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Selbstgespräche bei Kindern: Lautes Denken kann auch helfen


"Intrapersonelle Kommunikation"
Darum führen Kinder Selbstgespräche

t-online, Nicola Wilbrand-Donzelli

Aktualisiert am 08.08.2017Lesedauer: 5 Min.
Psssssst? Dabei ist es vollkommen in Ordnung, wenn Kinder Selbstgespräche führen.Vergrößern des BildesPsssssst? Dabei ist es vollkommen in Ordnung, wenn Kinder Selbstgespräche führen. (Quelle: hjalmeida/Thinkstock by Getty-Images-bilder)
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Eigentlich spricht jeder Mensch ständig mit sich selbst – nämlich in Gedanken. Schon der griechische Philosoph Plato wusste, dass Denken ein "Selbstgespräch mit der Seele" ist. Wer allerdings seine Gedanken hörbar von sich gibt, der wird oft schräg angeschaut und gilt als sonderbar. Dabei sind laute Selbstgespräche durchaus sinnvoll – besonders für Kinder.

Lautes Denken hilft bei Problemlösungen

Wenn sich die fünfjährige Ella ins Spiel vertieft, ist es für sie selbstverständlich, dass sie mit ihren Puppen und Teddys intensive Unterhaltungen führt, ihnen in Rollenspielen alles erzählt, was sie beschäftigt oder etwa beim Klötzchenbauen alles lautstark kommentiert, ohne dass eine andere Person im Zimmer ist. Auch abends, wenn Ella im Bett liegt und einzuschlafen versucht, plaudert sie häufig mit sich selbst, reflektiert und verarbeitet so leise vor sich hin murmelnd die Ereignisse des Tages.

Für Eltern, die ähnliche Verhaltensweisen bei ihrem Nachwuchs beobachten, ist dies kein Grund zur Sorge. Denn Selbstgespräche bei Kindern sind etwas völlig Normales und haben eine wichtige Funktion in der kindlichen Entwicklung. Für Psychologen ist die Plapperei mit sich selbst vor allem lautes Denken. Diese "intrapersonelle Kommunikation", so der Fachausdruck, ist eine gute Möglichkeit, Probleme zu lösen, indem man verschiedene Argumente mit sich "diskutiert", um schließlich bei inneren Auseinandersetzungen besser eine Lösung zu finden. So können Selbstgespräche dazu beitragen, dass Kinder besser Stress abbauen können, etwa bei Konflikten mit Freunden, Geschwistern oder Eltern.

"Einblick in die geistige Welt des Kindes"

Zu ähnlichen Erkenntnissen ist auch der amerikanische Psychologe Adam Winsler von der George Mason University in Virginia gekommen. Seit Jahren beschäftigt sich der Wissenschaftler mit kindlichen Selbstgesprächen und sieht sie als "Werkzeug des Denkens" und als Hilfsmittel zu lernen, die eigene Aufmerksamkeit zu fokussieren.

In einer Studie, die in der Fachzeitschrift "Early Childhood Research" veröffentlicht wurde, empfiehlt er Eltern sogar, ihre Kinder zu ermutigen, mit sich selbst zu reden und das Verhalten nicht als eigenartig abzutun. "Im Gegenteil. Das ist gut", kommentiert der Psychologe seinen Rat, "Eltern sollen den Selbstgesprächen ihrer Kinder lauschen, das ist ein fantastischer Einblick in die geistige Welt und das Seelenleben des Kindes." Sie könnten so unter Umständen auch Hinweise erhalten auf Sorgen und Nöte ihrer Sprösslinge.

Selbstgespräche verändern sich mit zunehmendem Alter

Die Art der kindlichen Selbstgespräche ist allerdings nicht immer gleich. Sie verändert sich im Laufe der Entwicklung. "Sobald Kinder komplexere Sätze formulieren und sie zunehmend die Welt um sich begreifen, also etwa im Alter von zwei Jahren, beginnen sie intuitiv laut mit sich zu reden", so Adam Winsler. Im Kindergarten und im Vorschulalter nehmen diese unüberhörbaren Monologe weiter zu, um schließlich in den ersten Schuljahren allmählich in eher gemurmelte Selbstgespräche überzugehen.

In der Folgezeit werden dann die inneren Dialoge immer stiller, bis sie irgendwann hauptsächlich in Gedanken geführt werden. Wie häufig Selbstgespräche bei Kindern sind, zeigt eine US-amerikanische Statistik: Danach machen bei Kindern im Alter unter zehn Jahren Selbstgespräche je nach Situation zwischen 20 und 60 Prozent aller sprachlichen Äußerungen aus.

Nur nicht ertappen lassen

Im Teenager-Alter, genau wie bei Erwachsenen, hat sich dann schließlich meist die Erfahrung durchgesetzt, dass Selbstgespräche eigentümlich wirken. Niemand will beim lauten Denken ertappt werden und deshalb vermeiden es die meisten, in Gegenwart anderer Personen vor sich hin zu sprechen.

Dennoch scheint es trotz der auferlegten Selbstdisziplinierung erstaunlich oft zu passieren. Laut Schätzungen von europäischen und amerikanischen Psychologen sprechen nämlich über 90 Prozent aller Erwachsenen gelegentlich mit sich selbst. Das geschieht vor allem in Situationen, wo man zum Beispiel Wut, Ärger, Trauer oder Verzweiflung empfindet. Doch auch für positive Gefühle wie etwa Begeisterung oder das Anspornen zu einer sportlichen Leistung mit Floskeln wie "Gib alles" oder "Das schaffst du" stellen Selbstgespräche ein geeignetes Ventil beziehungsweise eine Motivationshilfe dar.

Problem lösen leicht gemacht

In seinen Studien mit Kindergarten- und Vorschulkindern kam Adam Winsler außerdem zu der Erkenntnis, dass Selbstgespräche helfen können, sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren, die Gedanken besser zu kontrollieren und die Erinnerung zu schärfen. In seinen Untersuchungen bat er 80 junge Probanden, diverse Rätsel zu lösen. Dabei wurde den Kleinen zuerst ausdrücklich aufgetragen mit sich selbst zu sprechen. Dann wiederum sollten sie dies bewusst nicht mehr tun.

Das Resultat des Experiments: Die Kinder, die mit sich plauderten, lösten ein Problem in 78 Prozent der Fälle deutlich schneller und besser, als diejenigen, denen das Selbstgespräch verwehrt wurde. Der Psychologe schloss daraus: "Vor allem Kleinkinder brauchen das Selbstgespräch, um ihr Leistungspotential auszuschöpfen." Dreijährige könnten, indem sie rege vor sich hin plapperten, das Leistungsniveau eines Vierjährigen mit "Redeverbot" erreichen.

"Lasst sie reden": Selbstgespräche können Kindern helfen

Außerdem zeigte sich bei weiteren Versuchen, dass sogar die Motorik der Kinder positiv beeinflusst wurde. Die Testpersonen schnitten nämlich bei Bewegungsübungen meist besser ab, wenn sie dabei mit sich sprachen. Winslers Botschaft an Eltern, Erzieher und Lehrer lautet deshalb: "Lasst sie reden – es hilft. Es ist für die Entwicklung nicht zuträglich, Kinder ständig zu ermahnen, leise zu sein."

Dieser Appell des Fachmanns gilt auch für ADHS-Kinder. Sie führen tendenziell ohnehin länger und intensiver Selbstgespräche als Altersgenossen ohne diese Verhaltensauffälligkeit. Deshalb sei es für diese Kinder noch wichtiger, dass ihr verstärkter Drang, die Gedanken zu verbalisieren, nicht von außen unterbunden werde. Denn gerade Kinder mit ADHS, so die wissenschaftlichen Erkenntnisse, könnten sich durch Selbstgespräche nicht nur viel besser konzentrieren, sondern sie kompensierten so wahrscheinlich auch die Mängel in ihren kognitiven Fähigkeiten.

Selbstgespräche fördern die sprachliche Entwicklung

In einer anderen Studie stellte Adam Winsler fest, dass sich etwa die Hälfte der Drei- bis Fünfjährigen über das "Wesen" des Selbstgesprächs – nämlich die Kommunikation mit der eigenen Person – durchaus im Klaren sei. Genau diese Kinder nutzten das Selbstgespräch auch häufiger und seien in ihrer sprachlichen Entwicklung meist weiter als "schweigsamere" Altersgenossen, so der amerikanische Psychologe. Auf diese Weise werde die Bedeutung des Selbstgesprächs nochmals unterstrichen.

Ausgesprochene Gedanken sind intensiver

Warum der laut ausgesprochene Gedanke nicht nur bei Kindern einen positiven Effekt hat und etwas sehr Nützliches ist, erklärt der Berliner Kommunikationscoach Karsten Noack gegenüber "welt.de": "Worte auszusprechen ist langsamer und daher genauer, als sie 'nur' zu denken. Auf diese Weise nimmt man seine Gedanken direkter und intensiver wahr."

Denn wenn Worte laut ausgesprochen würden, dann folgten ihnen die stillen und oft diffusen Gedanken und sie entwickelten sich dann durch die Verbalisierung klarer und exakter. Daher würden sich, so der Fachmann, sowohl Erwachsene als auch Kinder durch Selbstgespräche automatisch mehr Zeit nehmen, an einer Idee dranzubleiben und die Gedanken genauer zu analysieren und zu ordnen.

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