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Beschneidung: Straftat oder zulässiger Brauch?


Umstrittene Beschneidung
Was Beschneidung aus Sicht von Vätern und Ärzten bedeutet

dpa, Stephan Scheuer, dpa

Aktualisiert am 04.09.2014Lesedauer: 5 Min.
Beschneidung: Ein Arzt operiert einen zweijährigen Jungen.Vergrößern des BildesDie Beschneidung kleiner Jungen wird gesetzlich neu geregelt. (Quelle: Kay Nietfeld/dpa-bilder)
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Über die Beschneidung von Jungen wird heftig gestritten. Ist es Körperverletzung oder religiöses Recht? Ein Vater gibt Einblick in die Operation seines Sohnes und klagt über die laufende Debatte um den Gesetzesentwurf. So läuft eine medizinisch einwandfreie Beschneidungs-OP ab.

Der weiße Mundschutz bläht sich auf und fällt wieder in sich zusammen. In kurzem Rhythmus. Zakarya El Sesiy atmet rasch. Die Anspannung ist dem stämmigen 58-Jährigen im blauen OP-Kittel anzusehen. Aber er möchte keinen Moment verpassen. Seine Augen sind starr auf einen kleinen Operationstisch gerichtet. Dort liegt sein Sohn. "Ein Teil von mir", sagt der Vater mit fester Stimme, während er sich etwas unsicher an die Wand lehnt. Ein Arzt beugt sich über das Kind. Es kann losgehen - der knapp Zweijährige wird heute beschnitten.

"Tupfer!", ruft Doktor Aref El-Seweifi einer Krankenschwester zu. Die Griffe des Urologen mit dem Schnurrbart sind geübt. Der 56-Jährige lässt sich Zeit für jeden Schritt. Er steht im OP in einer Privatklinik in Berlin, seine lockigen braunen Haare bedeckt eine grüne Haube. Auf einem Tablett liegen die Instrumente: Scheren, Pinzetten, Tupfer, Fäden und ein Skalpell. Bis zu 30 Beschneidungen macht der Facharzt im Jahr.

Beschneidung - aus Tradition, aus Überzeugung

Eigentlich war die Welt für Muslime und Juden in Deutschland klar: Aus religiösen Gründen ließen sie ihre Jungen beschneiden. Aus Tradition, aus Überzeugung. Und kaum jemand nahm Notiz davon. Doch im Mai dieses Jahres geriet diese Welt ins Wanken. Ein Kölner Gerichtsurteil hatte die Beschneidung eines Vierjährigen als Körperverletzung eingestuft. Seither wird um eine bundesweite Regelung gerungen, die beiden Seiten gerecht wird - dem deutschen Rechtsempfinden und dem religiösen Brauch.

Heftige Diskussion um ein wichtiges Ritual

El Sesiy wollte sich von der Debatte nicht einschüchtern lassen. Der Informatiker mit den dunklen Haaren und dem freundlichen Blick hat vier Söhne. Drei sind beschnitten, und nun ist der vierte dran. Auch die Diskussion könne daran nichts ändern, betont er. Aber sie ärgert ihn trotzdem: "Die Regierung hat es nicht geschafft, die NPD zu verbieten, aber nun will sie Beschneidungen unter Strafe stellen?", fragt er besorgt.

Für den Islam und das Judentum ist die Beschneidung ein wichtiges Ritual. Nach jüdischer Tradition werden Jungen am achten Lebenstag beschnitten. Es ist ein Symbol für den Bund, den Gott mit Abraham schloss. Im Islam wird als Zeichen der Religionszugehörigkeit bis zum Alter von 13 Jahren beschnitten.

Gleichmäßig piept ein Messgerät, das den Kreislauf des Jungen überwacht. El-Seweifi schaut kurz zu dem Apparat und macht dann weiter. Der Arzt ist in seinem Element. Er tupft, schneidet und tupft wieder. "Bitte halten Sie hier fest", weist er seine Assistentin an. "Genau so, und jetzt stillhalten." Der Arzt rückt seinen grünen Kittel zurecht, bevor er zum Skalpell greift.

Gesetzesvorschlag: Wann Beschneidung straffrei ist

El Sesiys Sorge, dass solche Eingriffe künftig geahndet werden, scheint unbegründet. Inzwischen gibt es einen gemeinsamen Gesetzesvorschlag von Union und FDP. Beschneidungen bleiben demnach unter bestimmten Voraussetzungen straffrei. Dem Entwurf zufolge dürfen nicht nur Ärzte, sondern auch von Juden oder Muslimen dazu vorgesehene Personen den Eingriff an bis zu sechs Monate alten Jungen vornehmen, sofern dies medizinisch fachgerecht geschieht. Bei dem Eingriff soll möglichst Schmerzfreiheit gewährleistet sein, und er soll verboten sein, wenn es eine "Gefahr für das Kindeswohl" gibt.

Kritiker: "Vorhaut-Amputation" und "Kindesmisshandlung"

Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hatte Ende September Eckpunkte für die künftigen Beschneidungsregelungen vorgelegt. Zwar fand das Papier viel Zustimmung. Aber es konnte letztlich nicht alle Seiten zufriedenstellen. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland kritisierte die Regelung, nach der nur der Eingriff bei Kindern im Alter von bis zu sechs Monaten nicht von einem Arzt vorgenommen werden muss. Die Deutsche Kinderhilfe stellte sich komplett gegen das Papier und sprach von "Vorhaut-Amputation" und "Kindesmisshandlung".

Der Mediziner El-Seweifi hat seine eigene Meinung: "Beschneidungen in Moscheen und Synagogen sollten verboten werden. Das sollen nur Ärzte mit ausreichender Ausbildung und Ausstattungen machen dürfen", sagt er. Doch das hat seinen Preis, denn meist zahlt die Krankenkasse den Eingriff nicht. Eine Beschneidung kostet bei El-Seweifi im Schnitt zwischen 300 und 400 Euro.

Stümper oder Mediziner - eine Frage der Kosten?

"Ein Beschneider in einer Moschee macht das sicherlich für 100 Euro", sagt der Urologe. Dafür komme es dabei immer wieder zu Komplikationen. "Die haben meist keine Ausbildung und kennen nur ein paar Koranverse", klagt El-Seweifi. Oft müsse er später stümperhaft durchgeführte Eingriffe aufwendig korrigieren. Außerdem reiche die Betäubung oft nicht aus. Dadurch trügen Kinder zusätzlich seelische Schäden von den schmerzhaften Operationen davon. Eine Einschätzung, die auch andere Mediziner und Fürsprecher der Kinder teilen.

El-Seweifi greift ein letztes Mal zum Skalpell. Ein finaler Schnitt und die Vorhaut ist ab. Behutsam nimmt die Schwester das kleine Stück Haut mit einer Pinzette und lässt es in einen Plastikbehälter fallen. Währenddessen vernäht der Urologe die offenen Stellen. "Der Faden löst sich später einfach auf. Den Jungen müssen wir daher nicht mehr unnötig mit dem Fäden-Ziehen belasten", verkündet der Mediziner.

30 Minuten dauert der ambulante Eingriff

"Schauen Sie!", ruft El-Seweifi dem Vater zu. Der tritt ganz nah an den Arzt heran und guckt ihm über die Schulter. Beide Männer stammen aus Alexandria in Ägypten. "Hier, alles ganz sauber und gleichmäßig - so soll es sein", sagt der Arzt und präsentiert stolz seine Arbeit. Rund 30 Minuten hat der ambulante Eingriff gedauert. Alles ist gut gegangen. Langsam wird das Kind wieder aus der Narkose aufwachen.

Der Arzt zieht sich mit dem Vater in einen kleinen Raum zurück, während sich ein Anästhesist um den Jungen kümmert. El Sesiy erzählt von den Operationen seiner anderen Söhne. "Da wurde die Haut einfach nach vorne gezogen und abgeschnitten." Der Urologe schaut ihn mit strengen Augen an. Er hatte die Haut Stück für Stück abgetrennt und danach alles vernäht.

Selbst Mediziner sind sich nicht einig

"Das muss von Profis gemacht werden", fordert der Arzt nachdrücklich. Beschneidungen seien überhaupt sinnvoll, nicht nur aus religiösen Gründen: Der Eingriff senke das Risiko für Peniskrebs um das 20-Fache, vermindere das Risiko von HIV-Infektionen und auch das Risiko für Gebärmutterhals-Krebs für Partnerinnen. "Es sollten viel mehr Männer beschnitten werden!", sagt El Sesiy. Allerdings sind seine Aussagen unter Medizinern umstritten.

30 Prozent der Männer weltweit sind beschnitten

Neben religiösen spielen dennoch auch hygienische Gründe eine Rolle, zum Beispiel in den USA. Viele Urologen raten Männern aber nur bei Problemen zu einer Beschneidung - bei häufigen Entzündungen der Vorhaut, der Harnwege oder Schmerzen bei der Erektion. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass weltweit 30 Prozent der Männer beschnitten sind.

Großes Fest nach dem Eingriff

Vater El Sesiy setzt sich behutsam an das Bett seines Jungen. Er liegt friedlich in einem Aufwachraum und atmet ruhig. Bald ist ein großes Fest für den Kleinen geplant. Die Beschneidung soll gefeiert werden. "Das wird für ihn wie Weihnachten und Ostern zusammen", sagt El Sesiy. Nun müsse aber alles verheilen. Behutsam streichelt er seinem Kind über den Bauch und schließt kurz seine Augen.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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