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Entscheidung zu Glyphosat: Was trieb Christian Schmidt?


Eine politische Torheit mit schweren Folgen

t-online, Horand Knaup

Aktualisiert am 28.11.2017Lesedauer: 4 Min.
Landwirtschaftsminister Schmidt: Widersetzte sich wohl der Anweisung der Kanzlerin.Vergrößern des BildesLandwirtschaftsminister Schmidt: Widersetzte sich wohl der Anweisung der Kanzlerin. (Quelle: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa)
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Agrarminister Christian Schmidt hat sich mit seiner Glyphosat-Entscheidung ins politische Aus manövriert. Die SPD geißelt den Vertrauensbruch des CSU-Politikers, der nun zusätzlich auf den ohnehin schon schwierigen Gesprächen über eine mögliche Große Koalition lastet.

Eine Analyse von Horand Knaup

„So isser, der Schmidt“, plapperte der Landwirtschaftsminister scheinbar unbeschwert in die Kameras. Als ob er gerade einen Schneeball gegen eine Autoscheibe geworfen hätte. Ein bisschen Flockenwirbel, ein kleines Lausbubenstück, war was?

Es war aber kein Lausbubenstück, das sich Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) am Montagnachmittag geleistet hat – es war ein eklatanter Regelverstoß in einer hochsensiblen Zeit. Im Rat der Europäischen Union stand eine Abstimmung darüber an, ob die Zulassung für das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat verlängert wird. Schmidt sandte seinen Europa-Abteilungsleiter mit dem ausdrücklichen Auftrag „Zustimmung“ nach Brüssel. Obwohl die Weisung aus dem Kanzleramt „Enthaltung“ befohlen hatte.

Es war eine politische Torheit, die Folgen haben wird. Für die Bauern. Für die Umwelt. Für die möglichen Koalitionsverhandlungen. Und für ihn selbst.

In Milch, Menschen und Hasen: Glyphosat ist überall

Dank der deutschen Stimme wird Glyphosat für weitere fünf Jahre zugelassen. Für manche ein kleiner Trost: Geplant waren einmal zehn Jahre. Glyphosat ist das weltweit meistversprühte Herbizid. Seit 40 Jahren ist es in Gebrauch, seit 2001 auch in der EU zugelassen. Landwirte schwören auf das Mittel. Es ist hochwirksam, 40 Prozent der deutschen Anbaufläche werden mit Glyphosat bearbeitet. Mittlerweile ist es fast überall nachweisbar: im Urin von Mensch und Tier, in der Milch, in den Organen von Schweinen und Kühen, in Hasen, im Wasser.

Weil die Bauern immer größere Mengen versprühen müssen und die Zweifel an den Folgen des massiven Einsatzes wachsen, tobt inzwischen ein Streit. Der Bundesrat hat die Bundesregierung mehrfach aufgefordert, die Anwendung von Glyphosat deutlich einzuschränken. Bisher mit wenig Erfolg.

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Bislang enthielt sich Deutschland immer

Seit 2015 zanken das Landwirtschaftsministerium von Christian Schmidt und das Umweltministerium von Barbara Hendricks (SPD) erbittert um Zulassung und Verbot oder zumindest eine Einschränkung des Herbizids. Die Grundsatzentscheidung fällt in Brüssel, wo es unter den Mitgliedsstaaten ebenfalls keine klare Mehrheitsmeinung gibt. Schmidt hatte tendenziell das Wissenschaftsministerium von Johanna Wanka (CDU) und auch das Kanzleramt auf seiner Seite. Beide stehen dem Einsatz des Herbizids aufgeschlossener gegenüber. Doch am Ende enthielten sich deutsche Vertreter in Brüssel immer, wenn es um Glyphosat ging.

Bis zum Montag.

Das Votum Schmidts war aus zweierlei Gründen eine politische Dummheit. Die SPD-Umweltministerin so zu düpieren muss die Verteidigungsreflexe der Sozialdemokraten wecken. Die fühlen sich nach der Bundestagswahl ohnehin gedemütigt und von Union, Medien und Öffentlichkeit in eine Große Koalition gedrängt. Und dann führt sie ein CSU-Minister bei einem so heiklen Thema vor? In einer Phase, in der die Union die SPD als Koalitionspartner umwirbt? In der unter den SPD-Mitgliedern das Misstrauen groß ist und die Führungsgenossen alle Mühe haben werden, parteiintern eine Mehrheit für ein mögliches schwarz-rotes Bündnis zu erwärmen?

SPD-Politiker spricht vom "casus belli"

Entsprechend harsch reagierten die Genossen: „Vertrauensbruch“ urteilte Fraktionschefin Andrea Nahles. Den „casus belli“ sah der NRW-Abgeordnete Frank Schwabe ausgerufen. Ein schlichtes „Skandal“ twitterte Fraktionsvize Karl Lauterbach. Das Bundesumweltministerium will umgehend prüfen, inwieweit das Herbizid national eingeschränkt oder sogar verboten werden kann. Das geht zwar nicht ohne das Agrar-Ressort, aber Momentum und Unterstützung der Länder sind vorläufig auf der Seite der Umweltministerin.

Schmidts politische Amokfahrt war aber auch töricht, weil er nun wie ein Chef-Lobbyist eines globalen Agrar- und Chemie-Multis wirkt. Die Diskussion um das massenhafte Insektensterben in Deutschland ist gerade ein paar Tage alt, und der Niedergang der Bienen, Käfer und Motten hat erwiesenermaßen viel mit dem massenhaften Einsatz chemischer Mittel in der Landwirtschaft zu tun.

Lobbytexte landeten in staatlichen Risikoanalysen

Suspekt sind auch Druck und Attitüde, mit der Monsanto, der US-Konzern steht vor der Übernahme durch Bayer, seinen Blockbuster Glyphosat auf dem europäischen Markt zu halten versucht. Im Europaparlament verweigerte Monsanto vor wenigen Wochen die Teilnahme an einer Anhörung zum Thema. Mitarbeiter der Firma schrieben an Studien mit, die dann im Namen angeblich unabhängiger Wissenschaftler veröffentlicht wurden.

Und in Deutschland war das Berliner Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) maßgeblich daran beteiligt, Glyphosat im europäischen Wiederzulassungsverfahren die Unbedenklichkeit zu attestieren. In ihrer Bewertung über das krebserzeugende Potenzial von Glyphosat übernahmen die BfR-Autoren ganze Abschnitte wörtlich aus dem Zulassungsantrag von Monsanto und anderen Herstellern. Was deshalb von Bedeutung war, weil die BfR-Bewertung maßgeblich in die Beurteilung der EU-Lebensmittel- und Chemikalienbehörde einfloss.

Die Kanzlerin wird einen Preis bezahlen

Seriöse Aufklärung und Transparenz geht anders. Doch Schmidt wollte wohl seinen Landwirten etwas Gutes tun, ignorierte Hendricks und sogar das Kanzleramt und ließ seinen Abteilungsleiter zustimmen.

Während SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles und Ministerin Hendricks ihrem Zorn an Montag und Dienstag freien Lauf ließen, hielt sich SPD-Chef Martin Schulz rhetorisch eher zurück. Er will offensichtlich die anstehenden Gespräche mit Angela Merkel und Horst Seehofer nicht zusätzlich belasten.

Merkel wird es Recht sein. Die Kanzlerin wird nun ohnehin alle Hände voll zu tun haben, den Schaden einzuhegen. Wenn sie ihren Agrarminister nicht gleich zum Teufel jagt, so ist doch nun sicher, dass er nicht ins vierte Merkel-Kabinett zurückkehren wird. Und sie wird, sollte es zu Koalitionsverhandlungen mit der SPD kommen, einen Preis bezahlen müssen für die Dummheit ihres geschäftsführenden Noch-Ministers.

Auch sie wird sich sagen: „So isser, der Schmidt!“

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