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Bürgerkrieg in Syrien: Am Anfang stand ein Kinderstreich


Vier Jahre Krieg in Syrien
Es begann mit einem Kinderstreich

spiegel-online, Raniah Salloum

15.03.2015Lesedauer: 4 Min.
Mehr als 220.000 Tote, vier Millionen Flüchtlinge, Zehntausende ausländische Kämpfer: Vor vier Jahren begann der Krieg in Syrien.Vergrößern des BildesSo wie Kobane brennen viele Städte im vom Bürgerkrieg geschundenen Syrien. (Quelle: Reuters-bilder)
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Mehr als 220.000 Tote, vier Millionen Flüchtlinge, Zehntausende ausländische Kämpfer: Vor vier Jahren begann der Krieg in Syrien. Wie kam es dazu? Warum gelingt keine Befriedung des Landes? Der Überblick.

Es war ein Kinderstreich mit Folgen, die den ganzen Nahen Osten erschüttern. Im März 2011 sprühten 15 Teenager im südsyrischen Deraa Graffiti an die Wand: "Das Volk will den Sturz des Regimes." Diesen Slogan hatten sie im Fernsehen gehört: Es war der Hall des "Arabischen Frühlings" aus Tunesien, Ägypten und Libyen.

Der örtliche Sicherheitschef Atef Najib, ein Cousin von Baschar al-Assad, ließ die Jugendlichen verhaften und foltern. Ihren empörten Eltern, Mitgliedern einflussreicher Stämme, sagte Najib: "Geht nach Hause und macht neue Kinder." Die Beleidigung ließ den Zorn aufflammen.

In Deraa kam es zu Demonstrationen, ein im Geheimdienststaat Syrienunerhörter Vorgang. Damaskus reagierte mit Härte: Die Regierung schickte Panzer und Militärs. Doch zu spät, der Geist war aus der Flasche. Die Proteste gegen das Regime weiteten sich aus. Manche bewaffneten sich, aus den Aufständen wurde ein Bürgerkrieg. Dies machte sich der "Islamische Staat" (IS) zu Nutze und breitete sich dort aus, wo der Staat zusammengebrochen war.

Selbst im hintersten Winkel gibt es keine Sicherheit

An diesem Sonntag beginnt das fünfte Jahr der Gewalt in Syrien. Inzwischen gibt es wohl keine syrische Familie mehr, die verschont blieb. Selbst im abgelegensten Winkel des Staates erfasst sie der Krieg: Aus den Dörfern im Dreiländereck zwischen Nordost-Syrien, dem Irak und der Türkei verschleppte der IS vor kurzem mindestens 220 christliche Syrer. Bisher sollen nur 19 wieder freigelassen worden sein.

Was bedeuten vier Jahre Krieg für ein Land und sein Volk? Eine Auswertung der Uno-Berichte über Syrien ergibt eine erschütternde Bilanz:

Niemand weiß genau, wie viele Menschen bereits getötet wurden

Über die Zahl der Opfer gibt es nur Mindestangaben. Gruppen wie die "Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte" mit Sitz in Coventry dokumentieren die Namen der Toten, wenn sie diese verifizieren können. Wenn eine ganze Familie unter Trümmern begraben wurde, fällt das jedoch schwer. Die Uno teilte deshalb 2014 mit, keine Zahlen mehr zu veröffentlichen, tat es dann aber doch. Sie geht davon aus, dass bisher mindestens 220.000 Syrer getötet wurden.

Nicht Giftgas oder der IS sind am gefährlichsten, sondern die Bomben

Der Anschlag von Damaskus 2013 war das bisher schlimmste Giftgas-Attentat des 21. Jahrhunderts mit hunderten Toten, vor allem Kindern und Frauen. Noch immer setzt das syrische Regime Chlorgas ein. Das unsichtbare Gift soll vor allem Angst machen. Getötet werden dadurch meist nur wenige. Der IS hat zwar in Syrien vermutlich mehrere Tausend Zivilisten ermordet. Doch selbst das ist vergleichsweise wenig angesichts der Zehntausenden Familien, die vor allem durch Luftangriffe des Regimes in ihren Häusern begraben oder durch die gefürchteten Fassbomben tödlich verletzt wurden.

Die Lebenserwartung ist von 76 auf 56 Jahre gefallen

Die medizinische Versorgung ist in vielen Teilen Syriens zusammengebrochen. Wer als Diabetiker oder Herzkranker auf Medikamente angewiesen ist, kann diese nur noch schwer bekommen. Zudem sind die Preise gestiegen. Vor 2011 stellte Syriens Pharmaindustrie 90 Prozent der benötigten Medikamente selbst her. Doch seitdem müssen teure Arzneien importiert werden. Die können sich viele nicht mehr leisten: Vier von fünf Syrern leben inzwischen in Armut. Sie können sich nicht einmal genügend zu essen kaufen. Die Arbeitslosigkeit ist zwischen 2011 und 2014 von 14,9 Prozent auf 57,7 Prozent angestiegen.

Die meisten Kinder gehen nicht mehr zur Schule

Eine verlorene Generation wächst in Syrien heran. Über die Hälfte der Sechs- bis Zwölfjährigen war im vergangenen Jahr nicht in der Schule. Ein Viertel der Kinder im schulpflichtigen Alter hat bereits seit drei Jahren keinen Unterricht mehr besucht. Vielerorts ist der Schulweg zu gefährlich, oder die Lehrer sind auf der Flucht. In den von der IS kontrollierten Gebieten haben die Dschihadisten die Schulen übernommen. Viele Eltern verstecken ihre Kinder zu Hause, damit sie nicht von den Radikalen umerzogen werden.

Alle 15 Sekunden wird ein Syrer zum Flüchtling

Vier Millionen Syrer leben nach Uno-Angaben als Flüchtlinge in den Nachbarstaaten. Zudem haben bereits knapp 220.000 Syrer in europäischen Ländern Asyl beantragt. In Syrien selbst sind weitere acht Millionen Menschen auf der Flucht. Die Tendenz in allen drei Fällen steigend. Insgesamt zwölf Millionen Menschen haben ihr Zuhause verloren. Syriens Bevölkerung wird deshalb nur noch auf 17 Millionen geschätzt. Weltweit gibt es außer den Palästinensern keine größere Flüchtlingsgruppe.

Der Schaden ist viermal so hoch wie die Wirtschaftsleistung vor dem Krieg

Auf rund 190 Milliarden Euro schätzt die Uno den Schaden. Syrien befindet sich in einem schlimmeren Zustand als Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Von seinen drei wichtigsten Städten sind zwei nahezu vollständig zerstört. Fünf seiner sechs Weltkulturerbe-Stätten sind beträchtlich beschädigt. Unzählige kleine Städte wurden verwüstet - oft so schwer, dass an einen Wiederaufbau gar nicht zu denken ist. Kobane etwa soll neben den Trümmern neu gegründet werden. Im Uno-Entwicklungsranking lag Syrien 2011 mit Rang 113 im Mittelfeld. 2014 war es nur noch Rang 173 von 187 Ländern.

Ausländische Kämpfer beeinflussen Syriens Schicksal

Beim IS kämpfen schätzungsweise rund 20.000 bis 30.000 ausländische Dschihadisten. Die Miliz schickt ihre Kämpfer zwischen Syrien und dem Irak hin und her. Ein Drittel Syriens stehen unter Kontrolle des IS. Auf Seiten von Diktator Baschar al-Assad kämpfen ebenfalls tausende Ausländer: schiitische Dschihadisten aus dem Libanon, Iran, Irak und sogar Afghanistan. Seit 2014 greifen auch die USA und mit ihnen verbündete arabische Länder durch Luftschläge gegen den IS militärisch in Syrien ein. Aus dem innersyrischen Konflikt wurde damit ein regionale Krieg mit tausenden Frontlinien und Akteuren. Das macht es so schwierig, ihn zu beenden.

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