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Interview zur Staatskrise: So kommt Spanien aus dem Katalonien-Dilemma


Interview zur Staatskrise
So kommt Spanien aus dem Katalonien-Dilemma

Von t-online, jasch

Aktualisiert am 22.12.2017Lesedauer: 4 Min.
Katalonien: Anhängerinnen der Separatisten feiern den Wahlsieg in Barcelona.Vergrößern des BildesKatalonien: Anhängerinnen der Separatisten feiern den Wahlsieg in Barcelona. (Quelle: Emilio Morenatti/dpa-bilder)
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Nach der Wahl in Katalonien müssen sich nun alle Seiten bewegen, sagt Spanien-Experte Günther Maihold. Für eine Lösung des Konfliktes hat er konkrete Vorstellungen.

Bei der Regionalwahl in Katalonien können die Befürworter einer Unabhängigkeit ihre Mehrheit überraschend stark verteidigen. Spaniens Premier Rajoy dagegen erleidet eine Niederlage, seine Partei kommt im neuen Regionalparlament auf nur noch drei Sitze.

Dies ist vor allem Rajoys hartem Kurs im Streit mit Katalonien geschuldet, sagt Professor Jürgen Maihold von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Im Interview mit t-online.de skizziert er Schritte, die Politiker aller Parteien nun gehen könnten, um den Konflikt zu lösen.

t-online.de: Herr Professor Maihold, die Separatisten haben bei der Regionalwahl in Katalonien ihre Mehrheit verteidigt und 70 von 135 Sitzen im Parlament gewonnen. Was bedeutet das?

Günther Maihold: Viele Spanier waren der Ansicht, es gebe in Katalonien eine große, schweigende Mehrheit für die Treue zur spanischen Verfassung. Die Wahl hat das Gegenteil gezeigt. Damit ist die Erwartung widerlegt, die der spanische Ministerpräsidenten Mariano Rajoy an diesen Wahlgang hatte.

Rajoy wollte sich das katalanische Problem eigentlich per Neuwahl vom Hals schaffen. Nun hat seine Partei Partido Popular drastisch verloren und statt elf nur noch drei Sitze. Warum?

Er hat sich im Konflikt mit Katalonien sehr kompromisslos gezeigt und keine Initiativen im Sinne einer politischen Verständigung erkennen lassen. Das hat dazu geführt, dass die Mehrheit der Katalanen sich noch mehr von Spanien erdrückt fühlten. Letztlich dürfte das viele Wähler ins Lager der Separatisten getrieben und Rajoys Position geschwächt haben. Jetzt ist eine Verständigung, ein Dialog nötig. Die Frage ist, ob Rajoy sich als um Ausgleich der Interessen bemühter Politiker versteht oder so stur bleibt, wie er sich zuletzt gezeigt hat.

Rajoy hat nach der einseitigen Unabhängigkeitserklärung der Katalanen Artikel 155 der spanischen Verfassung in Kraft gesetzt und damit eine Art Zwangsverwaltung in Katalonien durchgesetzt. Hat das viele Katalanen erst richtig motiviert?

Das Wahlergebnis zeigt, dass die Anwendung des Artikels 155 der spanischen Verfassung den katalanischen Nationalstolz massiv unterstützt hat. Die Regionalregierung wurde entmachtet. Nun zeigt sich, dass diese Maßnahme nur den Nationalismus fördert.

Das Wahlergebnis ist ein Triumph für den ehemaligen katalonischen Premier Carles Puigdemont.

Im Lager der Unabhängigkeitsbefürworter hat es bedeutende Verschiebungen gegeben. Puigdemonts Partei PDeCAT ist stärkste Partei geworden und wird dadurch deutlich mächtiger gegenüber den linken Unabhängigkeitsbefürwortern, mit denen er zuletzt in einer Koalition war. Und im Lager der Spanientreuen hat die Partei Ciudadanos elf Sitze dazu gewonnen und ist damit insgesamt stärkste Kraft geworden. Unterm Strich ist Puigdemont der große Sieger der Wahl.

Allerdings ist Puigdemont auf der Flucht und sitzt in Belgien im Exil fest. Was kann er jetzt tun?

Er müsste nach Barcelona kommen, um katalanischer Regierungschef werden zu können. Weil gegen ihn ein Haftbefehl vorliegt, würde er bei einer Einreise jedoch verhaftet werden. Die Parteien müssen deshalb jetzt aufeinander zugehen. Wir haben den Artikel 155 in Kraft, das heißt, die Unabhängigkeitserklärung und damit verbundene Gesetze sind suspendiert. Alle politischen Kräfte in Katalonien wollen diesen Artikel 155 aus dem Weg schaffen. Das ist ein Anreiz für die Unabhängigkeitsbefürworter, auf die Regierung in Madrid zuzugehen.

Was muss die Zentralregierung in Madrid nun tun?

Auf der anderen Seite muss die Regierung in Madrid auch ein Interesse haben, die Separatisten in einen Dialog einzubinden. Madrid kann kein Interesse daran haben, dass es eine weitere Unabhängigkeitserklärung gibt und die Situation eskaliert. Es gibt also für beide Seiten Anlass, aufeinander zuzugehen. Die Frage ist, wie lernfähig beide Seiten sind. Wir haben ja die Situation, dass sechs der gewählten Mitglieder des Parlaments im Gefängnis oder im Ausland sind. Die Mehrheitsverhältnisse sind also kurzfristig umgekehrt. Es wäre das Schlimmste, wenn Rajoy diese Situation nun nutzen würde und bestimmte Gesetze durchdrücken würde. Beide Seiten müssen begreifen, dass mit Extrempositionen nichts zu gewinnen ist.

Was könnte konkret passieren?

Einige der festgenommenen ehemaligen katalanischen Regierungsmitglieder wurden ja schon gegen Kaution freigelassen. Ich gehe davon aus, dass dieser Weg sich fortsetzen lassen wird. Schwieriger wird es mit Puigdemont, der sich in Brüssel aufhält. Da liegen Haftbefehle vor. Hier könnte eine Begnadigung Puigdemonts ein Signal in Richtung Verständigung sein.

Welche Perspektive hat Katalonien nach der Wahl? Mehr Autonomierechte wie sie etwa das Baskenland genießt, das über einen Großteil seines Steueraufkommens selbst verfügen darf?

Es wird eine Lösung sein müssen, die zwischen maximaler Autonomie und minimaler Unabhängigkeit liegt. Und da gibt es viele Spielarten in rechtlicher, politischer und wirtschaftlicher Dimension. Diese Optionen müssen nun verhandelt werden. Die Akteure müssen einen Prozess einleiten, der diese Hängepartie beendet.

Die EU hat sich aus dem "innerspanischen Konflikt" rausgehalten. Kann sie das jetzt immer noch tun?

Die EU kann zur Lösung relativ wenig beitragen. Sie hätte nur die Rolle eines Vermittlers. Bei einer solchen Vermittlerrolle kann sie immer in Gefahr geraten, den Kürzeren zu ziehen. Ich rate der EU ab, in den Katalonienkonflikt einzugreifen. Stattdessen könnten andere spanische Kräfte als Vermittler tätig werden, zum Beispiel die baskische Regierung.

Die drei separatistischen Parteien in Katalonien haben unterschiedliche Vorstellungen von einer Unabhängigkeit. Was bedeutet das für die Unabhängigkeitsbefürworter?

Es könnte sein, dass Puigdemont sich von den Linken befreit und versucht, eine Öffnung in die politische Mitte zu erreichen. Das wäre politisch klug und würde ein Zeichen setzen, die alten Lager aufzulösen. Insofern hängt es jetzt davon ab, welche Signale Puigdemont in den kommenden Tagen sendet und ob er aus seiner Widerstandsrhetorik einen Ausweg findet.

Welche nächsten Schritte halten Sie jetzt für am wahrscheinlichsten?

Ich gehe davon aus, dass wir bald eine Einberufung der neuen Regionalversammlung sehen werden. Dann könnten Verhandlungen beginnen, wie Puigdemont das Land wieder betreten kann, um seine Kandidatur zu ermöglichen. Das setzt voraus, dass in Madrid Bewegung eintritt. Dafür müsste Rajoy von seiner bisherigen Linie abweichen. Womöglich müsste das Parlament vor der Wahl eines neuen katalanischen Präsidenten eine Erklärung verabschieden, die die Unabhängigkeitserklärung neu formuliert oder halb zurücknimmt. Das könnte den Weg ebnen, die Zwangsverwaltung wieder aufzuheben und ist der wünschenswerte Weg. Ob Spaniens Ministerpräsident Rajoy ein solcher Sinneswandel gelingt? Da habe ich meine Zweifel.

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