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Wenn Eltern ein Lieblingskind haben


Sonnenscheinchen und Augenstern
Wenn Eltern ein Lieblingskind haben

t-online, Nicola Wilbrand-Donzelli

14.03.2016Lesedauer: 4 Min.
Viele Eltern haben - bewusst oder unbewusst - ein Lieblingskind.Vergrößern des BildesViele Eltern haben - bewusst oder unbewusst - ein Lieblingskind. (Quelle: Thinkstock by Getty-Images-bilder)
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Die meisten Eltern würden nie zugeben, dass sie ihr Kinder ungleich behandeln und eines bevorzugen. Dabei haben Studien nachgewiesen, dass das normal ist. So können Eltern ihr unbewusstes Verhalten entlarven und gegensteuern.

Ob in der Bibel bei Jakobs Söhnen oder im der Märchenwelt der Brüder Grimm - Lieblingskinder beziehungsweise ihre benachteiligten Brüder und Schwestern sind seit jeher ein verbreiteter Erzählstoff. Über Jahrhunderte konzentrierten sich Eltern auf ihren ältesten oder gesündesten Nachkommen. Der erstgeborene Sohn erbte grundsätzlich Haus und Hof. Ob sich andere Geschwister dadurch ungerecht behandelt fühlten, interessierte niemanden.

Gleichbehandlung ist heute pädagogisches Ideal

Heute gehört es im Rahmen der Liberalisierung und Demokratisierung unserer Gesellschaft zum Eltern-Ideal, kein Kind vorzuziehen. "Von guten Eltern wird erwartet, dass sie ihre Kinder gleich behandeln", erklärt der Pädagoge und Psychologe Hartmut Kasten in seiner Publikation "Lieblingskinder aus der Sicht der Geschwisterforschung". Niemand gestehe sich ein, dass er ein Kind bevorzuge. Das sei ein Tabu.

Dabei könnten Eltern das Ideal des Gleichheitsprinzips gar nicht erfüllen, kommentiert Kasten. Der einzigartige Charakter jedes Kindes und seine altersspezifischen Bedürfnisse bedingten zwangsläufig ein unterschiedliches Verhalten der Eltern. "Gleichbehandlung ist Unsinn und auch faktisch nicht möglich. In früheren Zeiten, als es größere Geschwisterreihen gab und Kinder weniger individuell behandelt wurden, war das anders."

Die meisten Eltern haben ein Lieblingskind

Erziehungswissenschaftler haben nachgewiesen, dass die Bevorzugung beziehungsweise Benachteiligung einzelner Geschwister durch ihre Eltern keine Ausnahme, sondern eher die Regel ist. "Favoritismus" nennt sich das in der Fachsprache. So ergab 2010 die Untersuchung "Within-Familiy-Differences" des US-amerikanischen Soziologen Karl Pillemer, dass sich 70 Prozent der Mütter einem ihrer Sprösslinge näher fühlten. Nur 15 Prozent der Kinder waren von einer Gleichbehandlung der Geschwister überzeugt. Analysiert wurden dabei die Aussagen von 700 mittlerweile erwachsenen Kindern und deren Müttern.

Ähnliches ergab eine Langzeitstudie der Universität von Kalifornien. Dafür wurden auch Väter befragt, von denen ebenfalls etwa zwei Drittel zugaben, ein Lieblingskind zu haben.

Die Seele dauerhaft benachteiligter Geschwister leidet

Glücklicherweise trete dieses Phänomen etwa in 90 Prozent der Familien nicht ständig, sondern nur vorübergehend auf, erklärt Kasten. Deshalb sei das meist nicht mit gravierenden Nachteilen verbunden.

Nur selten würde dauerhaft ein Kind verhätschelt und die anderen ungerecht oder strenger behandelt. "Kinder sind wie Seismographen. Sie spüren sehr genau, wenn sie benachteiligt werden. Wenn das beständig der Fall ist, wirkt sich das nicht nur negativ aus auf die Beziehung zu den anderen Geschwistern, sondern es träufelt wie Gift in ihre Seele, beeinträchtigt ihre Persönlichkeitsentwicklung und ihre Fähigkeit, ein glückliches Leben zu führen."

Aus der Entwicklungspsychologie ist bekannt, dass Geschwisterkinder, die sich über weite Strecken ihrer Jugend weniger geliebt fühlen und in der Familie um Anerkennung kämpfen müssen, sich später eher ängstlich und scheu oder aber aggressiv und unsozial verhalten. Sie haben häufig ein geringes Selbstwertgefühl und leiden unter Depressionen.

Verhätschelte Lieblinge haben nicht nur Vorteile

Nun könnte man im Umkehrschluss annehmen, dass das Dasein als Lieblingskind wie ein Sechser im Lotto ist. Doch als "Augenstern" oder "Sonnenschein" besonders viel Zuwendung zu bekommen, kann ebenso zum Stolperstein werden.

Der favorisierte Sprössling hat zwar meist ein großes Selbstvertrauen, doch seine Rolle erzeugt unter Umständen auch Leidensdruck. Denn, so die Erkenntnisse des Soziologen Pillemer, auf ihm lasten sehr hohe Erwartungen. Das fördert emotionale Abhängigkeit: Das Lieblingskind kann sich oft schlechter von den Eltern abgrenzen und abnabeln als seine Geschwister. Und es fühlt sich von seinen Brüdern und Schwestern häufig ausgegrenzt und angefeindet. Obendrein empfindet es nicht selten Schuldgefühle, weil die anderen weniger im Fokus stehen.

Auch außerhalb der Familie kehren sich vermeintliche Vorteile manchmal ins Negative. "Sie erwarten oftmals eine bevorzugte Behandlung auch von anderen Menschen. Wenn diese ihnen nicht zuteil wird, ziehen sie sich zurück", erläutert Kasten. So stehe Lieblingskindern oft ihre unrealistische Erwartungshaltung im Weg. Es werde dann schwerer, mit Konflikten umzugehen.

Typische Lieblingskind-Merkmale

Doch woran liegt es, dass sich Eltern zu einem Kind mehr als zu einem anderen hingezogen fühlen? Als ein Motiv für dieses unbewusste Verhalten sehen Wissenschaftler zunächst den natürlichen Drang des Menschen, attraktiven und gesunden Artgenossen viel Aufmerksamkeit zu schenken. Mütter und Väter favorisieren deshalb häufig ihre hübscheren Kinder.

Doch auch sozial-kulturelle Komponenten spielen eine Rolle: So erfahren kranke Kinder mehr Fürsorge als ihre gesunden Geschwister. Mütter pflegen häufiger zu ihrem Erstgeborenen eine besonders intensive Bindung und sehen es als ihr Ein und Alles an. Väter verhätscheln dagegen ihr jüngstes Kind - besonders wenn es ein Mädchen ist - als Nesthäkchen und Prinzessin. Mittlere "Sandwich-Geschwister" gehören dagegen nur selten zu den Lieblingen.

Häufig werden Kinder auch bevorzugt, wenn sie pflegeleicht und strebsam sind. Zudem fühlt sich mancher Elternteil einer Tochter beziehungsweise einem Sohn näher, wenn er sich selbst in dem "Mini-Me" wiedererkennt, sei es im Äußeren oder bei den Wesenszügen.

Andere fasziniert dagegen, wenn der Sprössling aus der Art schlägt und Dinge in seinem Leben anpackt, von denen man immer geträumt hat. Und wieder andere wollen das Kind mehr behüten, das vom Partner weniger bevorzugt wird – typischerweise tun das Menschen, die früher selbst Benachteiligung in der Familie erlebt haben.

Experte: So können Eltern gegensteuern

Wie können Eltern verhindern, dass die Bevorzugung eines Kindes dem Seelenheil der anderen Geschwister schadet? "Einsicht ist der beste Weg zur Besserung", rät Hartmut Kasten. So sollten sich Eltern regelmäßig fragen, ob sie einen ihrer Sprösslinge vorziehen und dann versuchen, die Gründe herauszufinden. Gegensteuern können sie, indem sie sich gezielt um das zurückgestellte Kind kümmern, oder sich der andere Elternteil als ausgleichender Pol umso intensiver engagiert.

Sind die Kinder alt genug, sollten in einer Familienkonferenz die Befindlichkeiten aller Familienmitglieder angesprochen werden. So wird das elterliche Verhalten nachvollziehbar, und es wird eine Atmosphäre der Zugewandtheit und Wertschätzung geschaffen, die auch eine Geschwister-Rivalität in harmonischere Bahnen lenken kann.

Immer sollte den Kindern vermittelt werden, dass jedes trotz der individuellen Unterschiede von den Eltern geliebt wird.

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