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Free bleeding: Warum Frauen ihre Periode fließen lassen


Trend "Free Bleeding"
Warum Frauen ihr Menstruationsblut jetzt frei fließen lassen

Von t-online, az

Aktualisiert am 23.04.2018Lesedauer: 6 Min.
Frau liegt zusammengerollt im BettVergrößern des BildesViele Frauen fühlen sich während ihrer Periode unwohl in ihrer Haut. Das Menstruationsblut fließen zu lassen, soll ein positives Körperbewusstsein stärken. Doch wie stellt man das an? (Quelle: Marjan_Apostolovic/Thinkstock by Getty-Images-bilder)
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Tampons oder Binden waren gestern! Bei dem Trend "free bleeding", also dem freien Menstruieren, lassen Frauen das Blut fließen, ohne Hygieneartikel zu verwenden. Aber wie kann das im Alltag funktionieren? Wir haben zwei Frauenärzte und eine Vertreterin der Bewegung befragt.

Es ist erstaunlich, dass eine der natürlichsten Sachen der Welt, nämlich die Menstruation der Frau, noch immer tabuisiert wird, obwohl etwa die Hälfte der Weltbevölkerung sie monatlich erlebt. Manchen Frauen ist das Bluten unangenehm, gerade jüngere würden das Thema oft lieber verschweigen, damit es in der Schule oder beim Sport nicht auffällt. Vor allem gegenüber einem Sexualpartner fühlen sich einige Frauen unwohl, gerade wenn Männer sich despektierlich über diesen körperlichen Vorgang äußern. Kommentare wie etwa "Die hat doch bestimmt ihre Tage!", wenn eine Frau keine gute Laune hat, verstärken die Scham noch mehr.

Wenn die Monatsblutung einen Medien-Hype auslöst

Als die chinesische Schwimmerin Fu Yuanhui bei den Olympischen Spielen in Rio 2016 im Interview nach dem Wettkampf sagte, sie habe in der Nacht zuvor ihre Tage bekommen und fühle sich müde, löste sie mit dieser offenen Antwort wahre Begeisterungsstürme aus und avancierte zum Publikumsliebling und Social-Media-Star. Dass das Sprechen über die Periode in der Öffentlichkeit auch heutzutage noch für derartiges Aufsehen sorgt, zeigt, dass unsere Gesellschaft offensichtlich noch keinen entspannten Umgang mit Menstruieren gefunden hat.

So funktioniert das freie Bluten

Eine Bewegung möchte nun einen offenen Umgang mit der Regelblutung fördern: das "free bleeding", auch freies Menstruieren genannt. Das Blut fließen zu lassen, wird dabei als Akt der Selbstentfaltung empfunden. Dabei wird auf Hygieneartikel wie etwa Tampons oder Binden verzichtet. Stattdessen suchen Frauen eine Toilette auf, sobald sie spüren, dass sich der nächste Blutschwall ankündigt. Die Schübe variieren je nach Zyklustag und Blutungsstärke von Frau zu Frau. Um das freie Bluten problemlos im Alltag integrieren zu können, müssen Frauen also ein gutes Körperbewusstsein haben. Doch wie praktikabel kann das sein?

Eine Frau, die "free bleeding at home" betreibt

Die 27-jährige Studentin Lilith* aus Tübingen lässt ihre Periode seit ihrer Jugend bereits laufen, allerdings nicht wegen einer Ideologie, sondern aus der Not heraus: Während ihrer Tage leidet sie unter Bauchkrämpfen, kann regelmäßig das Haus nicht verlassen. Dann verkriecht sie sich nur mit T-Shirt bekleidet im Bett und legt sich ein Handtuch unter, auf das sie blutet.

"Wenn ich eh schon Unterleibsschmerzen habe, möchte ich nicht noch ein Tampon in mir drin haben. Binden finde ich eklig: Wenn man sie aus diesem Plastik packt, riechen sie schon so unangenehm. Man weiß nicht genau, was im Material drin ist, sie fühlen sich dick in der Unterhose an und wenn sie sich vollgesaugt haben, ist es unangenehm feucht – das möchte ich nicht an der Haut haben. Ich mag einfach alles daran nicht", sagt sie. Bei einer täglichen Dusche riecht man vom free bleeding nichts, das Blut wird erst durch die Kombination mit Binden auffällig, findet Lilith.

Monatsbinden sind aus ärztlicher Sicht die beste Wahl

Aus gesundheitlicher Sicht ist für das Auffangen des Menstruationsbluts durch Monatsbinden jedoch die beste Variante – sofern sie regelmäßig gewechselt werden, sodass die Außenhaut nicht feucht bleibt, sagt Dr. Christian Albring, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte und niedergelassener Frauenarzt in Hannover. "Beim Verwenden von Binden kann das Monatsblut ungehindert abfließen, es gelangen keine Keime in die Vagina, und es besteht auch nicht die Gefahr, dass die sehr dünne und empfindliche Haut der Vagina austrocknet oder verletzt wird", sagt der Mediziner.

Free bleeding: Auf die Körpersignale achten

Über die Jahre hat Lilith ein gutes Gefühl dafür entwickelt, wann sich ein Schub ankündigt – allerdings muss sie dann schnell sein, eine Toilette in der Nähe ist also notwendig. Nach einigen Minuten ist die Blutung abgeklungen.

Ihre bisherigen Freunde hatten Verständnis dafür, dass für Lilith das freie Bluten am entspanntesten ist. Allerdings lässt sie ihre Regelblutung nur laufen, wenn sie zu Hause ist, da es draußen für sie ohne Tampon nicht umsetzbar ist – zumindest noch. "Ich wünsche mir, dass es in Zukunft keinen Schock auslösen würde, wenn eine Frau mal einen Blutfleck auf der Hose hat. Warum gelten Flecken von Regelblut als eklig, während Sperma gesellschaftlich anerkannt ist? Wenn das mal auf der Bettwäsche landet, wird das als viel normaler angesehen, während alles, was mit Menstruation zu tun hat, noch immer versteckt werden muss."

Das Urteil vom Frauenarzt zum freien Menstruieren

Anhängerinnen des free bleeding berichten, dass sich ihr Wohlbefinden gesteigert hat, seit sie mehr auf die eigenen Körpersignale hören. Aus frauenärztlicher Sicht ist free bleeding im Scheidenbereich ähnlich zu beurteilen wie die Verwendung von Binden, sagt Dr. Albring. "Blut ist stark proteinhaltig und enthält flüchtige Komponenten, die etwa für viele Insekten attraktiv sind. Deshalb ist das schnell am äußeren Genitalbereich und Beinen trocknende Blut aus hygienemedizinischer Sicht kritisch zu sehen", sagt der Experte. Wie praktikabel free bleeding außerhalb der eigenen vier Wände ist, sei dahingestellt.

Die Vorteile des free bleeding

Anhängerinnen des freien Menstruierens berichten von weniger Regelschmerzen. Fakt ist, dass durch Tampons Keime in die Vagina gelangen und Infektionen wie etwa Scheidenpilz gefördert werden können. Denn dadurch, dass sie nicht nur Menstruationsblut, sondern auch Sekret aus der Vagina aufsaugen und sie damit austrocknen, können sie bei schwacher Blutung den pH-Wert in der Vagina verändern und angreifbarer für Krankheiten machen, erklärt der Gynäkologe Dr. Albring. Ein Extremfall: Die britische Studentin Emily Pankhurst wäre Anfang 2016 beinahe an einer Blutvergiftung gestorben, weil sie vergaß, ihren Tampon zeitig herauszunehmen.

Als ein weiterer Vorteil des natürlichen Regelblutens gilt der Umweltschutz, weil Tampons und Binden enorme Müllberge produzieren. Allerdings gibt es etwa mit wiederverwendbaren Menstruationstassen bereits umweltfreundliche Alternativen auf dem Markt. Und vollgeblutete Unterwäsche, Handtücher und Bettlaken müssen häufiger und heißer gewaschen werden – das wiederum verbraucht Strom und Wasser.

Das freie Bluten im öffentlichen Raum

Lilith betreibt das free bleeding bisher nur zu Hause. Was in den Blogs und Artikeln der Free-Bleeding-Aktivistinnen nämlich nicht angesprochen wird, sind die Auswirkungen dieser Praxis auf Mitmenschen und den öffentlichen Raum. Wenn in einer Fußgängerzone am Samstagnachmittag jede Frau zwischen etwa 14 und 50 Jahren ihre Menstruation laufen lassen würde, würde das Blut unweigerlich auf Stühlen von Cafés und Restaurants landen oder auf dem Boden von Geschäften, ganz zu schweigen von den Sitzen von Bus und Bahn. Blut auf Bürgersteigen und Straßen wiederum würde nach und Tiere wie etwa Ratten anziehen. Auch Haustieren wie Hunden und Katzen würde das nicht entgehen.

Free bleeding: Ein Luxusproblem?

Menstruationsblut frei fließen zu lassen oder nicht ist nicht nur eine Angelegenheit von Tabus, sondern von Privilegien, findet die Praktische Ärztin und Medizinpublizistin Dr. Susanna Kramarz. Denn in vielen Ländern der Erde können Mädchen während ihrer Menstruation nicht zur Schule und Frauen nicht zur Arbeit gehen oder am öffentlichen Leben teilnehmen, weil sie kein Geld für Binden haben.

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Andere Länder, anderes Bluten

In einigen Kulturen gelten Frauen während der Periode sogar als unrein. Im von hinduistischen Traditionen geprägten Nepal etwa gibt es den Brauch "Chaupadi", bei dem Frauen gezwungen werden, bis zum Ende ihrer Monatsblutung in unsicheren, unhygienischen Hütten oder Kuhställen zu wohnen. Während ihrer Abgeschiedenheit sind manche Frauen bitterer Kälte oder Angriffen wilder Tiere ausgesetzt. Erst seit Anfang August 2017 werden Frauen per Gesetz vor diesem Ritual geschützt.

Für die einen Luxus, für die anderen Not

"Nur ganz wenigen Frauen gelingt es, ihre Menstruation Tag und Nacht so zu kontrollieren wie ihre Harnblase, und das ist die Voraussetzung dafür, freies Menstruieren einigermaßen alltagstauglich zu gestalten. Für alle anderen ist freies Menstruieren eigentlich nur tagsüber zu Hause möglich, ohne körperliche Anstrengung und Verpflichtungen, ohne etwas zu heben oder zu tragen – und wenn es nur zwei kleine Kinder und das Abendessen sind – und das ist ein Luxus", sagt die Medizinerin Dr. Kramarz.

"Weder in Nigeria noch in Deutschland ist es denkbar, eine starke Monatsblutung überallhin fließen zu lassen. Und Frauen, die mehrere Stunden hindurch zu Fuß laufen oder ohne Pausen körperlich anstrengende Arbeit verrichten müssen, wären ohne Hygieneartikel – und seien es gerollte Baumwolleinlagen – nach einem halben Tag durchgeblutet", sagt die Praktische Ärztin.

Den Trend, der sich als Befreiungsschlag inszeniert und Gleichberechtigung proklamiert, sieht die Expertin kritisch: "Das freie Bluten würde eher zur Verdrängung von Frauen aus dem öffentlichen Raum führen statt einen Beitrag zur Befreiung und Selbstentfaltung zu leisten."

Ein Beitrag zur Gleichberechtigung – oder eher kontraproduktiv?

Die Free-Bleeding-Bewegung präsentiert sich als feministisch und freiheitsliebend. Dabei wird bewusst auf Errungenschaften der westlichen Welt, nämlich Hygieneartikel, verzichtet, die ursprünglich erfunden wurden, um den Frauen das Leben während der Periode zu erleichtern.

Das, worauf die Aktivistinnen in der westlichen Welt also freiwillig verzichten ist das, worauf Frauen in anderen Ländern unfreiwillig verzichten müssen, weil sie aus Unterversorgung oder Geldmangel dazu gezwungen sind. Unter diesen Umständen erfolgt der Aufruf zur freien Entfaltung also aus einer sehr begünstigen Position.

* Name von der Redaktion geändert

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