so bis auf 16.000 Euro pro Monat, somit sei er keinesfalls dem Management ausgeliefert. Erstaunlicherweise gab es darauf von dem Narkose-Arzt keine Replik. Hier hätte den Zuschauer interessiert, wie viel er wirklich verdient – schließlich war es Schneider, der lautstark die Marktmacht als patienten- und mitarbeiterverachtend kritisiert hatte, obwohl er selbst vielleicht prima vom System provitiert.

Weltfremd geriet die Forderung des Anästhesisten, wonach Ärzte nicht mehr nach Leistung bezahlt werden sollten – vielmehr sollten sie durch Steuern finanziert sein, wie in Skandinavien. Nun widersprach der CDU-Mann, dass verbeamtete Mediziner keinesfalls bessere Leistung erbringen, als solche im freien Markt. So habe Großbritannien wegen der herrschenden Nine-to-Five-Mentalität Probleme, an Wochenenden Ärzte zu finden und müsse teuer welche aus dem Ausland einfliegen.

AOK-Chef beklagt die Überversorgung

Leider stand bei Jauch nur einseitig der vermeintlich böse Wettbewerb am Pranger. Dabei wurde klar, dass es wohl noch einen ganz anderen Grund für etwaige Missstände gibt. Ein entsprechender, sehr interessanter Hinweis des AOK-Vertreters ging aber unter: In einem 50-Kilometer-Umkreis rund um Essen gebe es insgesamt 100 Kliniken – alle konkurrierten miteinander um die Patienten, alle müssten irgendwie ihre Verwaltung finanzieren. Damit wurde klar: Die Politik in Form von Bürgermeistern, Landräten und auch Landespolitikern verhindert allzu oft eine Beseitigung der Überversorgung.

Dabei ist die durchaus möglich, wie ein Positiv-Beispiel des AOK-Mannes zeigte: In Goslar hätten sich fünf Krankenhäuser nun auf diverse Teilgebiete spezialisiert, anstatt alle eine Rundum-Versorgung anzubieten.

Konkurrenz als positives Element

Auch CDU-Gesundheitspolitiker Spahn brachte den Konkurrenzdruck als positives Element ins Spiel: Wieso solle ein gutes Krankenhaus nicht mehr verdienen als ein schlechtes, fragte er. Hier forderte ihn der AOK-Chef Graalmann auf, in der kommenden Legislaturperiode dafür zu sorgen, dass die Krankenkasse nicht länger schlechte Krankenhäuser finanzieren müsse. Der CDU-Mann nahm die Vorlage auf, was Jauch leider ebenfalls ignorierte: Die Kliniken seien Sache der Länder und diese blockten eben eine Effizienz-Reform ab.

Ist die Lage wirklich so schlimm?

Zu guter Letzt drängte sich sogar der Eindruck auf: So viel Skandal ist nicht, alle Patienten können sich beruhigt zurücklehnen. Natürlich kann niemand, der schon einmal selbst unters Messer musste behaupten, alles sei prima in deutschen Kliniken. Doch die Patienten können sich durch gesunden Menschenverstand schützen: "Vor einer Operation ist die Zweitmeinung Pflicht", betonte Michaela Schwabe von der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland in Berlin. Der Arzt müsse Alternativen zu einer Operation nennen, ansonsten könne eine OP auch mal eine Körperverletzung sein.

AOK-Mann Graalmann relativierte einige Vorwürfe: "Das Gesundheitswesen in Deutschland ist eines der besten der Welt". Der CDU-Politiker Spahn hieb in die gleiche Kerbe: Pro Jahr gebe es in Deutschland 17 Millionen Fälle im Krankenhaus, davon seien 85 Prozent zufrieden. Für seine Feststellung erhält er Applaus im Studio. Und selbst Sonia Mikich konstatierte: 80 Prozent der Kliniken in Deutschland seien ja prima.

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