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Interview mit Kurt Beck: "Der Schmerz sitzt sehr tief"


Interview mit Kurt Beck
Umgang mit Terroropfern – "So etwas darf nie mehr passieren"

t-online, Von Marc von Lüpke

13.12.2017Lesedauer: 5 Min.
Kurt Beck, der Beauftragte der Bundesregierung für die Opfer des Anschlags vom Berliner BreitscheidplatzVergrößern des BildesKurt Beck, der Beauftragte der Bundesregierung für die Opfer des Anschlags vom Berliner Breitscheidplatz (Quelle: Gregor Fischer/dpa-bilder)
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Kurt Beck hat die Hinterbliebenen des Anschlags vom Breitscheidplatz über Monate betreut. Im Interview spricht er über Reformbedarf – und den Unmut der Überlebenden über Angela Merkel.

Am 19. Dezember jährt sich der Terroranschlag vom Berliner Breitscheidplatz zum ersten Mal. Die Wunden sind noch lange nicht verheilt. Erst kürzlich wandten sich Hinterbliebene und Angehörige in einem Offenen Brief an Kanzlerin Angela Merkel. Kurt Beck ist Opferbeauftragter der Bundesregierung. Im Gespräch mit t-online.de erzählt er, wie es den Betroffenen heute geht und was sie bis heute vermissen. Außerdem macht Beck Vorschläge für besseren Opferschutz und für den Umgang mit Angehörigen von Opfern.

Ein Interview von Marc von Lüpke

t-online.de: Herr Beck, Sie unterstützen bis heute als Opferbeauftragter der Bundesregierung die Verletzten und Hinterbliebenen des Anschlags auf den Berliner Weihnachtsmarkt von 2016. Wie geht es diesen Menschen heute?

Kurt Beck: Der Schmerz sitzt sehr tief. Die seelischen Wunden werden immer wieder aufgerissen, wenn eine neue Information bekannt wird, welche Versäumnisse sich die Behörden im Fall des Attentäters Anis Amri haben zuschulden kommen lassen. Viele der betroffenen Menschen sind noch immer traumatisiert: die Hinterbliebenen wie auch diejenigen, die damals an Leib und Seele verletzt wurden. Es gibt mehrere Menschen, die damals schwere Verletzungen erlitten und noch immer in ständiger Behandlung sind. Einige darunter werden voraussichtlich ihr ganzes Leben behindert oder schwerbehindert bleiben.

Anfang Dezember haben die Hinterbliebenen die Behörden und Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Offenen Brief scharf kritisiert.

Die Hinterbliebenen haben besonders seitens der Bundeskanzlerin ein sichtbares Zeichen der Anteilnahme angesichts dieses schrecklichen Ereignisses vermisst. Im Februar hatte es eine Begegnung zwischen den Trauernden und dem damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck gegeben. Allerdings haben die Hinterbliebenen den Eindruck, dass seitens unserer Staatsspitze nicht angemessen darauf reagiert wurde, was diese Verbrecher vom Islamischen Staat an Leid, Elend und Not über diese Menschen gebracht haben.

Auch das Treffen mit Bundespräsident Joachim Gauck fand erst im Februar 2017 statt – rund 60 Tage nach dem Anschlag.

Das ist richtig. Aber man muss verstehen, dass es nicht einfach war, die Adressen aller Betroffenen zusammenzustellen. Ich habe selbst als neu bestellter Opferbeauftragter im März 2017 erlebt, dass beispielsweise die Lebenspartnerin eines Verstorbenen überhaupt nicht vermerkt worden ist. Während die Ehefrau, von der der Mann schon seit vielen Jahren getrennt lebte, als Hinterbliebene geführt wurde.

Das Treffen mit der Kanzlerin wird nun am 18. Dezember nachgeholt.

Es wird eine Begegnung im Bundeskanzleramt geben, an der ich auch teilnehme.

Was bemängeln Sie als Opferbeauftragter am Verhalten der Behörden nach dem Anschlag?

Mit Kritik möchte ich zwar generell vorsichtig sein. Wirklich bitter kritisiere ich allerdings, dass Rechnungen an die Hinterbliebenen für die Obduktion der Toten des Anschlags verschickt worden sind. Das verbunden mit einer Sprachwahl, die ich für unmöglich in einem solchen Zusammenhang halte. So etwas darf nie mehr passieren.

Es besteht die Gefahr weiterer Terroranschläge in Deutschland. Was können und müssen wir aus den Geschehnissen vom Berliner Breitscheidplatz lernen?

Wir müssen lernen, wie wir unmittelbar nach einem solchen Ereignis mit den Menschen umgehen, die nicht selbst körperlich verletzt sind. Es muss in einem solchen Fall schnell eine Ansprechstelle geschaffen werden, wo die Menschen mit ihrer Not und der Suche nach ihren Angehörigen aufgenommen werden. Genauso muss es eine Ansprechstelle für Menschen geben, die nach einem Anschlag von andernorts anreisen und nicht wissen, wo ihre Verwandten und Angehörigen sind. Im Krankenhaus oder dergleichen. Von dort müssen die Menschen jeweils an eine Art Stand-By-Opferberatungsstelle übergeben werden, wo sie Rat und Betreuung finden können. Und wo ihnen vermittelt wird, was an Therapieangeboten möglich ist. Genauso müssten dort Anträge auf materielle Hilfeleistungen entgegengenommen werden.

Die Hinterbliebenen kritisieren auch, dass es so lange dauerte, bis die Toten identifiziert wurden.

Es hat in der Tat drei Tage gedauert, bis die Behörden eine Identifizierung der Verstorbenen vorgenommen und bestätigt hatten. Solche Geschehnisse haben das Trauma und den Schmerz der Hinterbliebenen nochmals verstärkt.

Sie kümmern sich seit März 2017 als Opferbeauftragter um die Hinterbliebenen und Verletzten. Welche Bilanz ziehen Sie?

Bislang haben wir über organisatorische Schlussfolgerungen gesprochen. Ein zweiter Bereich betrifft die Gesetzgebung: Es gibt viele Unklarheiten im Opferentschädigungsgesetz. Was wäre gewesen, wenn das Verbrechen nicht mit einem LKW begangen worden wäre? Und die Verkehrsopferhilfe dementsprechend nicht zuständig gewesen wäre? Dann hätten uns viele materielle Hilfeleistungen nicht zur Verfügung gestanden.

Nicht alle Opfer stammten aus der Europäischen Union.

Der Gesetzgeber muss in mehrerlei Sicht handeln. Bei Opfern und Hinterbliebenen aus Nicht-EU-Ländern haben wir bislang nur eingeschränkte materielle Möglichkeiten zur Hilfe. Es gibt aber bereits Anstöße zur Verbesserung. Ich habe in den letzten Tagen im Bundeskabinett vortragen. Darüber hinaus gibt es einen von SPD, CDU und CSU sowie von FDP und Grünen getragenen Antrag im Bundestag, der meine Vorschläge aufnimmt.

Ist für die Opfer eines Terroranschlags finanziell seitens des Staates ausreichend gesorgt?

Neben Härtefallleistungen, die in einer Größenordnung von mehr als zwei Millionen Euro ausgezahlt wurden, kommen unter anderem etwaige Regelungen im Bereich der Rente. Im internationalen Vergleich haben wir einen ganz guten Stand. Im Bereich der Soforthilfen, die Opfern schnellstmöglich helfen sollen, ist es nicht so.

Über welche Summen sprechen wir?

Ich habe bereits an anderer Stelle das Beispiel einer Regelung der ersten Härtefallleistung im Todesfall aufgeführt: Bei einem Eltern-Kind-Verhältnis würden 10.000 Euro ausbezahlt werden, für Partner oder Eheleute ebenfalls 10.000 Euro und für Geschwister 5.000 Euro. Das bezeichne ich als zu niedrig.

Sind Sie selbst in Ihrem Amt als Opferbeauftragter mit ausreichenden Mitteln ausgestattet worden?

Ausdrücklich ja. Ich habe einige sehr engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Meine späte Bestellung im März war aber sicher ein Problem.

Sollte das Amt des Opferbeauftragten zu einer ständigen Institution werden?

Eine Stand-By-Ansprechstelle, wie wir sie jetzt im Justizministerium gebildet haben, wird fortbestehen. Deren Angehörige werden konsequent fortgebildet und im Notfall sofort zur Verfügung stehen. In einem nächsten Schritt sollte meiner Meinung nach ein Opferbeauftragter berufen werden. Gerne jemand außerhalb behördlicher oder politischer Strukturen. Denn es hat sich bewährt, nicht in Hierarchien eingebunden zu sein.

Also sollte jemand jahrelang als Opferbeauftragter amtieren?

Ich glaube nicht, dass dies eine einzelne Person auf Dauer machen kann. Man muss sich selbst öffnen, wenn man mit den Betroffenen spricht: Das ist eine seelisch äußerst belastende Aufgabe. Ich selbst werde das Amt nur bis März ausüben.

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Glauben Sie, dass wir ein Jahr nach dem Anschlag von Berlin besser gegen terroristische Anschläge gewappnet sind?

Nach vielen Gesprächen mit politisch Verantwortlichen, mit dem Generalbundesanwalt wie auch mit dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes habe ich den Eindruck, dass inzwischen vieles in Gang gekommen ist. Absolute Sicherheit wird es aber nicht geben.

Was ist Ihrer Meinung nach die angemessene Form eines öffentlichen Gedenkens an die Toten des Breitscheidplatzes?

Den Hinterbliebenen war es sehr wichtig, dass die Verstorbenen nicht vergessen werden: Alle Welt redet über den Attentäter, aber wer redet über die Toten? Deshalb erscheint mir die nun bald eröffnete Gedenkstätte am Breitscheidplatz als geeignete Form.

Herr Beck, vielen Dank für das Gespräch.

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