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Angela Merkel im Exklusiv-Interview: Digitalisierung voran bringen


"Politik alleine kann keine Arbeitsplätze schaffen"

Interview von Florian Harms und Patrick Diekmann

Aktualisiert am 22.09.2017Lesedauer: 11 Min.
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Bundeskanzlerin Angela Merkel verteidigt die Arbeitsmarktpolitik in ihrer Amtszeit: "Die Arbeitslosigkeit hat sich seit damals halbiert."Vergrößern des Bildes
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verteidigt die Arbeitsmarktpolitik in ihrer Amtszeit: "Die Arbeitslosigkeit hat sich seit damals halbiert." (Quelle: HC Plambeck/T-Online-bilder)

Drei Tage vor der Bundestagswahl sieht Angela Merkel wie die sichere Siegerin aus - aber hat sie wirklich die richtigen Antworten auf Deutschlands Probleme? Im Interview mit t-online.de spricht die Kanzlerin über Armut, Digitalisierung, Bildungspolitik - und das angespannte Verhältnis zur Türkei.

Frau Bundeskanzlerin, viele Bürger haben den Eindruck, dass im Wahlkampf zu wenig über ihre Sorgen und Nöte gesprochen wird. Auch bei Ihrem TV-Duell mit Herrn Schulz blieben viele Themen unberücksichtigt. Er hat dann ein zweites Duell vorgeschlagen, Sie haben abgelehnt. Warum gehen Sie der Debatte aus dem Weg?

Merkel: Ich habe gerne in einem TV-Duell mit Martin Schulz diskutiert. Vergessen wir aber nicht, dass sich bei uns nicht wie in den USA oder Frankreich zwei Präsidentschaftskandidaten gegenüberstehen, sondern dass Parteien gewählt und Koalitionen gebildet werden.

Ihre Partei, die CDU, suggeriert im Wahlkampf, dass es Deutschland nie besser gegangen sei als jetzt unter Ihrer Regierung. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung, wenn laut Armutsbericht 40 Prozent der Arbeitnehmer weniger Geld haben als Mitte der neunziger Jahre?

Heute sind weit mehr Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt als 2005 zu Beginn meiner Kanzlerschaft. Die Arbeitslosigkeit hat sich seit damals halbiert, das hat Millionen von Menschen neue Chancen gegeben. Wir haben den Mindestlohn eingeführt, auch das hilft Millionen von Menschen ganz konkret. Von den Lohnsteigerungen profitieren zuletzt vor allem Beschäftigte mit unterdurchschnittlichen Verdiensten. Natürlich brauchen wir noch mehr gute Arbeitsplätze mit gutem Einkommen. Insgesamt jedoch hat sich die Lage sehr vieler Menschen verbessert. Wir formulieren im Wahlkampf mit unserem Motto „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“ das Ziel unserer zukünftigen Politik.

…was eben so klingt, als würde es allen gut gehen.

Das ist das Ziel, natürlich. Wir wollen ein Deutschland, in dem jeder und jede gut und auch gerne lebt.

Der Armutsbericht Ihrer eigenen Regierung dokumentiert aber eindeutig, dass der zunehmende Wohlstand bei den unteren 40 Prozent der Bevölkerung nicht ankommt.

Sie beschreiben eine Entwicklung, die bis 2008 zu beobachten war. Seit 2009 entwickeln sich die Reallöhne im Niedriglohnbereich besser als im Durchschnitt. Außerdem spreche ich auch nicht nur einfach davon, dass wir noch mehr Arbeitsplätze brauchen, sondern ich spreche von noch mehr guter Arbeit. Gute Arbeit mit einem angemessenen Einkommen - das hängt mit Bildung und Ausbildung zusammen. Wir haben mittlerweile in vielen Branchen einen ausgeprägten Fachkräftemangel. Wir müssen sowohl bei den Schulabschlüssen als auch in der beruflichen Ausbildung noch besser werden. Deshalb geben wir uns nicht mit der Halbierung der Arbeitslosigkeit bis heute zufrieden, sondern wollen die heutige Zahl der Arbeitslosen bis 2025 noch einmal halbieren. Vor allem werden wir alle Kräfte einsetzen, um möglichst viele Menschen aus der Langzeitarbeitslosigkeit zu holen.

Im Wahlprogramm Ihrer Partei heißt es: „Eine starke Wirtschaft sorgt für eine gute Arbeit“. Viele junge und viele alte Menschen sind aber von Armut bedroht. Wird es nicht allmählich Zeit für eine starke Politik, die für gute Arbeit sorgt?

Politik alleine kann keine Arbeitsplätze schaffen, sondern kann und muss für die Rahmenbedingungen sorgen, damit die Wirtschaft - Selbstständige, Unternehmen, Mittelstand, Start-Ups, Handwerker – wachsen und Mitarbeiter einstellen können. Eine gute wirtschaftliche Entwicklung kann der Staat zum Beispiel durch intensive Forschungsförderung unterstützen. In den vergangenen zehn Jahren haben wir die Ausgaben für die Forschung mehr als verdoppelt. Jetzt wollen wir die steuerliche Forschungsförderung für mittelständische und kleine Unternehmen umsetzen. So kann der Staat die Basis für Innovation und Wachstum legen und Anreize für Beschäftigung schaffen. Und je mehr Menschen gute Arbeit haben und Steuern bezahlen, desto besser können wir als Sozialstaat denen helfen, die Hilfe brauchen.

Aber müsste der Staat nicht dafür sorgen, dass weniger Leute in den Niedriglohnsektor rutschen, wo sie zwar Arbeit haben, aber nicht ausreichend verdienen?

Die Tarifautonomie ist eine starke Säule der sozialen Marktwirtschaft. Üblicherweise geht man davon aus, dass die Tarifverhandlungen für gerechte Löhne sorgen, die Gewerkschaften haben dabei großen Einfluss und große Verantwortung. Ich bedauere jedoch, dass die Tarifbindung in Deutschland abgenommen hat. Deshalb und weil wir Niedriglohnauswüchse stoppen wollten, haben wir einen gesetzlichen Mindestlohn eingeführt.

Wer gut ausgebildet ist, hat größere Chancen auf einen höheren Verdienst. Laut OECD investiert Deutschland aber weniger als der EU-Durchschnitt in Schulbildung. Hinzu kommt das Kooperationsverbot, das zu chaotischen Zuständen in der Bildungspolitik führt. Bitte eine klare Antwort: Wenn Sie als Bundeskanzlerin wiedergewählt werden, setzen Sie sich dann dafür ein, dass das Kooperationsverbot abgeschafft wird?

Vorweg: Wir geben in einem Bereich, und zwar für die Grundschulen, tatsächlich etwas weniger Geld aus als der OECD-Durchschnitt. In allen anderen Bereichen aber liegen wir mit den Ausgaben auf oder über dem Durchschnitt. In Ländern, denen die OECD höhere Bildungsausgaben bescheinigt, fließt oft eine Vielzahl von privaten Mitteln in die Rechnung ein, zum Beispiel Studiengebühren, die wir nicht haben. Die staatlichen Bafög-Zahlungen dagegen, die ja eindeutig Bildungsausgaben sind, rechnet die OECD nicht an. Was das Kooperationsverbot betrifft: Ich habe bislang keinen Ministerpräsidenten getroffen, der nicht sehr viel Wert auf seine Zuständigkeit in der Schulpolitik legt. Ich verstehe aber gut, dass die Bürger keine Lust auf Zuständigkeitsdebatten haben, ich auch nicht. Davon zu unterscheiden ist jedoch, dass Verantwortlichkeiten geklärt sein müssen. Deshalb haben wir das Grundgesetz geändert. Der Bund kann nun finanzschwachen Kommunen bei der Sanierung und Modernisierung ihrer Schulen helfen. Dafür stellen wir 3,5 Milliarden Euro bereit, die jetzt schrittweise ausgegeben werden.

Das Problem ist doch aber größer: unterschiedliches Ausbildungsniveau, fehlende Lehrmittel und Computer…

Wir wollen den Ländern bei den Herausforderungen des digitalen Fortschritts helfen; erstens bei der Anbindung der Schulen, insbesondere im ländlichen Raum, ans Breitband-Internet; zweitens mit einer Schul-Cloud, über die digitale Lehrinhalte zur Verfügung gestellt werden können; drittens indem wir die dringend erforderliche Weiterbildung der Lehrer unterstützen; viertens indem wir einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung auch in der Grundschule schaffen. Das alles sind Möglichkeiten, die Länder praktisch zu unterstützen und zugleich klare Verantwortlichkeiten zu haben.

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Würden Sie zustimmen, dass Deutschland bei der Digitalisierung hinterherhinkt?

So pauschal ist das falsch, denn wir haben mit unserer Digitalen Agenda und dem Standard Industrie 4.0. weit über Deutschland hinaus Maßstäbe gesetzt. Auch bei der Unterstützung der mittelständischen Wirtschaft in allem, was die Industrie 4.0, das Internet der Dinge betrifft, sind wir sehr gut aufgestellt. Lücken haben wir bei der Anbindung an das Breitband-Netz in den ländlichen Räumen.

Der Glasfaserkabel-Ausbau ist sehr schleppend.

Da ist Deutschland nicht so weit vorne. Aber dabei wird übersehen, dass wir wegen des weit verbreiteten Kabelfernsehens viele Kabelanschlüsse haben. Es wird übersehen, dass wir eine Technologie besitzen, die uns vielleicht eines Tages nicht mehr die notwendigen Breitband-Kapazitäten bringt, aber heute noch durchaus vernünftig ist: das Vectoring, also das Aufsetzen auf die Kupferleitungen. Wir wollen bis Ende 2018 alle Haushalte mit 50 Megabit pro Sekunde ans Internet angeschlossen haben. Aber wir sehen schon heute: Zum Beispiel für den Handwerker auf dem Lande, oder die Gemeindeschwesternstation, die telemedizinischen Rat braucht, brauchen wir mehr. Das erfordert die Gigabit-Gesellschaft, deshalb ist das ein zentraler Teil unseres Regierungsprogrammes.

Warum packen Sie das Thema erst jetzt richtig an?

Die Digitale Agenda und die Netzallianz haben wir schon 2014 aufgelegt. Mittlerweile sehen wir klar, wo die Wirtschaft die Anbindung ans Internet leistet und wo der Staat, weil es sich ökonomisch nicht rechnet, eingreifen muss – und für diese Regionen sind Förderprogramme aufgelegt.

Aber das reicht doch nicht, um irgendwann einmal zu digitalen Vorreitern wie zum Beispiel die USA aufzuschließen. Warum investiert Ihre Bundesregierung nicht mehr Geld in Künstliche Intelligenz, Gesundheitsforschung, klimaschonende Technologien?

Auch die USA bieten ein gemischtes Bild. Der Netzanbindung in manchen Gegenden dort hinken wir sicher nicht hinterher. Bei der datengetriebenen Wirtschaft, bei der völlig neuen Beziehung zum Konsumenten, ist Silicon Valley weltführend, und Südkorea und China muss man ebenso erwähnen. Da hat Europa Defizite, die wir aufholen müssen und können. Genau deshalb ist unsere Digitale Agenda so wichtig. Mit der Industrie 4.0. haben die traditionell hochinnovativen deutschen Produzenten gute Chancen, Weltmarktführer zu werden, auch wenn der Wettbewerb hart ist. Bei der Frage, wie der Bürger mit seinem Staat kommunizieren kann, ist Deutschland noch zu träge. Das liegt vielleicht auch daran, dass wir eine eingespielte und leistungsfähige Verwaltung haben, die nicht danach ruft, dass alles von Grund auf neu gemacht wird. Jetzt haben wir aber die Voraussetzungen geschaffen, um wirklich mit einem einheitlichen digitalen Bürgerportal loslegen zu können. Das bedeutet natürlich auch, dass wir für Neues offen sein sollten, zum Beispiel für die Nutzung elektronischer Gesundheitskarten. Bei Datensicherheit und Datenschutz – beides gehört zu den zentralen Anforderungen der Digitalisierung – ist Europa führend. Und noch einen Punkt, der mir sehr am Herzen liegt…

…ja?

Wir haben jetzt die strategisch wichtige Entscheidung getroffen, dass Europa sich wieder an der Herstellung von Computer-Chips beteiligt. Dafür wird es sehr gezielte Beihilfen aus den Mitgliedsstaaten geben, auch aus Deutschland. Ein ähnliches Vorgehen erwägen wir bei der Entwicklung unserer Fähigkeiten im Bereich der Künstlichen Intelligenz.

Macht Ihnen die Digitalisierung eigentlich manchmal Angst?

Ich versuche grundsätzlich, Neuem nicht von vornherein mit Angst zu begegnen. Der digitale Fortschritt stellt uns vor völlig neue Herausforderungen. Wir alle stehen vor nicht gekannten Mengen von Informationen und müssen lernen, sie zu priorisieren, zu ordnen und zu bewerten. Dem muss man sich ganz persönlich stellen. Ich kann im Prinzip alles wissen, ich kann im Netz nach allem suchen. Aber aus diesen Kenntnissen kann ich mir nur dann auch neue Erkenntnisse erarbeiten, wenn ich gelernt habe, die Informationen vernünftig zu verknüpfen. Deshalb ist digitale Bildung in den Schulen so wichtig. Da geht es nicht nur darum, wie man einen Computer bedient oder wie man programmiert. Man muss vielmehr auch lernen, sich in dieser Informationsflut zurechtzufinden. Für die Menschheit ist das eine Schwelle ähnlich der Einführung des Buchdrucks. Erst wurden nur wenige Exemplare in Klöstern von Hand abgeschrieben, dann konnte theoretisch jeder Bücher lesen. Die Menschen haben das gelernt, und so werden wir auch lernen, mit den neuen Möglichkeiten umzugehen.

Ein anderes Thema, das Deutschland gegenwärtig vor Herausforderungen stellt, ist das Verhältnis zur Türkei. Dort sind mittlerweile elf Bundesbürger aus politischen Gründen inhaftiert. Präsident Erdogan beschimpft deutsche Politiker als Nazis und fordert türkischstämmige Deutsche auf, nicht CDU, SPD oder Grüne zu wählen. Was antworten Sie ihm?

Ich habe ihm schon geantwortet, dass sowohl die Nazivergleiche als auch der Eingriff in unseren Wahlkampf völlig inakzeptabel sind. Die türkische Regierung entfernt sich in schnellem Tempo von rechtstaatlichen Prinzipien. Sie hält deutsche Staatsbürgerinnen und Staatbürger ohne nachvollziehbare Gründe hinter Gittern. Wir werden nicht aufhören, daran zu erinnern und für die Freilassung unserer Landsleute zu arbeiten. Darüber hinaus tun wir auf allen uns zur Verfügung stehenden politischen und diplomatischen Wegen alles, um sie bis dahin so gut es geht konsularisch zu betreuen.

Haben Sie den Eindruck, Präsident Erdogan hört Ihnen da zu?

Dass er zuhört, merkt man daran, wie schnell gelegentlich auf unsere öffentlichen Äußerungen geantwortet wird. Ein Einlenken kann ich leider bisher jedoch nicht erkennen. Deutschland hat kein Interesse an gespannten Beziehungen zur Türkei. Im Gegenteil, schon um der drei Millionen türkischstämmigen Menschen in Deutschland willen wünsche ich mir ein gutes Verhältnis. Aber Außenpolitik folgt nicht nur Interessen, sondern immer auch Werten. Und diese Werte von Demokratie und Rechtstaatlichkeit werden von der türkischen Regierung im Augenblick in vieler Hinsicht verletzt.

Als Reaktion auf die türkischen Provokationen erwägt Ihre Regierung, die Türkei auf die sogenannte „Risikoliste“ zu setzen. Dann könnten Tausenden deutschen Beamten Urlaubsreisen in das Land untersagt werden. Meinen Sie, dass das Herrn Erdogan beeindruckt?

Es geht bei Reisehinweisen für Touristen und bei Reiserichtlinien zum Beispiel für Beamte aus Bundesbehörden immer um die Frage des verantwortlichen Umgangs mit unseren Staatsbürgern.

Aber wenn deutsche Bürger aus politischen Gründen verhaftet werden, warum spricht Deutschland dann keine Reisewarnung für die Türkei aus?

Das Auswärtige Amt hat seine Reisehinweise für die Türkei mehrfach den aktuellen Ereignissen auch an Touristenzielen angepasst und präzisiert. Ich empfehle jedem, diese Hinweise ernst zu nehmen.

Die deutschen Waffenexporte in die Türkei wurden zwar deutlich reduziert, aber nicht komplett eingestellt. Laut Wirtschaftsministerium hat Deutschland seit Anfang des Jahres Rüstungsgüter mit einem Gesamtwert von 25 Millionen Euro in der Türkei genehmigt. Warum sorgen Sie nicht dafür, dass Erdogans Armee gar keine deutschen Rüstungsgüter mehr bekommt?

Die Türkei ist wie wir in der Allianz gegen den Terror des IS und wir sind gemeinsam in der Nato. Innenminister Thomas de Maizière hat mit Recht gesagt, dass wir den Austausch und die Zusammenarbeit mit der Türkei brauchen, wenn es um die Verfolgung islamistischer Terroristen geht. Wo die Gefahr besteht, dass Waffen zur Repressionen gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden, sind wir restriktiv. Deshalb müssen wir bei Exportgenehmigungen Einzelfall für Einzelfall entscheiden.

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel hat im t-online.de-Interview erwähnt: Präsident Erdogan habe ihm schon vor Jahren gesagt, dass er gar nicht in die EU will. Warum werden die Beitrittsgespräche mit der Türkei dann nicht komplett eingestellt? Derzeit sind sie nur ausgesetzt.

Die EU-Mitgliedsstaaten werden auf dem Europäischen Rat im Oktober über den Umgang mit der Türkei und die Zukunft der Beitrittsverhandlungen – Weiterführung, Suspendierung oder Abbruch – beraten. Hier gilt es vieles zu beachten und abzuwägen.

Frau Bundeskanzlerin, die Flüchtlingskrise hat in dieser Legislaturperiode Ihre Amtszeit geprägt. Ihre Flüchtlingspolitik hat viele Bürger verunsichert. Grämen Sie sich, dass sie den Aufstieg der AfD durch Ihre Politik mit befördert haben?

Die Legislaturperiode war von verschiedenen Ereignissen geprägt. Denken wir an den Höhepunkt der europäischen Staatsschuldenkrise in Griechenland. Auch der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland war und ist noch immer eine sehr große Belastung für den Frieden in Europa. Der islamistische Terrorismus hat viele Länder in Europa und auch uns brutal angegriffen. Angesichts des zeitweiligen Vordringens des IS im Irak beteiligt sich Deutschland an der Seite vieler unserer Partner am Anti-Terror-Kampf im Mittleren Osten. Natürlich waren auch die vielen Menschen, die vor zwei Jahren in Deutschland Schutz vor Verfolgung, Krieg und Terror suchten, eine enorme Herausforderung für unser Land. Es war richtig, diesen Menschen zu helfen und ich danke allen von Herzen, die sich damals und seitdem für diese humanitäre Großaufgabe eingesetzt haben. Aber es ist natürlich auch richtig, dass sich eine solche humanitäre Notlage nicht wiederholen soll und darf. Wir haben aus ihr ja auch gelernt: Vor dem Sommer 2015 hatte ganz Europa sich nicht ausreichend um die Situation der Flüchtlinge in Syrien, dem Libanon, in Jordanien und der Türkei gekümmert, das hat sich grundlegend geändert.

Und heute?

Wir haben dafür gesorgt, dass die Flüchtlinge in den Lagern um Syrien und den Irak wieder vernünftig versorgt werden. Und wir setzen heute dort an, wo die Menschen herkommen. Wir helfen, Fluchtursachen bekämpfen. Wir gehen gegen die kriminellen Schlepper und Schleuser vor, die skrupellos Menschenleben aufs Spiel setzen. Wir arbeiten mit wichtigen Transitländern wie der Türkei oder Niger eng zusammen. Wir können dadurch die Migration in einer ganz anderen Weise steuern und ordnen. Die Zugangszahlen in Europa und in Deutschland sind ja inzwischen auch deutlich gesunken.

Es bringt Deutschland aber auch in eine prekäre Lage, wenn man nach Libyen schaut: Dort gibt es eine Zusammenarbeit mit der sogenannten libyschen Küstenwache – in Wahrheit sind das Warlords.

Wir haben in Libyen eine von der internationalen Gemeinschaft anerkannte Regierung der nationalen Einheit. Mit dieser Regierung arbeiten wir als Europäische Union zusammen und bilden auch die Küstenwache dieser Regierung aus, damit sie besser die Grenzen schützen und Menschenleben retten kann. Diese Regierung hat aber längst nicht die Macht über das gesamte libysche Territorium. Neben der libyschen Regierung arbeiten wir deshalb intensiv mit der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR und der Internationalen Organisation für Migration IOM zusammen. Je mehr Zugang sie zu Flüchtlingen und Migranten in Libyen bekommen, desto besser. Noch müssen sich viel zu viele in Lagern aufhalten, von denen wir wissen, dass dort unwürdige Bedingungen herrschen. Deutschland unterstützt UNHCR und IOM dabei, die Lebensbedingungen von Flüchtlingen und Migranten zu verbessern; gerade haben wir dafür zusätzliches Geld zur Verfügung gestellt.

Letzte Frage: Herr Schulz wirft Ihnen vor, im Wahlkampf unzulässigerweise Regierungsmitarbeiter einzusetzen. Was antworten Sie ihm?

Dieser Vorwurf ist falsch und öffentlich schon viele Male entkräftet worden.

Frau Bundeskanzlerin, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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