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Schäubles Vorgänger als Bundestagspräsident schrieben Geschichte


Historische Momente
"Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch"

t-online, Peter Riesbeck

23.10.2017Lesedauer: 4 Min.
Joschka Fischer lieferte sich 1984 eine legendäre Auseinandersetzung mit der Bundestagsspitze.Vergrößern des BildesJoschka Fischer lieferte sich 1984 eine legendäre Auseinandersetzung mit der Bundestagsspitze. (Quelle: Archivbild/Egon Steiner/dpa-bilder)
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Wolfgang Schäuble ist zum neuen Bundestagspräsidenten gewählt worden. Ein Blick auf seine Vorgänger und historische Momente der Parlamentsgeschichte.

Es ist eine parlamentarische Tradition. Die stärkste Fraktion stellt den Parlamentspräsidenten. Laut Verfassung das zweithöchste Amt im Staat. Und der Parlamentspräsident leitet die Bundesversammlung aus Bundestag und Vertretern der Landtage zur Wahl des Bundespräsidenten. Es geht also um mehr als eine Personalie. Die Wahl des Präsidenten war immer auch ein politischer Richtungszeig und manche mussten heftig einstecken. Von erzwungenen Rücktritten, Joschka Fischers unflätiger Beschimpfung und Norbert Lammerts selbstbewusster Amtsführung. Ein Blick auf die bundesdeutsche Parlamentsgeschichte.

ERICH KÖHLER (1949-1950): "Sie haben sich gerade in den ersten wichtigen Jahren große Verdienste um die Bundesrepublik erworben", notierte Kanzler Konrad Adenauer, CDU. Das war 1957. Und leicht beschönigend. Köhler, CDU-Politiker aus Wiesbaden, hatte sich beim Aufbau Hessens als Wirtschaftsfachmann hervorgetan und den Wirtschaftsrat der Bizone (dem Zusammenschluss der britischen und amerikanischen Besatzungsgebiete) geleitet. Im heftig polarisierten ersten deutschen Bundestag hatte er mehr Probleme, die Debatten zu leiten. Genervt von der Kritik und einer Krankheit zog sich Köhler 1950 zurück. Das Amt kann einen auch überfordern.

HERMANN EHLERS (1950-54): Der Jurist aus Berlin engagierte sich während der NS-Zeit im Umfeld der Bekennenden Kirche. Nach 1945 gehörte er dem einflussreichen Evangelischen Arbeitskreis (EAK) der CDU/CSU an und wurde 1950 an die Parlamentsspitze gewählt. Ein protestantischen Gegengewicht zum katholischen Kanzler Konrad Adenauer, CDU.

EUGEN GERSTENMAIER (1954-1969): Ein Mann, ein Bau. "Langer Eugen", heißt das alte Abgeordnetenhochhaus, das einst den Parlamentariern in Bonn als Arbeitsort diente. Heute werkelt darin die UN, der "lange Eugen" ist das Gebäude aber geblieben. Gerstenmaier, CDU, ist der am längsten amtierende Parlamentspräsident in der bundesdeutschen Geschichte. Schon der Auftakt war besonders. Erstmals stand mit Hermann Ehlers ein Gegenkandidat aus der eigenen Fraktion zur Wahl. Bislang einmalig. Gerstenmaier siegte erst im dritten Wahlgang mit 14 Stimmen Vorsprung. Auch der Abgang war besonders. In der Kritik wegen Wiedergutmachungsleistungen für entgangenes Professorengehalt legte er sein Amt 1969 nieder, zudem gab es zwielichtige Grundstücksgeschäfte in Stuttgart. Gerstenmaier, dessen Berufung zum Kanzler 1966 am Widerstand der CSU gescheitert war, zog sich weitgehend zurück. Geblieben ist der "Lange Eugen" in Bonn, für dessen Bau sich Gerstenmaier einst besonders eingesetzt hatte.

KAI-UWE VON HASSEL (1969-1972): Der ehemalige Kieler Ministerpräsident und Verteidigungsminister folgte 1969 auf Gerstenmaier. Nach der Wahl der beiden SPD-Politiker von Gustav Heinemann zum Bundespräsidenten und von Willy Brandt zum Kanzler war der CDU-Mann das konservative Gegengewicht zur den sozialliberalen Erneuerern in der Staatsführung der jungen Republik.

ANNEMARIE RENGER (1972-1976): Erste Frau und erste Vertreterin der SPD an der Spitze des Parlaments. Die frühere Mitarbeiterin und Lebensgefährtin des SPD-Chefs Kurt Schumacher amtierte engagiert als erste Parlamentspräsidentin. Auch von 1976 bis 1980 als Vizepräsidentin des Gremiums. Ein Lichtblick. Nicht nur aus frauenpolitischer Sicht.

KARL CARSTENS (1976-1979): Sachlich, distanziert, distinguiert - der CDU-Politiker durfte sich im Plenum schon einmal für das spätere Amt des Bundespräsidenten vorbereiten. Nur gewandert ist er als Bundestagspräsident nicht. Unscheinbar, wie auch im späteren Leben.

RICHARD STÜCKLEN (1979 bis 1983): Der CSU-Politiker durfte 1982 nach dem Misstrauensvotum Helmut Kohl, CDU, als Kanzler vereidigen und nach der vorgezogenen Wahl 1983 kurz als Postminister (gab's damals noch) amtieren. Seinen denkwürdigsten Auftritt erlebte er 1984 als Bundestagsvizepräsident. Der Grünen-Abgeordnete Jürgen Reents wähnte Kohl in der Parteispendenaffäre als "von Flick gekauft" und wurde von Stücklen des Plenums verwiesen. Der Grüne Joschka Fischer polterte mit heftigen Zwischenrufen, als Stücklen ihn ermahnte, giftete Fischer: "Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein A...". Auch er musste gehen. Geldstrafen gab es damals noch nicht, sie wurden erst 1990 eingeführt.

RAINER BARZEL (1983/84): Der einstige Gegenspieler Helmut Kohls um die CDU-Führung wurde nach dem Machtwechsel in Bonn mit dem Amt an der Parlamentsspitze entschädigt. Barzel etablierte sich als liberale Gegenstimme zum machtbewussten Kanzler.

PHILIPP JENNINGER (1984-1988): Der Kohl-Vertraute rückte 1984 an die CDU-Spitze. Der Schwabe war ein Mann klarer Worte, aber kein guter Redner. 1987 musste er zurücktreten. In einer Rede zur Reichspogromnacht hatte er u.a. Zitate missverständlich wiederholt. Noch während der Rede verließen Abgeordnete der Grünen, SPD und FDP das Plenum, bald darauf musste auch Jenninger gehen. Die Rede wurde erst später - in gedruckter Form - rehabilitiert, der Makel des Unvollkommenen blieb am Vortragenden dennoch haften.

RITA SÜSSMUTH (1988-1998): Die CDU-Politikerin war zu liberal für Kohls Umfeld, aber fast ideal für das Amt der Bundestagspräsidentin. Selbst kleine Flugreisen-Affären konnten ihr nichts anhaben. Erwarb sich nach dem Fall der Mauer große Verdienste um die Zusammenführung der letzten freigewählten Volkskammer und des Bundestag sowie zum Umzug von Bonn nach Berlin. Bleibende Erinnerung ihrer Amtszeit: Die von Architekt Norman Foster entworfene Reichstagskuppel.

WOLFGANG THIERSE (1998-2005): Der SPD-Politiker war der erste ostdeutsche Politiker an der Spitze des Bundestags. Kennzeichen: Intellektuelle Schärfe und rhetorisches Geschick. Und, ach ja. In Vor-Hipster-Zeiten natürlich der unverwechselbare Bart.

NORBERT LAMMERT (2005-2017): Der CDU-Politiker war der Parlamentspräsident an der Seite von Kanzlerin Angela Merkel. Der Mann, der in seiner Freizeit, gerne mal Theaterkritiken schrieb, schreckte auch vor kritischen Anmerkungen nicht zurück. Auch nicht gegenüber Merkel. Als die sich im Plenum mit Unions-Fraktionschef Volker Kauder beriet, wies sie Lammert zurecht. Ein Statement parlamentarischer Selbstständigkeit. Und ein Youtube-Hit. Lammert führte das Parlament ins Social-Media-Zeitalter. Bei Jugendlichen sind seine Auftritte extrem populär. Der MDR will ihn jetzt für einen Videoblog gewinnen.

WOLFGANG SCHÄUBLE (2017-??): Noch ist der CDU-Politiker nicht gewählt. Aber schon schreibt er Parlamentsgeschichte: Seit 1972 sitzt Schäuble im Bundestag, dienstältester Abgeordneter. Und noch eine kleine parlamentarische Fußnote: 1994 beharrte der glücklose SPD-Fraktionschef Rudolf Scharping auf einem zweiten Vizepräsidentenposten für seine Partei. Schäuble intervenierte geschickt und sicherte den Grünen Unterstützung zu: Mit Antje Vollmer zog erstmals eine Grünen-Politikerin ins Bundestagspräsidium ein. Ein früher Vorbote für Schwarz-Grün von einem konservativen Querdenker. Der muss im Plenum nun all sein Geschick im Umgang mit den polternden Neuparlamentariern der AfD beweisen.

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