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Berlins Flüchtlings-Fauxpas: "Es sollte Druck auf Europa ausgeübt werden"


Berlins Flüchtlings-Fauxpas
"Es sollte Druck auf Europa ausgeübt werden"

t-online, Ein Interview von Evelyn Bongiorno-Schielke

23.09.2015Lesedauer: 3 Min.
Flüchtlinge in Deutschland: falsche Hoffnungen auf die Hilfsbereitschaft der Europäer.Vergrößern des BildesFlüchtlinge in Deutschland: falsche Hoffnungen auf die Hilfsbereitschaft der Europäer. (Quelle: dpa-bilder)
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Deutschland rechnet in diesem Jahr mit einer Million Flüchtlinge. Sind wir dieser Mammutaufgabe gewachsen oder droht uns die Flüchtlingswelle zu überrollen? t-online.de sprach mit dem Frankfurter Sozialpsychologen Rolf van Dick über die Fehler der Politik.

Herr Professor van Dick, CSU-Politiker haben gerade "mehr Zäune für Europa" gefordert. Ist das der richtige Weg?

Zäune lösen das Problem überhaupt nicht und das weiß auch die CSU. Damit soll wieder die Lufthoheit an den Stammtischen gewonnen werden. Aber solche Parolen schüren Angst in der Bevölkerung und die CSU bekommt höchstens Beifall von der falschen Seite.

Horst Seehofer warnt vor einer "nicht mehr zu beherrschenden Notlage". Alles Panikmache?

Ich glaube, das ist Panikmache. Es ist wichtig, dass die Politiker jetzt besonnen bleiben und einen kühlen Kopf bewahren. Es gab schon im Januar Statistiken, die bis zu einer Million Flüchtlinge vorausgesagt haben. Mich wundert, dass die Politiker das so lange ignoriert und verschlafen haben.

Warum, glauben Sie, war das so?

Ich denke, es sollte Druck auf Europa ausgeübt werden. Deutschland hatte wohl gehofft, dass die anderen europäischen Staaten auch ihren Beitrag leisten, Flüchtlinge aufzunehmen. Das ist nicht passiert.

Da steckte also politisches Kalkül dahinter?

Ja, das Problem war bekannt, man hätte einiges vorbereiten können. Aber die regierenden Politiker wollten ihre konservative Klientel nicht verschrecken, insbesondere innerhalb der CDU, der CSU, aber auch in Teilen der SPD. Man wollte die Bürger nicht in die falschen Arme treiben, zum Beispiel in die der AfD. Auch die Pegida-Bewegung war zur Jahreswende noch sehr stark.

War das richtig?

Nein, ich halte das für falsch. Die Regierenden hätten ehrlich sein müssen, statt jetzt so zu tun sollen, als seien sie völlig von der Situation überrascht.

Angela Merkel hat gesagt: "Wir schaffen das" - und dafür Schelte bekommen...

Ich finde es gut, dass sie das gesagt hat. Vermutlich war es aber eine etwas übereilte Reaktion, zu sagen: "Wir nehmen alle auf." Das war so wahrscheinlich nicht gut abgestimmt. Das jetzt auf Druck von Seehofer und konservativen Teilen der CDU gegengerudert wird und plötzlich wieder Grenzkontrollen eingeführt werden, scheint mir hingegen wieder ein Ausschlag ins andere Extrem zu sein. Und beides ist nicht richtig.

Das Außenministerium will Flüchtlinge aufklären, dass es hier gar nicht so toll ist...

Es ist gut, die Menschen vor Ort zu informieren. Gerüchte, dass jeder einen deutschen Pass bekommt, stimmen einfach nicht. Gerade über die sozialen Medien verbreiten sich solche Gerüchte sehr stark und treiben die Menschen den Schleppern in die Arme.

Kann Deutschland eine Million Flüchtlinge aufnehmen?

Ich denke, das ist eine Zahl, mit der Deutschland sicherlich umgehen kann. Deutschland ist ein Einwanderungsland, hat es bisher aber versäumt, ein Zuwanderungsgesetz zu schaffen wie es Kanada und die USA auch haben. Dann könnten Menschen nach einem Punktesystem ganz legal nach Deutschland kommen. Auch die sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge. Aber die CDU ist immer noch nicht wirklich bereit dafür. Da steckt Kalkül dahinter - ein falsches Kalkül.

Flüchtlinge nehmen uns die Arbeit weg oder sind alles Kriminelle: Woher kommen diese Ängste?

Menschen haben grundsätzlich das Bedürfnis, ihre Welt erklären zu können. Dabei helfen uns Schubladen. Und wir haben evolutionär gelernt, auf alles zu achten, was eine Gefahr darstellen könnte. Wir springen leicht auf negative Meldungen an - etwa dass Ausländer kriminell geworden sind und ignorieren die positiven Beispiele von gelungener Integration.

Was ist mit der Warnung vor Asylbetrügern?

In den letzten Wochen kam von konservativen Politikern öfter das Argument, dass die meisten Asylbewerber gar nicht anerkannt werden. Dann denkt der normale Bürger, das sind ja alle gar keine echten Flüchtlinge, sondern die kommen nur aus wirtschaftlichen Gründen, die wollen uns ausnehmen. Das ist falsch.

Können uns die Migranten auch nützen?

Ja, wir haben einen riesigen Bedarf an Fachkräften. Im Jahr 2050 werden wir 40 Prozent weniger Erwerbstätige als heute haben (aktuell: 45 Millionen) Außerdem drohen ganze Dörfer und Regionen auszusterben, weil es dort keine jungen Menschen mehr gibt. Das ist nicht nur in Ostdeutschland der Fall, sondern auch in ländlichen Regionen Schleswig-Holsteins, Niedersachsens, Nordrhein-Westfalens und Hessens. Hier könnte man Ausländer gezielt ansiedeln und integrieren. Wir brauchen dauerhaft Zuwanderung und endlich ein Einwanderungsgesetz.

"Welche Rolle spielen kulturelle Unterschiede?" - Lesen Sie hier den zweiten Teil des Interviews

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