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TV-Duell: Sat.1-Wahl-Talk unter der Gürtellinie


"Finden Sie Lindner scharf?"
Sat.1-Wahl-Talk unter der Gürtellinie

t-online, Marc L. Merten

Aktualisiert am 31.08.2017Lesedauer: 6 Min.
Sat.1-Moderator Claus Strunz inszenierte sich bei "Die zehn wichtigsten Fragen der Deutschen" lieber selbst, anstatt eine politische Diskussion zu führen.Vergrößern des BildesSat.1-Moderator Claus Strunz inszenierte sich bei "Die zehn wichtigsten Fragen der Deutschen" lieber selbst, anstatt eine politische Diskussion zu führen. (Quelle: Screenshot Sat.1)
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"Die zehn wichtigsten Fragen der Deutschen" wollte Sat 1 drei Wochen der Bundestagswahl den Spitzenkandidaten der vier "kleinen" Parteien stellen. Am Ende wurden es nur acht – auch, weil sich Moderator Claus Strunz lieber selbst inszenierte.

Die Gäste

Katrin Göring-Eckardt, Bündnis90/Grüne
• Katja Kipping, Die Linke
Christian Lindner, FDP
• Dr. Alice Weidel, AfD

Das Format

Gut 2000 Deutsche hatte Sat.1 im Vorfeld der Sendung befragt. Zehn Fragen, die das Land und die Menschen bewegen, entstanden daraus. Manche sollten die vier Politiker in 30-Sekunden-Statements beantworten, manche in Form von Diskussionen. Aus Zeitgründen blieben acht Fragen übrig. Auch, weil Moderator Claus Strunz lieber persönliche Geschichten rund um die Politiker herauskitzeln wollte, denen jede Aussagekraft fehlt. Der ehemalige "Bild-am-Sonntag"-Chef kam eben nicht aus seiner boulevardesk-populistischen Haut, für die er sich längst einen zweifelhaften Ruhm erarbeitet hat.

Der Tinder-Tiefpunkt

Erstes Opfer des Abends und ganz offensichtlich Strunz’ ausgewählter Kontrapunkt der Sendung war Christian Lindner. Den FDP-Politiker bezeichnete Strunz als den Plakat-Boy der deutschen Politik und fragte den verheirateten 38-Jährigen, wie es denn auf der Dating-App Tinder laufe. Lindner, ebenso verdutzt wie die meisten Zuschauer, musste sich anschließend für die Plakat-Aufmachung rechtfertigen, mit denen die FDP im Land wirbt. "Herr Strunz, die FDP ist nicht im Bundestag vertreten. Man kann den Weg der AfD wählen und sagen, dass Menschen entsorgt werden sollten. Oder man wählt wie wir einen kreativen Weg, um Menschen auch über soziale Medien zu erreichen", so der FDP-Chef. "Dass unser Weg polarisiert, ist klar. Aber sonst wäre Wahlkampf stinklangweilig."

Strunz zeigte sich jedoch immun gegen jedes Gefühl der Scham, war sich sogar nicht zu peinlich, Katrin Göring-Eckardt zu fragen: "Finden Sie Herrn Lindner eigentlich scharf?" Man darf sich fragen, ob der Moderator diese Frage auch an Angela Merkel richten wird, wenn es zum Kanzler-Duell mit Martin Schulz kommt. Mit Politik hatte dies jedoch herzlich wenig zu tun.

AfD am Pranger

In Momenten, in denen sich Strunz darauf besann, seiner journalistischen Aufgabe nachzugehen, gelang es ihm sogar, mitunter bissige Nachfragen zu stellen. Alles begann mit Göring-Eckardt, die die Arena zur Chance nutzte, AfD-Chefin Alice Weidel zu fragen, wie diese zu ihrem Parteigenossen und Co-Vorsitzenden Alexander Gauland stehe, nachdem dieser die Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz habe "entsorgen" lassen wollen. Zunächst redete sich Weidel raus, sie selbst sei lediglich der Meinung, Özoguz sei "sofort aus ihrem Job zu suspendieren".

Strunz stellte Weidel jedoch vor die Frage: "Spinnt Gauland oder hat er Recht?" Weidels Antwort: "Er hat sich im Ton vergriffen." Strunz fragte nach: "Wie oft darf er sich noch im Ton vergreifen?" Weidel begann zu schwimmen: "Fragen Sie ihn selbst!" Strunz ließ nicht locker: "Ist er ihnen peinlich?" Weidel wich aus und vollführte die AfD-typische Schuld-Umverteilung: "Nein. Er hat sich im Ton vergriffen. Aber was macht Angela Merkel? Sie begeht ständige Rechtsbrüche. Hier sind doch Doppelstandards am Werk. Wenn wir uns die Statistiken von Angriffen auf Politiker ansehen, dann fühle ich mich als Opfer."

Da war es an Katja Kipping einzuschreiten: "Wenn wir die Statistiken der Angriffe auf Flüchtlingsheime anschauen, dann verdrehen Sie gerade die Täter-Opfer-Rolle." Es war der hitzigste Moment des Abends und entlarvend für die AfD-Politikerin.

Die Fragen des Abends

Und dann ging es tatsächlich noch um Inhalte. Und zwar um acht Fragen, von denen fünf (!) das Thema Flüchtlinge und Asylpolitik betrafen. Ausgewogen war der Abend nicht. Aber das war weder bei Sat.1 noch bei Claus Strunz erwartbar gewesen.

  1. Was tun sie dafür, dass die Polizei für mehr Sicherheit sorgen können?
  2. Wie lösen Sie die Flüchtlingskrise?
  3. Wie möchten Sie uns vor Altersarmut schützen?
  4. Wie schaffen Sie Jobs, von denen man leben kann?
  5. Wie wollen Sie den Islamistischen Terrorismus in den Griff bekommen?
  6. Wie wollen Sie künftig abgelehnte Asylbewerber konsequent abschieben?
  7. Wie gewährleisten Sie die Finanzierung des Gesundheitswesen?
  8. Wie wollen Sie die Zuwanderung besser kontrollieren und organisieren?

Die Kern-Antworten von Katrin Göring-Eckardt

Die Grünen-Politikerin bezog klar Stellung, dass der Mindestlohn steigen soll und es eine Garantierente geben solle, um das Leben auch im Alter finanzieren zu können. "Wohnen wird eine der entscheidenden Fragen in Zukunft werden", womit sie auf die steigenden Mieten anspielte. Die Gesundheits- und Rentensysteme müssten künftig von allen "solidarisch finanziert" werden, weshalb alle Menschen – auch Abgeordnete – in diese Systeme "auch rückwirkend" einzahlen müssten.

Im Streitthema Nummer eins, der Sicherheit, plädierte Göring-Eckardt für mehr Polizei mit höheren Löhnen und besserer Ausrüstung, gegen Grenzkontrollen und Zäune, für die Kontrolle der Gefährder im Land und für die Ausweisung von Menschen, die kein Asylrecht hätten. Genauso aber erklärte sie die Argumentation für absurd, Afghanistan als sicheres Herkunftsland zu erklären, wenn selbst Deutschland keine Soldaten dorthin entsenden wolle, weil es dort zu gefährlich sei. Menschen, die rechtmäßig in Deutschland lebten, sollten wiederum die Chance erhalten, ihre Familie nachzuholen, um ihnen die Integration zu erleichtern.

Die Kern-Antworten von Katja Kipping

Die Linke fordert einen Mindestlohn von zwölf Euro und eine Mindestrente von 1050 Euro. Kipping bestätigte, dass Millionäre und Großunternehmen zur Kasse gebeten werden sollen, um die sozialen Sicherungssysteme zu stützen. Zudem müssten auch Abgeordnete künftig in die Rentensysteme einzahlen, ebenso müsse die Gesundheitsfinanzierung solidarisch strukturiert werden, um Beschäftigte und Patienten in diesem Sektor zu stärken. In Sachen Sicherheitspolitik vermied Kipping in Linken-Tradition ein Bekenntnis zur Polizei, forderte ein "Raus aus der Außenpolitik der Militarisierung" hin zu einer "sozialen Offensive", um die Menschen hinter der Flüchtlingskrise genauso zu schützen wie die Opfer von Terroranschlägen. Nur so könne es auf allen Seiten eine gelungene Integration geben.

Die Kern-Antworten von Christian Lindner

Christian Lindner wurde von der Mehrheit der Online-User bei Sat.1 zum Gewinner der Runde gewählt. Der FDP-Chef machte sich für ein Ende der "Perversion der Leistungsgerechtigkeit" stark, in der Menschen, die sozial gestützt werden müssen, teils noch dafür bestraft werden, wenn sie Nebenjobs annehmen, am Ende faktisch aber noch weniger netto übrig hätten. Lindner verteidigte Minijobs als Einstiegsoption in Jobs, erklärte, den Mindestlohn nicht wieder abschaffen zu wollen, sondern Löhne real wieder aufwerten zu wollen, indem Abgaben reduziert würden. Das würde auch die Polizisten betreffen, denen es an 15.000 Stellen fehle, so Lindner.

Es müsse möglich sein dass "jeder Gefährder lückenlos überwacht werden kann", um vor allem auch in Deutschland radikalisierte Menschen einzufangen. Und sollten Gefährder anderer Staatsbürgerschaften haben, müsste die Bundesregierung "robuster" auftreten, um eine gerechte Abschiebepolitik umzusetzen, in der wiederum alle Menschen willkommen seien, die sich integrieren und potentiell auch den Fachkräftemangel beheben könnten.

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Die Kern-Antworten von Alice Weidel

Alice Weidel erhielt scharfe Kritik für ihre Behauptung, die sozialen Sicherungssysteme seien auch wegen der Flüchtlingskrise in Schieflage geraten. Sie überraschte mit der Aussage: "In bestimmten Bereichen müssen wir auch Politik für Arbeitnehmer machen." Wie diese aussehen könnte, ließ sie jedoch gänzlich offen. Stattdessen erklärte sie offen, dass das diskriminierende Racial Profiling künftig bei der Polizei zum Einsatz kommen müsse, um bei Menschen "durch Merkmale auf ihre Herkunft" und dadurch auf ihr Gefahrenpotential schließen zu können.

Weidel erklärte zudem, dass das Asylrecht verändert werden müsse, auch, wenn sie später zurückruderte. Sie sagte: "Diese Menschen sind Asyl-berechtigt, aber das muss korrigiert werden." Sie sprach sich gegen die Möglichkeit des Familiennachzugs bei Einwanderern aus, vermischte in ihrer Argumentation aber Einwanderer und Asylsuchende, sprach dagegen davon, dass es eine "Minus-Zuwanderung" geben müsse, weil Deutschland die "Kapazitätsgrenze“ erreicht habe.

Was offen bleibt

Zwei von zehn Fragen blieben offen, von denen nicht bekannt ist, wie sie hätten lauten sollen. Dass bei fünf von acht Fragen aber die Themen Flüchtlinge, Einwanderung und Sicherheit eine Rolle spielten, zeigt, dass Sat.1 an diesem Abend eigentlich keinem anderen Thema echte Zeit einräumen wollte. Die Wirtschafts- und Steuerpolitik blieb genauso rudimentär betrachtet wie die Umweltpolitik gänzlich ausgespart blieb.

Warum das Thema Bildung für Strunz und Sat.1 nicht einmal eine Erwähnung wert war, darf ebenso hinterfragt werden wie die Rolle des Moderators selbst, der einmal sagte: "Populismus ist das Viagra der erschlafften Demokratie." So verkam der Wahlkampf-Abend in Sat.1 zum Tinder-Format für Parteisuchende. Da half am Ende nur eins: nach links wischen.

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