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Zunahme von Zwillingsgeburten: Mehr Glück im Doppelpack


Zunahme von Zwillingsgeburten: Mehr Glück im Doppelpack

Von spiegel-online
29.12.2011Lesedauer: 6 Min.
Weniger als 16 Prozent der Zwillingseltern verdanken ihren Kindersegen dem Reagenzglas.Vergrößern des BildesWeniger als 16 Prozent der Zwillingseltern verdanken ihren Kindersegen dem Reagenzglas. (Quelle: imago-images-bilder)
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Kennen Sie jemanden, der Zwillinge hat, bekommt oder selbst Zwilling ist? Höchstwahrscheinlich ja. Und haben Sie auch den Eindruck, dass immer mehr Kinder im Doppelpack unterwegs sind und häufiger Zweier-Kinderwagen über den Gehweg geschoben werden? Ihr Gefühl trügt nicht. Bekamen in Deutschland 1977 noch neun von 1000 Frauen zwei Kinder auf einmal, waren es im vergangenen Jahr doppelt so viele.

Der Grund sind die künstlichen Befruchtungen, werden Sie vielleicht sagen, und auch da haben Sie Recht - aber nur bedingt. Denn längst nicht alle Zwillingsgeburten gehen in Deutschland auf IVF (In-vitro-Fertilisation) oder ICSI (Intracytoplasmatische Spermiuminjektion) zurück: Tatsächlich verdanken weniger als 16 Prozent der Zwillingseltern ihren Kindersegen dem Reagenzglas. Warum aber kommen immer mehr Kinderpaare zur Welt? Spielt die Ernährung eine Rolle oder sind die Gene verantwortlich? Und warum gibt es in der "Hauptstadt der Zwillinge" in Nigeria kaum eine Familie, in der keine Zwillinge aufwachsen?

Die Laune der Natur

In den meisten Fällen entstehen Zwillinge auf natürlichem Weg: Nach der sogenannten Hellin-Regel trägt eine von 85 Schwangeren zwei Kinder aus, eine von 85² Drillinge (1:7225) und eine von 85³ Schwangeren (1:614.125) Vierlinge. Tatsächlich liegen die Zahlen allerdings deutlich höher. Für eine genauere Betrachtung ist die Unterscheidung zwischen eineiigen (monozygoten) und zweieiigen (dizygoten) Zwillingen wichtig: Monozygote entstehen, wenn sich eine bereits befruchtete Eizelle in zwei Embryonalanlagen teilt - eine Laune der Natur. So können auch eineiige Drei- oder gar Vierlinge entstehen, alle tragen das gleiche genetische Material. Eineiige Zwillinge machen derzeit etwa ein Viertel aller in Deutschland geborenen Zwillinge aus, sie kommen mit einer Wahrscheinlichkeit von 4:1000 zur Welt - die Rate ist seit Jahrzehnten konstant.

Zweieiige Zwillinge hingegen werden immer häufiger geboren. Genetisch gesehen sind zweieiige Zwillinge einander nicht ähnlicher als nacheinander geborene Geschwister, statistisch teilen sie sich also die Hälfte ihres Erbguts. Sie entstehen, wenn eine Frau in einem Zyklus zwei Eisprünge hat und beide Eizellen von je einem Spermium befruchtet werden. Wenn Sie einer Zwillingsmutter mit einem Jungen und einem Mädchen begegnen, können Sie sich also die Frage sparen, ob die beiden eineiig sind.

Die künstliche Befruchtung

In etwa jedem sechsten Fall kommen zweieiige Zwillinge zur Welt, weil das Elternpaar nicht auf natürlichem Weg Kinder zeugen konnte und die Eizellen der Frau künstlich befruchten lässt. In der Regel entstehen dabei mehrere Embryonen, bis zu drei dürfen in Deutschland implantiert werden. Doch je mehr Kinder gleichzeitig im Bauch der Mutter heranwachsen, desto kleiner ist die Überlebenschance der Babys und desto größer die Belastung für die Mutter. Inzwischen tendieren Ärzte dazu, nur ein oder zwei Embryonen einzusetzen - allerdings sinkt dadurch auch die Wahrscheinlichkeit für eine Schwangerschaft. Seit 2000 ist der Anteil der Drillingsgeburten nach IVF oder ICSI dem Deutschen IVF-Register (DIR) zufolge dadurch von über 5,5 Prozent auf 2,1 Prozent im Jahr 2010 gefallen.

Die Hormontherapie

In vielen Fällen - genaue Zahlen liegen Ärzten nicht vor - entstehen Zwillingsschwangerschaften nach Hormongaben, die den Eisprung der Frau stimulieren sollen. Weit größer als bei der künstlichen Befruchtung ist hier das Problem der sogenannten höhergradigen Schwangerschaften mit drei oder mehr Kindern. "Die Dosis der Hormongabe hängt zwar in der Theorie direkt mit der Stärke der Follikelstimulation zusammen", sagt Jan Krüssel, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin. "Aber es gibt auch Fälle, in denen unerwartet vier oder sogar mehr Eizellen heranreifen." Um eine solche Hochrisiko-Schwangerschaft zu vermeiden, lassen sich viele Frauen nach Hormongaben regelmäßig per Ultraschall untersuchen. "Wenn wir sehen, dass vier Eizellen befruchtet werden können, raten wir dem Paar dringend, auf Geschlechtsverkehr zu verzichten", erklärt Krüssel.

Es existieren nicht überprüfbare Berichte, nach denen Frauen zehn Kinder geboren haben sollen. Bestätigt ist, dass bereits mehrfach Neunlinge zur Welt kamen, die jedoch nach der Geburt starben. In den USA hat eine Frau im Jahr 2009 Achtlinge geboren, die sechs Jungen und zwei Mädchen überlebten alle.

Das Alter der Mütter

Ein weiterer wichtiger Faktor für die wachsende Zahl von Zwillingsschwangerschaften in Deutschland und anderen Industrienationen ist das steigende Alter der Mütter. Paradox dabei ist: Je älter eine Frau ist, desto unwahrscheinlicher wird sie schwanger, aber desto wahrscheinlicher bekommt sie Zwillinge.

Mediziner wissen heute, dass Frauen mit zunehmendem Alter öfter zwei Eisprünge gleichzeitig pro Zyklus haben. Sie vermuten Veränderungen im hormonellen Regelkreislauf als Ursache: Es gibt Hinweise darauf, dass die Menge des sogenannten Follikelstimulierenden Hormons (FSH), das die Eizellreifung anregt, in der Endphase des reproduktiven Lebens ansteigt und seine natürliche Konzentrationskurve ändert. Das führt dazu, dass die sogenannte Schwellendosis, die einen einzelnen Eisprung auslöst, mitunter überschritten wird, schreibt Reproduktionsmediziner Krüssel in einem Übersichtsartikel in "Der Gynäkologe". Liegen zwei sprungreife Follikel vor, steige die Wahrscheinlichkeit für eine Zwillingsschwangerschaft.

Gewicht und Größe

Neben dem Alter der Frau scheinen auch ihr Gewicht und ihre Größe Einfluss darauf zu haben, ob sie mit Zwillingen schwanger wird. US-Forscher haben die Zwillingsraten von Frauen zwischen 1959 und 1966 untersucht - also bevor es künstliche Befruchtungen gab. Ihren Ergebnissen zufolge stieg die Chance für eine Zwillingsschwangerschaft mit zunehmendem Body-Mass-Index (BMI) und war am höchsten bei fettleibigen Frauen mit einem BMI von über 30. Auch besonders große Frauen bekommen den Resultaten zufolge eher Zwillinge. Vor dem Hintergrund, dass es weltweit anderthalb Milliarden übergewichtige Menschen gibt und 500 Millionen sogar fettleibig sind, könnte auch diese Entwicklung zu der Zunahme von Zwillingen beitragen. Um den Zusammenhang definitiv zu belegen wären allerdings noch weitere Studien notwendig.

Die körperliche Fitness

Während übergewichtige Frauen ein größeres Risiko für Folgekrankheiten haben, hat eine in der Fachzeitschrift "Proceedings of the Royal Society B" publizierte Untersuchung von US-Forschern auf einen anderen Trend hingewiesen: Demnach sind Frauen, die Zwillinge bekommen, insgesamt gesünder als andere Mütter. Sie leben länger, bekommen mehr Kinder als erwartet, diese schneller hintereinander und über einen längeren Zeitraum hinweg als ihre Geschlechtsgenossinnen. "Zwillinge zu bekommen, macht die Frauen nicht stärker", fasst Studienautorin Shannen Robson, Anthropologin an der University of Utah, ihre Ergebnisse zusammen, "sondern stärkere Frauen bekommen eher Zwillinge."

Die Gene

Zudem spielt auch die Vererbung eine entscheidende Rolle: Zweieiige Zwillinge kommen familiär gehäuft vor. Die Schwester einer Zwillingsmutter etwa hat eine doppelt so große Chance, zwei Kinder gleichzeitig zu bekommen, wie der Rest der weiblichen Bevölkerung. Da es sich um die Veranlagung handelt, dass zwei oder mehrere Eizellen in einem Zyklus heranreifen und springen, wird diese Prädisposition ausschließlich über die Frauen vererbt - und nicht, wie oft vermutet, über die Männer.

Die Hightech-Medizin

Nicht zuletzt tragen die medizinischen Fortschritte dazu bei, dass die Zahl der Zwillinge steigt. So können Ärzte im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge Auffälligkeiten per Ultraschall oder Labortest erkennen. Droht etwa eine Frühgeburt, so bekommt die werdende Mutter Kortikoide gespritzt, die die Lungenreifung der ungeborenen Kinder fördern. Zudem muss die Schwangere Bettruhe halten. Auch Lasereingriffe können das Leben der Kinder retten. Das Ensemble der Maßnahmen fruchtet: Während laut statistischem Bundesamt im Jahr 1950 noch 48 von 1000 geborenen Mehrlingen tot zur Welt kamen, waren es im Jahr 2010 nur acht.

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Auch die anschließende intensivmedizinische Versorgung ist deutlich besser geworden: Das Risiko einer Frühgeburt vorm Ende der 37. Schwangerschaftswoche ist bei Zwillingen deutlich höher - auch wenn die durchschnittliche Schwangerschaftsdauer mittlerweile bei 38 Wochen liegt. Doch durch Schutz vor Keimen, durch sanfte Atemunterstützung und Inkubatoren, in denen die Frühchen warmgehalten werden, sind die Überlebenschancen gestiegen. Mitunter gelingt es Ärzten in Einzelfällen sogar, Kinder zu retten, die weniger als 23 Wochen im Bauch der Mutter heranwuchsen.

Ernährung und Glaube

In Nigeria ist das alles anders: Hightech gibt es hier nicht, die hygienischen Bedingungen sind oft schlecht, die Lebenserwartung gering. Dennoch leben in dem westafrikanischen Land viel mehr Zwillinge als in Europa. Das kleine Dorf Igbo-Ora etwa wird als "Hauptstadt der Zwillinge" bezeichnet, hier gibt es kaum eine Familie, in der keine Zwillinge aufwachsen. Viele Einheimische glauben, dass die Ernährung verantwortlich ist: In der Yams-Wurzel, die in verschiedenen Formen zum üblichen Speiseplan zählt, sind Substanzen enthalten, die dem weiblichen Hormon Progesteron ähneln. Das Hormon wird in der Naturheilkunde allerdings sowohl zur Empfängnisverhütung als auch bei Kinderwunsch eingesetzt. Wissenschaftlich wurden solche Zusammenhänge bislang nicht belegt. US-Forscher haben allerdings Hinweise darauf gefunden, dass in Nahrungsmitteln wie Fleisch enthaltene Wachstumsfaktoren möglicherweise die Entstehung einer Zwillingsschwangerschaft beeinflussen.

Doch auf die Wissenschaft kommt es den Einheimischen von Igbo-Ora nicht so sehr an. Viele Frauen in der Region wünschen sich, zwei Kinder auf einmal zu bekommen, denn eines steht unter den Gläubigen hier fest: Zwillinge sind ein Geschenk Gottes.

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