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Diplomaten ausgewiesen | Der Westen steht keineswegs geschlossen gegen Putin


Diplomaten ausgewiesen
Der Westen steht keineswegs geschlossen gegen Putin


27.03.2018Lesedauer: 4 Min.
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Kremlchef Wladimir Putin: Strafaktionen von 26 Staaten als Reaktion auf den Fall Skripal.Vergrößern des Bildes
Kremlchef Wladimir Putin: Strafaktionen von 26 Staaten als Reaktion auf den Fall Skripal. (Quelle: Yuri Kadobnov/Pool/reuters)

Europa und die USA weisen in einer einmaligen Aktion über 140 russische Diplomaten aus. Sie wollen damit Geschlossenheit demonstrieren. Doch selbst in der EU zeigen sich Löcher in der Front.

Der Westen sendet in der Affäre um den Giftanschlag in Südengland ein eindeutiges Signal an Kreml-Chef Wladimir Putin. Insgesamt 26 Staaten, darunter achtzehn aus der EU, weisen zusammen mehr als 140 russische Diplomaten aus. Die Nato schließt sich dem an und entzieht weiteren sieben die Akkreditierung. Eine derart umfangreiche und abgestimmte Aktion hat es seit dem Ende des Kalten Krieges nicht gegeben.

Doch so geschlossen die Front im Westen zunächst erscheint, so löchrig ist sie. Länder wie Österreich, Griechenland, die Slowakei oder Bulgarien halten sich zurück, warten ab, oder sehen von Strafaktionen ab. Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz verweist auf die Neutralität seines Landes. Der bulgarische Ministerpräsident Boiko Borissow will zunächst weitere Beweise für die Schuld des Kreml an der Vergiftung des russischen Ex-Spions Sergej Skripal und dessen Tochter sehen.

Auch die deutschen Parteien sind in der Frage gespalten. Der Grünen-Außenexperte Jürgen Trittin etwa hält die Aktion für "leichtfertig", Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch nennt sie gar "falsch". Auch in der Regierungskoalition gibt es Stimmen, die von einem "übereilten" Vorgehen Deutschlands sprechen. Einzig die Union scheint sich geschlossen hinter der Regierungsposition zu sammeln. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) spricht von einer "sehr eindrucksvollen europäischen Solidarität".

Trump und Merkel: "Starkes Signal der Einheit"

Die USA hatten am Montag mit 60 russischen Diplomaten die größte Gruppe des Landes verwiesen. Washington sprach von russischen Agenten, die "aggressiv Informationen sammeln" würden. Zugleich wurde die Schließung des Konsulats in Seattle angeordnet. Deutschland sprach Ausweisungen gegen vier Diplomaten aus, ebenso Frankreich und Polen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Donald Trump begrüßten in einem Telefonat am Dienstagabend das koordinierte Vorgehen des Westens als "ein starkes Signal der Einheit", wie Regierungssprecher Steffen Seibert mitteilte. Auch Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron sprach am Dienstag nach Angaben des Elysée-Palasts mit Trump. Beide lobten dabei die "starke Reaktion" des Westens.

"Österreich ist ein neutrales Land"

Österreich wollte sich wie andere Staaten der EU nicht an der Aktion beteiligen. Man werde "keine Diplomaten ausweisen", erklärten Bundeskanzler Sebastian Kurz und Außenministerin Karin Kneissl in Wien. Zwar stehe Österreich hinter der Entscheidung, den EU-Botschafter aus Moskau zurückzurufen, auf nationale Maßnahmen verzichte man aber, sagten Kurz und Kneissl. "Vielmehr wollen wir die Gesprächskanäle nach Russland offenhalten. Österreich ist ein neutrales Land und sieht sich als Brückenbauer zwischen Ost und West."

Die Slowakei und Bulgarien wiesen bislang ebenfalls keine russischen Diplomaten aus. Der slowakische Präsident Andrej Kiska teilte mit, er habe Ministerpräsident Peter Pellegrini gesagt, er erwarte, dass die Slowakei "eine Bitte um eine Solidaritätsbekundung für den wichtigen Verbündeten" beantwortet. Der bulgarische Ministerpräsident Boiko Borissow sagte, er habe Großbritannien um weitere Belege für die Rolle Russlands gebeten.

Kritik an den Strafmaßnahmen kam auch vom luxemburgischen Außenminister Jean Asselborn. "Wenn man die Eskalation so weit treibt, dass es kein Zurück mehr gibt und ohne dass man schon Ergebnisse der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen hat, dann ist das gewagt", sagte er der "Süddeutschen Zeitung".

Politische und wirtschaftliche Verflechtungen

Bei einigen Kritikern dürften wirtschaftliche Überlegungen eine Rolle gespielt haben, sich nicht an den Maßnahmen gegen Russland zu beteiligen. Österreich etwa ist mit dem Mineralölkonzern OMV an dem milliardenschweren Pipeline-Projekt Nord Stream 2 beteiligt, das russisches Erdgas durch die Ostsee nach Deutschland bringen soll. Erst am Montag wurde bekannt, dass der frühere österreichische Finanzminister Hans-Jörg Schelling einen Beratervertrag bei Gazprom unterschrieben hat, der konkret mit dem Nord-Stream-Projekt in Verbindung steht.

Griechenland wiederum hat Interesse an der Entwicklung des russisch-türkischen Pipeline-Projektes Turkish Stream, steht dem Kreml aber auch politisch nahe. Athen verhinderte vergangene Woche eine klare Schuldzuweisung der EU im Fall Skripal an die Adresse Moskaus. Zwar müsse man Solidarität mit dem Vereinigten Königreich ausdrücken, erklärte Premier Alexias Tsipras damals. „Doch zugleich müssen wir ermitteln.“

Trittin: Westen wird nichts gewinnen

Unter den Parteien in Deutschland sind die Maßnahmen von EU und Bundesregierung ebenfalls umstritten. Der Grünen-Außenexperte Jürgen Trittin nannte es "leichtfertig, ohne belastbare Beweise und nur aufgrund von Indizien so gegen Russland vorzugehen und in einen neuen Kalten Krieg zu stolpern." Im Ergebnis werde der Westen nichts gewinnen, Russland seinerseits europäische Diplomaten ausweisen und weitere Gesprächskanäle würden verschüttet, sagte Trittin, der amtierender Vorsitzender der deutsch-russischen Parlamentariergruppe ist, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Dagegen sagte der Grünen-Osteuropa-Experte Manuel Sarrazin dem RND, mit der Ausweisung der vier Diplomaten tue die Bundesregierung das Mindeste: "Sie stärkt damit den europäischen Geleitschutz für Großbritannien, das sich angegriffen sieht."

Der Obmann der SPD im Auswärtigen Ausschuss, Nils Schmid, begrüßte die breite Unterstützung für die Strafaktion, fand aber auch kritische Worte. "Einerseits war es notwendig, Solidarität mit Großbritannien zu zeigen. Andererseits glaube ich, dass die EU nicht wirklich einheitlich dasteht", sagte Schmid zu n-tv.de. Der Außenpolitiker teilte überdies die Einschätzung von SPD-Fraktionsvize Rolf Mützenich, der die deutsche Ausweisung von vier russischen Diplomaten "übereilt" nannte.

Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch sprach von einem falschen Schritt, "weil damit weiter an der Eskalationsspirale gedreht wird". Auch der ehemalige EU-Kommissar Günter Verheugen rügte: "Generell sollten Sanktionen faktenbasiert sein und nicht auf Vermutungen aufbauen. "Die Argumentation im Fall Skripal erinnert mich ein bisschen an eine Urteilsverkündung nach dem Motto "Die Tat war dem Beschuldigten nicht nachzuweisen, aber es war ihm zuzutrauen"", kritisierte der SPD-Politiker in der "Augsburger Allgemeinen".

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) befand hingegen, die EU habe mit der harten Reaktion eine "sehr eindrucksvolle europäische Solidarität" bewiesen. "Deshalb muss jedermann akzeptieren, dass wir hier auch eine moralische Führungsaufgabe wahrnehmen", sagte Altmaier am Dienstag. "Denn wir dürfen nicht zulassen, dass sich ausländische Staaten, egal ob sie groß oder klein sind, über die Rechtsordnung in unseren Ländern hinwegsetzen und kriminelle Akte begehen."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • dpa, AP
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