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Jamaika-Sondierung gescheitert: FDP inszeniert sich als Außenseiter


Gescheiterte Sondierungen
Das gefährliche Kalkül der FDP

t-online, Jonas Schaible

Aktualisiert am 22.11.2017Lesedauer: 5 Min.
Lindner bei den Sondierungen: Unklar bleibt, welche Prinzipien er verteidigen will.Vergrößern des BildesLindner bei den Sondierungen: Unklar bleibt, welche Prinzipien er verteidigen will. (Quelle: Ralf Hirschberger/dpa-Zentralbild/dpa)
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Die FDP lässt die Jamaika-Sondierung platzen und inszeniert sich als Außenseiter. Damit zielt sie auf neue Wähler. Und riskiert alles.

Eine Analyse von Jonas Schaible

Alles sieht nach einem Alleingang aus. Dieser Eindruck wird bleiben. Allein verließen die FDP-Unterhändler gegen Mitternacht die Baden-Württembergische Landesvertretung. "Den Geist des Sondierungspapiers können und wollen wir nicht verantworten", sagte Parteichef Christian Lindner: "Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren."

Währenddessen saßen die anderen drei Parteien noch drinnen zusammen. Erst eine gute Stunde später traten auch sie vor die Kameras. Die Unions-Delegation sprach zuerst und stand noch im Hintergrund, als die Grünen sich äußerten. Und was sie sagten, klang so harmonisch wie nie zuvor in den vier Wochen.

Eine Einigung, schwor CSU-Chef Horst Seehofer gleich zweimal, sei "zum Greifen nah" gewesen. Katrin Göring-Eckardt von den Grünen betonte, sie sei sicher, dass "das Bündnis zustande hätte kommen können". Und Angela Merkel sagte, sie glaube entschieden, "dass wir auf dem Weg waren, eine Koalition zu finden." Alle dankten einander, vor allem aber der Kanzlerin für ihre Vermittlungsarbeit.

Die Botschaft war eindeutig: Es war ganz, ganz, ganz knapp. CDU, CSU und Grüne haben alles versucht. Dann schlug die FDP alles kaputt.

Die FDP inszeniert sich selbst als Außenseiter

Was wirklich vorgefallen ist, ob die anderen Parteien wirklich so sehr ans Gelingen glaubten, ob sich die Positionen wirklich so nahe waren: All das spielt keine Rolle mehr.

Eine eindeutige Geschichte hat sich jetzt schon herausgebildet. Die FDP ist darin der Außenseiter, ja mehr noch, der Saboteur, der Verräter. Und die FDP selbst? Akzeptiert diese Erzählung, befördert sie sogar. Was verspricht sie sich davon? Und hat sie sich damit womöglich verzockt?

In den vergangenen Tagen, das zeigt eine aktuelle Civey-Umfrage, sah nur eine kleine Minderheit die Verantwortung für ein mögliches Scheitern bei der FDP. Da schien es noch so, als würde die FDP bei einem Abbruch sogar wie die vernünftige, auf Ausgleich bedachte Kraft wirken.

Aber dieses Bild hat sie bewusst zerschlagen. Sie brach nicht nur die Verhandlungen ab, sie inszenierte den Abbruch. Sie will offensichtlich als prinzipientreu gelten bis über die Schmerzgrenze hinaus. “Wir werfen ausdrücklich niemandem vor, keinem unserer drei Gesprächspartner, dass er für seine Prinzipien einsteht. Wir tun es aber auch für unsere Prinzipien, für unsere Haltung”, sagte Lindner.

Der Kompromiss als feige Klüngelei

Abgesehen davon, dass die FDP Schwierigkeiten hätte, genügend qualifiziertes Personal für alle Regierungsämter zu finden, und deshalb gar nicht unbedingt regieren wollte, bleibt nur eine Erklärung: Die FDP hat zuletzt auffallend häufig nationalliberal geredet, sich für starke Beschränkung des Flüchtlingszuzugs eingesetzt und damit versucht, Wähler anzuziehen, denen Merkel zu links, die AfD zu radikal und Seehofer zu unstet ist. Wähler, die eine Abneigung gegen Politik und Politiker pflegen, gegen die da oben und das System, gegen die Kartellparteien, die für einen Posten noch das Zahngold ihrer Großeltern verkaufen würden.

Mit anderen Worten: Die FDP will offenbar das populistische Ressentiment für sich nutzen, das seine parteipolitische Heimat in der AfD gefunden hat, aber sich in allen gesellschaftlichen Sphären breit macht.

Lindner als deutscher Sebastian Kurz?

Nur diese Wähler kann Lindner im Sinn haben, wenn er sich und seine Partei gegen alle anderen stellt. Denn nur diese Wähler finden demonstrative Einigkeit und Dankbarkeit gegenüber der Kanzlerin anstößig, nur sie machen den Kompromiss als feige Klüngelei verächtlich, nur sie goutieren es, wenn sich jemand die Zumutungen der anderen nicht bieten lässt.

Der Vergleich machte in der Nacht unter Beobachtern schon die Runde: Lindner könnte mehr wollen als nur kleiner Partner in einer merkwürdigen Vierer-Koalition zu sein. Er könnte versuchen, ein deutscher Sebastian Kurz zu werden. Smart, jung, national, aber nicht rechtsextrem.

Niemand liebt den Verräter

Dieses Kalkül wäre riskant. Noch riskanter, als es Lindners Verhandlungstaktik immer schon war.

Denn viele lieben den Verrat, aber niemand liebt den Verräter, heißt es. Erst recht, wenn sich die Lesart durchsetzt, die FDP habe am Ende nur noch zum Schein verhandelt und also falsch gespielt. Erst recht, wenn der Verräter dem wichtigsten Land Europas weitere Wochen und Monate ohne gewählte Regierung zumutet, während der Brexit verhandelt werden muss, Donald Trump die US-Demokratie zertrampelt, ungeschickt, aber wirkungsvoll, und während insgesamt der Eindruck besteht, Deutschland werde gebraucht, um die Welt zusammenzuhalten.

In so einer Situation braucht der Verräter wenigstens gute Gründe für sein Handeln. Nur hatte die FDP in der Nacht große Mühe zu erklären, welche Prinzipien sie eigentlich unbedingt verteidigen möchte. Denn ihre Kernthemen gehörten eigentlich nicht zu den besonders umstrittenen Punkten.

An der Bildung kann es nicht gelegen haben

Am Wochenende soll Lindner plötzlich die CSU dazu gedrängt haben, beim Familiennachzug nicht auf Angebote der Grünen einzugehen, so erzählen es Teilnehmer. Warum, verstand niemand. Die FDP ist zwar dafür, die Zuwanderung zu begrenzen, aber hatte dieses Thema nie als entscheidend benannt und war immer dafür, den Familiennachzug unter bestimmten Bedingungen zu erlauben. Sollte das ein Prinzip sein?

Im Wahlkampf hatte sie Bildung und Digitalisierung zu ihren Kernthemen erklärt. Nun waren beide Themen während der Gespräche kaum umstritten. Über Digitales einigten sich die Gruppen schon vor Tagen, lediglich die FDP-Forderung nach einem eigenen Digitalministerium wurde auf die Koalitionsverhandlungen verwiesen, aber nicht abgewiesen. In der Bildung verweigerte sich die Union einer Grundgesetzänderung, um dem Bund mehr Einfluss zu geben. Dass eine Koalition daran scheitern könnte, hat die FDP nie klar benannt.

Was außerdem nicht ins Bild passt: Auch die Grünen wollten das so genannte Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern durch eine Grundgesetzänderung aufheben. Genau wie die FDP. In seinem Statement sagte Lindner aber, die Unterschiede zwischen FDP und Union wären überbrückbar gewesen. Die mit den Grünen nicht, hieße das. Wäre wirklich Bildung das entscheidende Thema gewesen, hätte sich Lindners Vorwurf gerade gegen die Union richten müssen.

Das lässt nur einen Schluss zu: An der Bildung kann es nicht gelegen haben.

Es bleibt die sofortige Abschaffung des Solidaritätszuschlags, die im Finanzrahmen, auf den sich alle geeinigt hatten, kaum machbar war. Aber sollte sie wirklich eine Koalition platzen lassen, weil der Soli nur um 14 Milliarden jährlich gesenkt wird anstatt um 20 Milliarden, und weil sein Ende nicht jetzt schon festgeschrieben ist? Das wäre dann Steuersenkung als Prinzip. Also: Das Prinzip Westerwelle.

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Im Bemühen, nur nicht zu werden wie Westerwelle, wäre Lindner doch geworden wie Westerwelle.

"Nichtstun ist Machtmissbrauch"

Darin liegt die große Gefahr für die FDP: Was Kompromiss-Skeptiker als mannhaft und prinzipientreu bejubeln, dürfte vielen Bürgerlichen hartleibig und unvernünftig vorkommen, selbstherrlich und verantwortungslos. Sie könnten sich erinnert fühlen an Westerwelle, der selbst als Außenminister nie wirklich beliebt war, dem immer der Ruf anhing, er sei ein Spieler, irgendwie unseriös, ein Lobbyist nur seiner selbst und der Reichen.

Nur ist die Zahl der Deutschen überschaubar, denen Steuersenkungen als FDP-Prinzip so wichtig sind wie der Klimaschutz und Umweltpolitik den Grünen Stammwählern. Die FDP hat einen recht kleinen harten Kern von Wählern. Andere kommen und gehen, mal liberale, mal konservative, mal eher linke, je nach Themen und Großwetterlage.

Die aber bekommen jetzt vorgeführt, dass die FDP eine Partei ist, die im Wahlkampf plakatiert: “Nichtstun ist Machtmissbrauch”. Und die jetzt sagt: “Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch”.

Die im Wahlkampf plakatiert: “Denken wir neu”. Und die jetzt eine neue politische Koalition platzen lässt – ohne stichhaltige inhaltliche Gründe.

Die im Wahlkampf plakatiert: “Digital first, Bedenken second”. Und die jetzt den Bedenkenträger mimt.

Die Wette scheint zu sein, dass es da draußen genügend gibt, die über solche Widersprüche hinwegsehen werden, solange einer nur kräftig genug auf den Tisch haut und dabei ruft, er habe genug von der Unvernunft.

Sie könnte aufgehen. Aber sie könnte die Partei auch zerstören.

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