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Martin Schulz in ARD-"Wahlarena": "Dramatischste Entwicklung, die es gibt"


TV-Kritik: "Wahlarena" mit Schulz
"So was müssten Bundeskanzler einmal im Monat machen"

t-online, David Heisig

Aktualisiert am 20.09.2017Lesedauer: 4 Min.
SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz stellte sich knapp eine Woche vor der Bundestagswahl den Fragen von 150 repräsentativ ausgewählten Bürgern.Vergrößern des BildesSPD-Spitzenkandidat Martin Schulz stellte sich knapp eine Woche vor der Bundestagswahl den Fragen von 150 repräsentativ ausgewählten Bürgern. (Quelle: dpa-bilder)
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Wenige Tage vor der Bundestagswahl versucht SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, sich inhaltlich klarer von der Union abzusetzen und mit Zusagen für ein 100-Tage-Programm zu punkten. Die Fragen der Bürger scheinen ihm gefallen zu haben, denn am Ende erklärt Schulz: "So was wie hier müssten Bundeskanzler einmal im Monat machen: Irgendwo hingehen und sich das anhören."

Das Thema

Die Wahlarena wollte zweierlei Verheißung erfüllen: den Wahl-Unentschlossenen sollten "ein paar Sachen klarer werden" und Schulz seine "Topchance" nutzen. Worauf? Den Abstand zur Union noch minimieren zu können, erscheint illusorisch. Schulz, ganz Politik-Profi, stellte sich dennoch den Bürger-Fragen in einem Studio im Lübecker Hafen. Sie sollten ein Querschnitt der Gesellschaft darstellen, ein "Deutschland in klein". Schon die erste Frage hatte es in sich. Wie er den "Riesen-Schuldenturm" abbauen wolle, fragte ein Herr. Dazu hätte er von Schulz noch nichts gehört. Die Null-Zins-Politik der EZB ermögliche dem Staat, Schulden kostengünstig zu tilgen, erwiderte Schulz. Er wolle noch schneller tilgen, aber auch investieren. Zum Beispiel in Digitalisierung. Weiteres Thema waren steigende Immobilienpreise und Grunderwerbssteuern. Die Mietpreisbremse habe nicht funktioniert. Für Schulz die "dramatischste Entwicklung, die es gibt". In den Ballungszentren wohnten "sich gut-situierte Menschen arm". Er forderte im Angesicht von knappen Wohnraum und explodierenden Preisen eine "Obergrenze für Mieten". Mal was Neues: nicht für Flüchtlinge. Die gäbe es mit ihm wahrscheinlich auch nicht. Klar war sein Standpunkt beim Thema Integration dennoch. Man müsse fordern, nicht nur fördern.

Frage des Abends

19 Fragen wurden in 75 Minuten abgehandelt. Schulz kannte weder Inhalte, noch Themen im Vorfeld. Dafür parierte er recht passabel. Nur eine 42-jährige, sechsfache Mutter erwischte ihn auf dem falschen Fuß. In 20 Jahren habe sie viele berufliche Bereiche kennen gelernt, sei Taxi gefahren, Eventmanagerin und Pflegekraft gewesen. Wie er dafür sorgen wolle, dass jemand wie sie auch später finanziell auskommen könne, mit mehr als der Mindestrente. Schulz fragte nach: "Sie haben eine Reihe von Berufen genannt." Er wollte auf die Einzahlungsdauer in die gesetzliche Rente hinaus. Die Dame war überrascht. Sie sei Mutter gewesen. In diesem Job habe sie alle genannten Aufgaben übernommen. Die Zuschauer applaudierten. Schulz war baff, sagte erstmal gar nichts. Die Fragende war verunsichert. Hatte sie Schulz über Gebühr ein wenig veräppelt, mag ihr durch den Kopf geschossen sein. Im Gegenteil: Schulz nutzte die Chance, beim Thema Rente der Kanzlerin den schwarzen Peter zuzuschieben. Die sehe hier keinen Handlungsbedarf. Er dagegen mache sich für eine Solidarrente stark. Damit auch Mütter mehr auf dem Rentenbescheid stehen hätten.

Aufreger des Abend

An zwei Stellen entlud sich ein wenig Wut bei Zuschauer und Schulz. Ein Fragender benannte einen Fall, den Schulz zitierte habe: vom arbeitslos gewordenen 50-jährigen Schweißer aus Elmshorn, der nicht in den Arbeitsmarkt zurückgefunden habe. Für solche Leute könne man doch ein Arbeitslosengeld-Ehrenamt einführen. "Ne, kann ich nicht mit dienen", konterte Schulz trocken. Gut Qualifizierte seien das Rückgrat der Gesellschaft. Die dürfe man nicht aufgeben. Mit ihm gebe es „keine staatliche Alimentierung für das Ehrenamt“. "Ich will die ja gerade nicht aufgeben", echauffierte sich der Zuschauer. Man einigte sich darauf, die Schuhe sauber zu trennen. Qualifizierte, die den Job verlören, müssten schnell wieder in Lohn und Brot gelangen. Für die anderen, die trotz Qualifikation keine Arbeit fänden, "da müssen wir was tun", versprach Schulz. Nach eigenem Bekunden „richtig knatschig“ wurde er beim Diesel-Gate. Hier ging er vehement die Bundeskanzlerin an, die den Entwurf einer Musterfeststellungsklage seines Genossen Heiko Maas blockiere, weil ihr das "Gesetz nicht präzise genug" sei. Das habe eindeutig Lobby-Gründe.

Moderatoren-Moment

Sonia Mikich und Andreas Cichowicz, Chefredakteure von WDR und NDR konnten sich zurücklehnen. Fragesteller nach Handzeichen aussuchen, anstatt selbst die bohrenden Fragen stellen, stand auf ihrem Tagesplan. Das machten sie gut. Die Stimmung im Publikum war auch äußerst entspannt. Schulz wurde mit warmem Applaus bedacht. Deeskalieren mussten die Moderatoren nicht. Mal abgesehen von Hinweisen an beide Seiten, zum Punkt zu kommen. Mikich hielt sich zurück. Cichowicz wollte zumindest ein wenig nachbohren. Etwa in der Diskussion über Wolfgang Schäubles "schwarze Null". Was er da anders machen wolle als der Bundesfinanzminister, fragte der NDR-Mann. Schulz gratulierte dem CDU-Kontrahenten erst einmal zum 75. Geburtstag. Um dann nachzuschieben, der hätte in der Sachfrage "nicht einen Vorschlag gemacht."

Was von der Sendung übrig bleibt

Schade war, dass Schulz nicht aus seinem gewohnten Terrain gelockt wurde. Bei den strittigeren Themen fehlte der Sendung das Glück, einen Fragesteller zu haben, der pointierter nachhakte. Was aber dem Faktor Zeit und der Aufregung der Fragenden geschuldet war. Alleinige eine Dame hatte den Mut, Schulz nicht so einfach aus der Pflicht zu entlassen. Thema war soziale Gerechtigkeit. Es ging um Menschen, die aufgrund unverschuldeter Krankheit vor dem Ruin stehen. Die Dame hatte das selbst erlebt. "Die fallen bei ihnen durchs Raster", klagte sie Schulz da an, wo es der SPD eigentlich wehtun sollte. "Solange wir parieren, sind wir gut", legte sie nach. Schulz duckte sich nicht weg, warb um Vertrauen. Er könne ihr Gefühl verstehen. Dafür gab es Applaus. Ansonsten gelang es ihm, sich volksverbunden zu zeigen. Und immer wieder zu betonen, wer Veränderung wolle, müsse am 24. September ihn wählen. Stellenweise auch mit leicht absurden Witz. Etwa als er eine Dame bedauerte, die im schwarz-gelb regierten Hessen wohnt. Oder er – wie gefühlt in jeder Diskussionsrunde der letzten Wochen – mit Ortskenntnissen Deutschlands hervor stach, um die ihn jeder Taxifahrer beneiden würde. Jedenfalls weiß der Zuschauer jetzt, wo Malente liegt. In Ostholstein. Seine Ehrlichkeit zumindest kaufte man Schulz ab. Als er betonte, er müsse über aufgeworfene Fragen des Abends erst einmal nachdenken oder er versprach, Denkanstöße mitzunehmen.

"Darf ich was sagen?"

Nach gut 75 Minuten Wahlkampf im Schnelldurchlauf war die Zeit um. "Darf ich was sagen?", fragte Schulz zum Schluss. "Nein", entgegnete die Moderatorin. Schulz sagte trotzdem was. "Tut mir leid. Ich reklamiere jetzt mal für mich das Recht als Gast, einen Satz zu sagen", erklärte der Ober-Genosse und verkündete: "So was wie hier müssten Bundeskanzler einmal im Monat machen: Irgendwo hingehen und sich das anhören." Ob Schulz immer so glimpflich davon käme, ist fraglich. Ob er Kanzler wird, auch.

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