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Burn-out hieß vor 100 Jahren noch "Neurasthenie"


Phänomen "Neurasthenie"
Burn-out gab es schon vor 100 Jahren

Von dpa
21.03.2014Lesedauer: 2 Min.
Burn-out: Kaiser Wilhelm litt angeblich unter "Neurasthenie" - dem Vorläufer von Burn-out.Vergrößern des BildesKaiser Wilhelm litt angeblich unter "Neurasthenie" - dem Vorläufer von Burn-out. (Quelle: dpa-bilder)
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Wachsende Städte, mehr Verkehr und mehr Technik im Alltag: Was nach den Belastungen heutiger Menschen klingt, wurde auch schon vor 100 Jahren als Stressfaktor erkannt. Damals spielte zum Beispiel die Taschenuhr als Grund für Unruhe eine Rolle. Mancher guckte immerzu darauf, um sich bloß nicht zu verspäten. "Burn-out" heißt das Phänomen auf Neudeutsch im Jahr 2014. Vor 100 Jahren nannte man das Ausgebranntsein "Neurasthenie".

"Spötter sangen: 'Raste nie und haste nie, sonst haste die Neurasthenie'", schreibt der Autor Florian Illies in seinem Bestseller "1913" in einem Kapitel über den österreichischen Autor Robert Musil (1880-1942, "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß").

Herzklopfen, Depressionen, Ermüdung

Der Schriftsteller Musil, eigentlich ein starker und eitler Mann, habe unter dem "Stumpfsinn" seiner damaligen Arbeit als Bibliothekar an der Technischen Hochschule in Wien gelitten. Im März 1913 sei er deshalb zu einem Nervenarzt gegangen, schreibt Illies. "Doch was würde der Doktor sagen? Heute würde man es "Burn-out" nennen, damals sagte man: "Derselbe leidet an den Erscheinungen einer schweren Herzneurose: Anfälle von Herzklopfen mit jagendem Puls, Palpitationen beim Einschlafen, Verdauungsstörungen verbunden mit den entsprechenden psychischen Erscheinungen: Depressionszuständen und mit hochgradiger körperlicher und psychischer Ermüdbarkeit."

"Auffällige Analogien" zwischen Burn-out und Neurasthenie

Der Bielefelder Historiker Joachim Radkau ist Experte für Mentalitäts-, Medizin- und Umweltgeschichte. Er erzählt: "Zwischen dem rasanten Anwachsen der Klagen über "Burn-out" in den letzten beiden Jahrzehnten und der "Neurasthenie"-Welle ein Jahrhundert davor gibt es auffällige Analogien." Bei beiden Diagnosen handele es sich um Importe aus den USA, in beiden Fällen seien sie besonders im deutschen Kulturraum eingeschlagen.

Zum Begriff: Das Wort "Neurasthenie" machte der New Yorker Nervenarzt George M. Beard ab 1880 bekannt. "Dieses Leiden wurde vielfach mit Fernwirkungen der elektrischen Revolution jener Zeit in Verbindung gebracht ähnlich wie heute Burn-out mit der elektronischen Revolution, der Reizüberflutung durch das Internet und der ständigen Erreichbarkeit über das Mobiltelefon", sagt Radkau.

"Hetzen und Jagen" schon damals ein Phänomen

Bereits um 1900 wurde Neurasthenie in Mitteleuropa wie eine Epidemie wahrgenommen; in den Jahren vor 1914 war sie demnach eine der häufigsten Diagnosen überhaupt.

Als gängige Ursache galt in der zeitgenössischen Literatur das "Hetzen und Jagen" des modernen Wirtschaftslebens, berichtet Radkau. "Damalige Patientenakten deuten jedoch darauf hin, dass sexuelle Frustrationen mindestens so stark im Spiel waren." Auch Sigmund Freuds Fixierung auf sexuelle Ursprünge der Neurosen sei nur vor diesem Hintergrund zu verstehen.

Litt auch Kaiser Wilhelm unter Burn-out?

Prominentes Beispiel war auch, wie Radkau erläutert, neben Robert Musil der Soziologe Max Weber: In dessen Korrespondenzen habe es von Nervenklagen nur so gewimmelt.

In den Jahren vor 1914 gelangte der "Nervendiskurs" dann auch mehr und mehr in die Politik. "Der Vorwurf der Nervenschwäche flog hin und her, gerade unter solchen Politikern, die selber im Verdacht der Nervosität standen. Wilhelm II. galt Insidern als der Oberneurastheniker des Reichs." Dass der deutsche Kaiser in der Juli-Krise 1914 den Kriegstreibern nachgegeben habe, erkläre sich auch aus dem Bestreben, dem Verdacht der Nervenschwäche keine Nahrung zu geben, meint Radkau.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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