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Kommentar zur AfD: NS-Vergleich? Zur Kenntnis nehmen


Kalkulierte AfD-Provokationen
Nazi-Vergleich? Zur Kenntnis nehmen - mehr nicht!

Meinungt-online, Jonas Schaible

24.10.2017Lesedauer: 4 Min.
Vergleicht seine Partei mit NS-Opfern: Der AfD-Abgeordnete Bernd Baumann.Vergrößern des BildesVergleicht seine Partei mit NS-Opfern: Der AfD-Abgeordnete Bernd Baumann. (Quelle: Wolfgang Kumm/dpa-bilder)
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Die AfD provoziert im Bundestag mit einem NS-Vergleich. Doch schon Kindern rät man: Lass dich nicht auf Provokationen ein! Es wird Zeit, sich aus der Umklammerung der extremen Rechten zu befreien.

Ein Kommentar von Jonas Schaible

Alle wussten, was kommen wird – und die AfD hat geliefert. Ihr erster Redner im Bundestag, Bernd Baumann, der parlamentarische Geschäftsführer der neuen Fraktion, nutzte die ersten Minuten der Partei vor dem Plenum, um die AfD als verfolgte Opfer darzustellen. Und das so grell wie nur möglich – durch einen Vergleich mit Gegnern des Nationalsozialismus.

Weil der Bundestag präventiv die Geschäftsordnung geändert hatte, um zu verhindern, dass die AfD mit ihren vielen alten Abgeordneten den Alterspräsidenten stellt und damit die konstituierende Sitzung eröffnet, sieht sich die AfD nun verfolgt. Seit 1848 in der Frankfurter Paulskirche sei es in Deutschland Tradition, dass das älteste Mitglied die Versammlung eröffne und nicht der dienstälteste Abgeordnete, sagte Baumann. Nur einmal sei diese Regel gebrochen worden. Im Jahr 1933 durch den Nationalsozialisten Hermann Göring, der "politische Gegner ausgrenzen wollte".

Anmaßend, verharmlosend, erschütternd

Natürlich ist an dem Vergleich alles falsch. Nicht die anderen Parteien möchten die Wehrmacht rehabilitieren – AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland will es. Nicht die Kandidaten der anderen Parteien für die Bundestagsvizepräsidentschaft sprechen dem Islam das Recht auf Religionsfreiheit ab – Albrecht Glaser von der AfD tut es. Und natürlich ist der Vergleich auch anmaßend, verharmlosend, erschütternd für alle echten NS-Opfer.

Trotzdem war es falsch, dass Marco Buschmann, der parlamentarische Geschäftsführer der FDP in seiner Rede darauf einging, obwohl er das "gar nicht wollte“. Keine Frage, er hat recht, wenn er sagt, „da haben Sie sich an Geschmacklosigkeit selbst übertroffen.“ Aber das weiß die AfD natürlich genau. Das will sie. Das ist seit langem ihre Strategie. Sich mit Geschmacklosigkeiten selbst übertreffen und so Schlagzeilen bekommen.

So lange wie die AfD ein bürgerlich-gemäßigtes Bild von sich zeichnete, war die Abwägung schwierig: Ist es wichtiger, die Öffentlichkeit aufzuklären oder ist es wichtiger, das Spiel der AfD nicht mitzuspielen und ihr nicht noch mehr Aufmerksamkeit zu geben? Lange herrschte der Eindruck vor, man müsse der Partei die bürgerliche Maske vom Gesicht reißen. Diese Zeiten sind vorbei. Die Partei hat sich hinreichend kenntlich gemacht. Spätestens mit dem Hinweis, die Wehrmachtsoldaten seien auch zu loben, hat Alexander Gauland alle Fragen beantwortet.

Debatte und Themen nicht aufzwingen lassen

Jetzt muss das Ziel sein, sich aus der diskursiven Umklammerung der AfD zu lösen. Sich nicht von ihr die Debatte und die Themen aufzwingen zu lassen. Dazu gehört, nicht penibel genau zu protokollieren, welcher Abgeordnete welcher Fraktion mit welchem AfD-MdB gesprochen hat, wer wem die Hand gibt, wann die AfD-Fraktion klatscht. Sollen sie klatschen oder nicht. Es wird zur Kenntnis genommen. Mehr nicht. Sollen sie weiter provozieren – auch das wird zur Kenntnis genommen. Und wenn alles an der Provokation falsch ist, wie der NS-Vergleich, kann man kühl korrigieren.

Es ist schmerzlich, das über den Bundestag zu sagen, es ist eine im wahrsten Sinne Infantilisierung von Politik, aber: Jeder weiß, wie mit Provokationen umzugehen ist. Lass dich nicht provozieren, rät man Kindern. Du hast doch durchschaut, dass der andere dich nur ärgern, reizen, zum Gegenschlag treiben will. Wer souverän ist, geht nicht drauf ein. Das ist das Wesen der Provokation: Sie sollte eigentlich nur funktionieren dürfen, wenn man sie nicht als solche begriffen hat – in dem Moment, in dem die Absicht des anderen deutlich wird, kann der Verstand sich einschalten und den Zorn kontrollieren. Zu sagen „Sie provozieren mich“ und sich dann provozieren zu lassen, ist unsouverän.

Es wird Zeit, souverän zu werden

Nichts hilft Rechtspopulisten und rechtsextremen Parteien mehr als Aufmerksamkeit für ihre Themen. Das zeigt die Forschung dazu immer und immer wieder. Es wird also Zeit, souverän zu werden. Das wird nicht leicht fallen. Es kann nicht leicht werden.

Wenn Hermann Otto Solms, der Alterspräsident, der durch eine gegen die AfD gerichtete Änderung der Geschäftsordnung ins Kurzzeit-Amt kam, warnt, keine Sonderrechte zu schaffen, um auf die AfD zu reagieren, dann ist das ein Selbstwiderspruch.

Wenn die AfD ihren Kandidaten Albrecht Glaser zum Vize-Präsidenten des Bundestags machen will, und wenn die anderen Fraktionen wieder und wieder dagegen stimmen, wenn sich also der Bundestag länger mit dem AfD-Kandidaten befasst als mit allem anderen, dann ist das ein Selbstwiderspruch. Ja, auch dieser Kommentar ist in gewisser Hinsicht ein Selbstwiderspruch.

AfD ruft ein Grundproblem der Demokratie auf

Aber so ist das eben. Die AfD ist keine gewöhnliche Partei, denn sie stellt Grundlagen der offenen, liberalen, demokratischen Gesellschaft in Frage. Damit ruft sie das alte, nicht zu lösende Grundproblem der Demokratie auf: Dass sie ihre eigenen Grundlagen, nämlich Toleranz, Pluralismus, Offenheit für abweichende Positionen, nicht dauerhaft mit ihren eigenen Mitteln bewahren kann.

Weil die AfD-Positionen teilweise im Widerspruch zu den Grundlagen der bundesrepublikanischen Demokratie stehen, ist es nicht zu vermeiden, dass sich auch die anderen im Umgang mit ihr in Widersprüche verstricken. Aber es heißt ja immer: Eine Demokratie muss Widersprüche aushalten. Niemand sagt allerdings, dass sie sich mit nichts anderem mehr beschäftigen darf.

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