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Unerkannter Herzfehler: Die kleine Leonie könnte noch am Leben sein


Mutter kämpft für Herzscreening
Unerkannter Herzfehler - die kleine Leonie könnte noch am Leben sein

Tanja Zech

Aktualisiert am 04.09.2014Lesedauer: 6 Min.
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Herzfehler bei Babys: Leonie kam mit einem Herzfehler auf die Welt, der zu spät entdeckt wurde.Vergrößern des Bildes
Leonie wirkte in ihren ersten Lebensmonaten wie ein kerngesundes Baby - dabei hatte sie einen Herzfehler, der bei allen Untersuchung unentdeckt blieb. (Quelle: privat)

Leonie kam mit einem Herzfehler auf die Welt, der zu spät entdeckt wurde, um das Leben des Babys zu retten. Seitdem kämpft ihre Mutter Kathi D. aus Norddeutschland darum, dass ein Herzscreening zur Standarduntersuchung für Neugeborene wird. Der Kinderkardiologe Elmo Feil aus Darmstadt erklärt, was dafür spricht und wo die Schwierigkeiten liegen.

"Es tut mir leid, dass Sie ein so schwer krankes Kind haben." Dieser Satz trifft Leonies Eltern aus heiterem Himmel. Als eine Oberärztin ihn im Wartezimmer der Kinderintensivstation im Herzzentrum des UKE in Hamburg ausspricht, hat das dreieinhalb Monate alte Mädchen kaum noch Überlebenschancen. Dabei galt es bis dahin als kerngesundes Kind. Der angeborene Herzfehler war bei keiner der Routineuntersuchungen für Neugeborene entdeckt worden. Das kommt gar nicht so selten vor.

Herzfehler sind eine der häufigsten Todesursachen bei Babys

Statistiken zufolge wird knapp ein Prozent aller Kinder mit einem Herzfehler geboren. Herzspezialist Feil geht davon aus, dass 25 bis 50 Prozent davon bei der klinischen Untersuchung U2 in den ersten Lebenstagen verborgen bleiben, weil sie durch Anschauen, Abhören und Pulsmessen gar nicht erkannt werden können. Nicht jeder Herzfehler erzeugt ein verdächtiges Herzgeräusch. Nach Fehl- und Frühgeburten sind Missbildungen - insbesondere Herzfehler - die zweithäufigste Todesursache im ersten Lebensjahr.

Im Mutterleib werden kleinere Herzfehler kaum und von den schweren nur etwa 50 Prozent erkannt, wie eine Studie des Kompetenznetzes für angeborene Herzfehler ergeben habe. Feil erläutert die Gründe: Die nötige Untersuchung - die qualifizierte fetale Echokardiographie - wird nur bei wenigen Ungeborenen vorgenommen.

Babys mit Herzfehlern entwickeln sich im Mutterleib meistens normal, weil sie über den Blutkreislauf der Mutter versorgt werden. Erst nach der Geburt können Fehlfunktionen für das Kind innerhalb kurzer Zeit lebensbedrohlich werden.

Ein gesundes, süßes Moppelchen - der Schein trügt

Auch der kleinen Leonie war der Herzfehler nicht anzumerken. Der Gynäkologe mit Degum-II-Zusatzausbildung hätte ihn bei der Feindiagnostik während der Schwangerschaft nicht sehen können, sagt Kathi. "Leonie entwickelte sich prächtig, trank gut und wurde ein richtig süßes Moppelchen. Sie lernte schnell und spielte fleißig, beglückte uns mit ihrem wunderschönen Lächeln."

Erste Symptome waren unverdächtig. "Dass sie beim Trinken ab und zu am Köpfchen schwitzte, fand niemand besorgniserregend. Die Hebamme meinte, dass ich Leonie dünner anziehen soll und dass das Schwitzen vom Kuscheln auf dem Arm kommt. Wir hatten ja auch einen sehr warmen Spätsommer."

Mit Husten eingeliefert, als Herznotfall in Spezialklinik überwiesen

Alarmierend war erst ein plötzlicher heftiger Hustenanfall während eines Spaziergangs, als Leonie dreieinhalb Monate alt war. Die Eltern eilten mit ihr in die nächste Kinderklinik. Zufällig hatte ein Kinderkardiologe Notdienst, erkannte sofort die Ursache und veranlasste einen Rettungstransport in ein Herzzentrum.

Dort kam das Baby im Schockzustand an. "Nie werde ich vergessen, wie hilflos und apathisch meine Kleine in dem Kindersitz des Rettungswagens saß. Auf der Kinderintensivstation des Herzzentrums durften wir kurz zu ihr, sie schaute uns an und im selben Moment ging die Herzfrequenz nach unten - Herz-Kreislauf-Stillstand", schildert die Mutter den dramatischen Moment, der sie seitdem nicht mehr losgelassen hat.

"Die Welt hörte auf, sich zu drehen"

Leonie musste wiederbelebt werden. Die Zeit des Wartens war für die Eltern kaum zu ertragen. "Dennoch glaubten wir bis dahin noch an Wunder." Zwölf Tage lang war das Baby an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen, dann wagten die Ärzte eine Operation, die Leonie trotz schlechter Prognose überlebte. Sie bekam Medikamente, um die Herzfunktion zu stabilisieren, und musste an ein Dialysegerät angeschlossen werden.

Die Eltern klammerten sich an die Hoffnung. "Tag und Nacht waren wir bei ihr. Wir redeten mit ihr, sangen ihr Lieder vor und hofften und beteten. Nach zehn Tagen hatte sie plötzlich Herzaussetzer. Die Ärzte teilten uns mit, dass eine weitere Reanimation nicht erfolgen würde." Der Grund dafür ist, dass eine gravierende Hirnschädigung anzunehmen war. Am elften Tag nach der Operation verschlechterte sich Leonies Zustand weiter und am zwölften Tag hörte ihr Herz langsam auf zu schlagen. "Die Welt hörte auf, sich zu drehen."

Besonders schlimm für die Eltern ist die Erkenntnis, dass ihr Kind noch leben könnte, wenn der Herzfehler gleich erkannt und behandelt worden wäre. Doch dazu wären intensivere Untersuchungen nötig gewesen.

Kathi kämpft für Herzscreening für alle Babys

Deshalb kämpft Kathi jetzt dafür, dass ein Herzscreening zur Standarduntersuchung für Neugeborene wird. "Jedes Baby soll das Anrecht auf eine kardiologische Herzuntersuchung nach der Geburt erhalten." Sie hat die Facebook-Gruppe "Sternenkind Leonie" gegründet, Flyer für Frauenarztpraxen, Hebammen und Geburtskliniken drucken lassen und plant eine Petition für den Bundestag.

Zudem ist die Internet-Seite www.leonies-herz.de in Arbeit, auf der Kathi Eltern künftig über Symptome von Herzfehlern aufklären sowie Kliniken, die bereits ein Herzscreening anbieten, und Krankenkassen, die die Kosten übernehmen, auflisten will.

Pilotprojekt für Babyherzen in Darmstadt

Pionierarbeit für das Baby-Herzscreening leistet der Kinderkardiologe Elmo Feil in Darmstadt. In Kooperation mit dem dortigen Marienhospital, einer der größten Geburtskliniken in Südhessen, initiierte er vor sieben Jahren ein Pilotprojekt: Für alle Neugeborenen wird ein Herzscreening mit Abhören, Messung des Sauerstoffgehalts im Blut (Pulsoxymetrie) und Herzultraschall angeboten. Anfangs finanzierte die Klinik die Kosten von 75 Euro durch Spenden, jetzt müssen die Eltern die Hälfte selbst zahlen. Aber drei regionale Krankenkassen übernehmen inzwischen die Kosten.

Der Herzspezialist hat seitdem 8400 Neugeborene untersucht. Bei 400 stellte er angeborene Herzfehler fest, das entspricht fünf Prozent. 120 stufte er als bedeutsam ein, zwölf von diesen waren so kritisch, dass das Baby operiert werden musste. Feils Ziel ist es, verlässliche Daten über die tatsächliche Quote übersehener Herzfehler zu erhalten.

"Heute kann man jeden Herzfehler operieren"

"Bei Herzfehlern gibt es alles, was man sich vorstellen kann - Herzen mit nur einer Kammer, Herzen auf der falschen Seite", sagt der Spezialist. Der häufigste angeborene Herzfehler ist der Ventrikelseptumdefekt - ein Loch in der Kammerscheidewand. Allerdings sind kleine Löcher sehr oft harmlos und müssen nicht behandelt werden, weil sie sich von selbst schließen.

Feil betont: "In den letzten 25 Jahren gab es große medizinische Fortschritte. Heute ist jeder Herzfehler zu operieren. Nicht alle sind zu beheben, aber immerhin gut so zu behandeln, dass die Kinder lebensfähig sind."

"Herzultraschall ist der Goldstandard"

Die sicherste Methode, einen Herzfehler zu erkennen oder auszuschließen, ist ein Herzultraschall in den ersten drei Tagen nach der Geburt. Weitere Vorteile: Für das Kind ist die Untersuchung schmerzfrei, die Eltern können dabei sein, das Ergebnis liegt direkt vor und der Arzt kann bei einem bedrohlichen Befund umgehend handeln. Außerdem ist dieses Screening nur einmal im Leben nötig, im Gegensatz zu anderen Früherkennungsuntersuchungen. "So viel sollten uns unsere Kinder wert sein", findet Feil.

Warum nicht alle Babyherzen gründlich untersucht werden

Für Eltern unverständlich: Wenn Herzfehler eine der häufigsten Todesursachen bei Babys sind und die Ultraschalluntersuchung so zuverlässig ist - warum ist dann das Herzscreening in Deutschland nicht schon längst eine Standarduntersuchung für Neugeborene?

Der Darmstädter Kardiologe nennt die Gegenargumente, die selbst von Fachkollegen vorgebracht werden: Es sei zu teuer und binde zu viel Personal für eine geringe Zahl von übersehenen schweren Herzfehlern - Schätzungen zufolge ein Fall bei 10.000 Neugeborenen. Außerdem würden auch viele unbedeutende Befunde entdeckt, die die Eltern unnötig beunruhigten und unnötige Folgekosten erzeugten.

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Wenigstens den Sauerstoffgehalt im Blut messen

Das Herzscreening, das in Darmstadt angeboten werden kann, stelle bundesweit eine kinderkardiologische Optimalversorgung dar, betont Feil und plädiert für einen Minimalkonsens: "Ich bin für ein generelles Pulsoxymetrie-Screening und leichteren Zugang zu einem Herzultraschall nach der Geburt." Eltern, die das Herz ihres Babys aus eigener Initiative mit Ultraschall checken lassen möchten, müssten oft wochenlang auf einen Termin bei einem Kinderkardiologen warten.

Bei der Pulsoxymetrie wird mit einem Messgerät mit Lichtsensor am Finger oder Ohrläppchen die Sauerstoffsättigung des Blutes gemessen. In der Schweiz und in den USA sei diese Untersuchung bei Neugeborenen üblich, in Deutschland werde noch darüber diskutiert, sagt Feil Eine Streitfrage sei, ob aus Hygienegründen für jedes eine neue Sonde verwendet werden muss. Dies würde die Kosten enorm steigern.

Die Trefferquote für die Entdeckung von Herzfehlern liegt bei 70 Prozent - negativ ausgedrückt: Auch bei der Pulsoxymetrie bleiben bestimmte Herzfehler unentdeckt. So auch der von Leonie. Ihre Sauerstoffsättigung lag nach der Geburt bei 100 Prozent.

Kathi engagiert sich für ein Screening inklusive Ultraschall, und für bessere Aufklärung über Herzfehler für werdende Eltern. "Nur dann ist gewährleistet, dass nicht mehr hunderte Babys jedes Jahr einen vermeidbaren Tod sterben müssen."

Rat und Hilfe für betroffene Familien

Eltern von Kindern mit angeborenen finden Informationen, Rat und Hilfe bei der Kinderherzstiftung (www.kinderherzstiftung.de), die der Deutschen Herzstiftung angegliedert ist, sowie beim gemeinnützigen Verein Herzkind (www.herzkind.de), der sich ebenfalls dafür einsetzt, die Pulsoxymetrie als verpflichtendes Verfahren bei der Erstuntersuchung Neugeborener einzuführen.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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