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Dalai Lama: "Vielleicht wäre es besser, wenn wir keine Religionen hätten"


Dalai Lama – ein Leben im Konflikt
"Vielleicht wäre es besser, wenn wir keine Religionen hätten"

Von Erich Follath

19.09.2018Lesedauer: 5 Min.
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Darmstadt: Der Dalai Lama gibt bei seiner Ankunft an seinem Hotel Interviews. Das geistliche Oberhaupt der Tibeter hält sich aktuell zu einem zweitägigen Besuch in Hessen auf.Vergrößern des Bildes
Darmstadt: Der Dalai Lama gibt bei seiner Ankunft an seinem Hotel Interviews. Das geistliche Oberhaupt der Tibeter hält sich aktuell zu einem zweitägigen Besuch in Hessen auf. (Quelle: dpa-bilder)

In China gilt der Dalai Lama als "Wolf in Mönchskutte". Im Westen ist er dagegen beliebt, ein spiritueller Superstar – aber was er wirklich denkt und wofür er kämpft, das wissen nicht viele.

Wenn es um den 14. Dalai Lama geht, kommt es immer wieder zu Missverständnissen. Seine tibetische Heimat, von den chinesischen Kommunisten besetzt, kann er zwar seit seiner Flucht vor 59 Jahren nicht mehr besuchen, aber fast der gesamte "Rest der Welt" liegt dem Mann mit dem Exil-Sitz im nordindischen Dharamsala zu Füßen.

Die kritiklose Anbetung stört ihn. Und manchmal verzweifelt der "Gottkönig" an seinen Anhängern, von denen besonders viele aus Deutschland kommen und zu ihm pilgern: "Erwarten Sie von mir die Instant-Erleuchtung? Glauben Sie, ich erzählen Ihnen etwas zum tantrischen Sex?", fragte er mich einmal bei einem unserer Gespräche im Rosengarten seines Domizils im Himalaja-Vorgebirge. "Schön, dass sich so viele für Buddhismus interessieren. Aber es ist in der Regel vernünftiger, wenn Menschen aus Europa zunächst einmal beim Christentum bleiben, bei einem Gedankengebäude aus ihrem Kulturkreis."

"Gerne eine säkulare Ethik"

Was den Dalai Lama an seiner Religion besonders gefällt, ist die geistige Offenheit. Es wird wenig verordnet im Buddhismus. Siddharta Gautama hat im sechsten vorchristlichen Jahrhundert selbst dazu geraten, alle seine Lehren in Zweifel zu ziehen, "so wie man die Konsistenz von Gold überprüft, sollt ihr auch die Substanz des Glaubens überprüfen". Der Buddhismus kommt ganz ohne einen göttlichen Schöpfer aus, kennt keine Erbsünde, will nicht missionieren und soll zumindest nach dem Wunsch seines Gründers nicht hierarchisch organisiert sein.

Das Individuum ist autonom, kann sich durch eigenverantwortliches Bewusstseinstraining ändern. Der Buddhismus gilt als sanfteste der großen Weltreligionen. In ihrem Namen wurden nie Kriege geführt – und doch gab es gerade in jüngster Zeit durch militante Mönche in Myanmar Übergriffe gegen Andersgläubige. Der Dalai Lama hat das scharf verurteilt. "Lebte Buddha heute, stünde er auf der Seite der verfolgten muslimischen Rohingya", schrieb er in einem offenen Brief an die burmesischen Machthaber.

Für einen geistlichen Führer hat er mir einmal etwas sehr Erstaunliches gesagt: "Vielleicht wäre es besser, wenn wir gar keine Religionen mehr hätten. Alle Religionen und alle Heilige bergen ein Gewaltpotential in sich. Deshalb brauchen wir jenseits aller Glaubensvorschriften zuallererst geltende Moralvorstellungen, eine Ethik. Gerne auch eine säkulare Ethik."

Konflikt mit China

Und was denkt der "Ozean der Weisheit" (so sein übersetzter Titel) über seine eigene Wiedergeburt, seine Nachfolge, die er doch nach der Tradition der Tibeter selbst mitbestimmen darf? Der 83-Jährige, dessen Reinkarnationen um über 500 Jahre zurückgehen, erzählte mir, er sei nicht mehr sicher, ob das Dalai-Lama-Konzept noch zeitgemäß sei. Aber kann sich eine Wiedergeburt überleben? Die Frage gefällt ihm, und er bricht in sein charakteristisches, dröhnendes, ansteckendes Lachen aus, ein weiser Clown irgendwo zwischen Gandhi und Groucho Marx. „Vielleicht gibt es ja bald zwei Dalai Lamas. Einen von der chinesischen KP ernannt, und einen von mir.“

Tatsächlich mischen sich Pekings Parteifunktionäre in die tibetische Nachfolgefrage ein und beanspruchen, erstaunlich für Verfechter des Atheismus, das Recht für sich, über die höchste Wiedergeburt zu entscheiden. Es geht dabei weniger um Religion als um Macht, selbst Xi Jinping weiß, wie populär der Dalai Lama unter den Tibetern ist, auch deshalb wird er ja immer wieder übelst beschimpft, als "Wolf in Mönchskutte", als "hinterhältiger Spalter der Nation". „Die Kommunisten hassen mich und haben in meiner Heimat einen kulturellen Genozid angerichtet. Aber dennoch bete ich für sie jeden Abend“, sagte mir der Gottkönig bei einem unserer letzten Treffen. "Und ich bin optimistisch: Der Buddhismus gewinnt auch in der Volksrepublik China wieder an Popularität, auch viele der höchsten KP-Funktionäre sind gläubig!"

Ist das sein Ernst? "Ja, fahren Sie doch durch China. Folgen Sie am besten des Spuren des legendären chinesischen Mönchs Xuanzang bis zu den Quellen des Buddhismus!"

Reise entlang der Seidenstraße

Ich bin entlang der alten, der legendären Seidenstraße von Xian über Turfan nach Kaschgar und Samarkand gereist, die Route, die heute von Chinas Führung mit gigantischem Milliarden-Aufwand und immer neuen Infrastrukturprojekten zur "Neuen Seidenstraße" ausgebaut wird. Über Zentralasien folgte ich dann weiter dem abenteuerlichen Weg des Pilgers aus dem siebten Jahrhundert bis in die Ebenen des Ganges. Und dort machte ich mich dann, teils mit Bussen, teils zu Fuß auf zu den Lebensstationen des Siddharta Gautama.

Nach Lumbini an der indisch-nepalesischen Grenze, wo der spätere Religionsgründer als Fürstensohn geboren wurde und nach seinem Ausbruch aus dem Palast erstmals das Leid der Menschen sah; nach Bodhgaya, dem buddhistischen Mekka mit seinem Pappelfeigenbaum, unter dem er erleuchtet wurde und heute der prächtige Mahabodhi-Tempel an das Ereignis erinnert; nach Sarnath, wo er zum ersten Mal predigte, und nach Kuschinagar, wo er seinen letzten Atemzug tat.

Die Pilgerroute hat mich mit vielen Gläubigen zusammengebracht und ist auf jeden Fall ein eindrucksvolles spirituelles Erlebnis. Sie hat mir auch gezeigt: In Indien, dem Ursprungsland, spielt die Religion des Siddharta Gautama nur mehr eine marginale Rolle: 81 Prozent Hindus und 14 Prozent Muslimen stehen nicht einmal zwei Prozent Buddhisten gegenüber. Aber Statistik ist nicht alles, gerade in den letzten Jahren konvertierten Zehntausende zwischen Delhi und Mumbai zum sanften Glauben, vor allem Inder aus den unteren gesellschaftlichen Schichten, die so dem indischen Kasten-System entkommen wollen und einen selbstbestimmten Neuanfang suchen.

Buddhistische Renaissance in China

Noch erstaunlicher: Ganz wie der Dalai Lama prophezeit hatte, fand ich bei meinen Reisen in China überall Anzeichen für eine buddhistische Renaissance. Vor allem in den Provinzstädten und auf dem Land werden neue Tempel gebaut oder alte restauriert, in vielen Privathaushalten Buddha-Statuen eingeweiht. Es ist die Rückkehr einer Volksreligion, die von der Partei geduldet wird – so lange sich die Gläubigen nicht in die Politik einmischen und die KP ihre Zusammenkünfte kontrolliert, gilt der Buddhismus (mit Ausnahme seiner tibetischen Variante) wie der Daoismus und der Konfuzianismus den Regierenden als "staatstragend", die ethischen Grundsätze dieser Religionen wie etwa der Respekt gegenüber Älteren passen als Kompass fürs Alltagsleben durchaus in das Konzept der Partei.

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Theoretisch genießen auch Islam und Christentum die gleichen Rechte, aber sie werden als "fremdartig" eingeschätzt und kritisch beobachtet. In der muslimisch geprägten Grenzregion Xinjiang steht praktisch jeder unter Terrorismus-Verdacht, Männer dürfen keine langen Bärte mehr tragen, Knaben nicht mehr Mohammed heißen, wer im Ramadan fastet, muss mit einer Einlieferung in "Umerziehungslager" rechnen.

Und wie steht es um die Religiosität der Pekinger Führungskader, um ihre Buddhismus-Nähe, von der mir der Dalai Lama erzählte? Tatsächlich hat sogar der KP-Vorsitzende Xi Jinping ein Lieblingskloster, das er aufwändig restaurieren ließ. Seine Frau hat ihre Verwandten nach buddhistischem Ritual begraben lassen. Aber mit wirklicher Toleranz oder gar politischem Tauwetter hat das nichts zu tun: Die Partei bestimmt, wo sich die Glaubensgemeinschaften einzuordnen, wie sie sich unterzuordnen haben. Wenn es eine Staatsreligion in China gibt, dann ist es die vom Staatschef verordnete Doktrin, das "Xi-Jinping-Denken".

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