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AfD-Parteitag: Gauland, der lädierte Gott aus dem Nichts


Dramatik bei der AfD
Gauland, der lädierte Parteichef aus dem Nichts

t-online, Jonas Schaible

02.12.2017Lesedauer: 5 Min.
Gauland auf dem Parteitag: Er wollte eigentlich stellvertretender Parteichef werden.Vergrößern des BildesGauland auf dem Parteitag: Er wollte eigentlich stellvertretender Parteichef werden. (Quelle: Julian Stratenschulte/dpa)
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Eigentlich wollte Alexander Gauland in der zweiten Reihe bleiben. Jetzt muss der AfD-Fraktionschef auch die Partei übernehmen. Aber selbst er ist angezählt.

Von Parlamentsreporter Jonas Schaible

Nach siebeneinhalb Stunden Ereignislosigkeit wird es auf dem AfD-Parteitag in Hannover plötzlich dramatisch. So dramatisch, wie eine Wahl zum Parteichef nur sein kann. Es geht darum, wer Co-Chef neben dem bisherigen Parteivorsitzenden Jörg Meuthen wird. Der ist da schon sicher gewählt.

Georg Pazderski, der vergleichsweise gemäßigte Chef des Berliner Landesverbands, gilt als Favorit. Aber er hält eine uninspirierte Rede. Auf Fragen reagiert er unsouverän. Er wolle die AfD regierungsfähig machen, sagt er – damit ist schon Frauke Petry gescheitert. „Ich kenne meine Frau seit 40 Jahren“, ist der bemerkenswerteste Satz seiner Bewerbung.

Nach ihm spricht Doris von Sayn-Wittgenstein, seine einzige Konkurrentin. Eine radikale Randfigur. Sie wettert gegen „Antifanten“, also linke Antifaschisten, sie schwärmt von Bismarck und dem Nationalstaat. Und tatsächlich: Der Saal johlt mehrfach.

Dann die Abstimmung. Im ersten Wahlgang liegt Sayn-Wittgenstein vor Pazderski – aber ihr fehlt eine Stimme zur absoluten Mehrheit. Eine einzige. Wiederholung.

Im zweiten Wahlgang führt Pazderski. Aber wieder reicht es nicht. Der Saal einigt sich auf 15 Minuten Pause. Es werden 30 daraus.

Danach kommt Gauland

Danach – kommt Alexander Gauland. In der Dramatik sagt man: der Deus ex Machina. Der Gott aus der Maschine, der aus dem Nichts kommt. Obwohl er lieber nicht erschienen wäre. Aber es musste sein, sagt er. Er tritt an. Alle anderen ziehen zurück.

Er bewirbt sich in der Partei, zu deren Kern der Hass auf Angela Merkel gehört, mit dem Merkel-Satz: „Ihr kennt mich.“ Weil ihn alle kennen. Er beweist auch, dass er seine Partei verstanden hat: „Ich will, dass die Fraktion und die Partei verzahnt bleiben. Dass die verschiedenen Strömungen vereint bleiben.“

Vor allem wolle er, dass die Partei weiterhin „beide Füße“ bewahre: die pragmatische parlamentarische Arbeit. Und die Verwurzelung in politischen Bewegungen. Damit hat er am Ende zusammengefasst, was den Tag über augenscheinlich wurde – dass diese beiden die wichtigsten Strömungen der Partei sind. Die die Partei kaum kontrollierbar machen. Und die jetzt sogar Gauland gefährden – den Retter in der Not.

Zuerst bleibt der Richtungsstreit aus

Die Abstimmung um den Parteivorsitz ist der unerwartete Höhepunkt des Parteitags. Viel war im Vorfeld von einem Machtkampf zwischen zwei Flügeln die Rede, von einer Richtungsentscheidung – auf der einen Seite die Gemäßigten, auf der anderen Seite die Nationalradikalen.

So lag ein Antrag vor, das Parteiausschlussverfahren gegen den rechtsextremen thüringischen Landesvorsitzenden Björn Höcke für beendet zu erklären. Zudem schien es so, als könnten am Ende gleich zwei Parteichefs vom rechteren der beiden rechten Flügel gewählt werden: Meuthen und zusätzlich Alexander Gauland.

Aber es kommt zunächst anders. Über den Antrag, über Höckes Parteiauschlussverfahren zu entscheiden, wird gar nicht erst entschieden. Im Laufe des Nachmittags sickert durch, dass Gauland lieber nicht antreten wolle. Die graue Eminenz mit der Hundekrawatte bleibe lieber in der zweiten Reihe. Nah genug an der Spitze, um zu steuern. Weit genug weg, um sich nicht in Gefahr zu bringen.

Da schien klar: Es werden Meuthen und Pazderski. Ihre Gegner sind nur Zählkandidaten. Die Abstimmung eine Formalie.

Wie eine Amtsstube, nur ohne Gummibaum

Es hätte zu einem Parteitag gepasst, der über viele Stunden an eine Amtsstube erinnert, nur ohne Gummibaum. Oder der, wieder in der Sprache des Theaters, ein nicht enden wollendes retardierendes Moment ist – das nervenzehrende Herauszögern des Höhepunkts. Antrag für Antrag wird eingebracht und abgestimmt, verworfen und neu eingebracht, pedantisch korrekt bis aufs letzte Wort. Erst zwei Stunden nach dem Beginn des Parteitags meldet die Versammlungsleitung: Wir haben eine Tagesordnung.

Später tritt ein Delegierter ans Mikrofon und klagt: „Mich ärgert das, wir sind hier nicht bei den Grünen, wo man so lange quengelt, bis man seinen Willen durchbekommt“ – er erntet großen Applaus. Aber was er sagt, stimmt nicht. Die AfD-Delegierten nehmen es sehr genau mit den Anträgen. Und sie schlagen gerne etwas vor. Und noch etwas. Und noch etwas.

Einer fordert etwa, dass Kandidaten für den Vorstand nicht nur Auskunft geben müssen, was in ihrem polizeilichen Führungszeugnis stehen würde, sondern in ihrem erweiterten Führungszeugnis. Einer der Sitzungsleiter sagt leise am Mikro vorbei zum Nebensitzer: „Der will, dass wir das erweiterte Führungszeugnis da reinschreiben, aber das kriegen doch nur Behörden? Das gibt es doch gar nicht?“

Dann, laut: „Das gibt es nicht.“ Er sieht genervt aus und wird im Laufe des Tages sichtbar zermürbt.

Es bleibt die Sehnsucht, mitgerissen zu werden

So ist das eben: In der AfD sammeln sich Menschen, die finden, dass sie nicht mehr ernst genommen oder gehört werden, und solche Menschen wollen dann eben gehört und ernst genommen werden. In ihrem bürokratischen Eifer passen sie in die Welt der organisierten Politik, zum Beispiel in eine Partei.

Nur beißt sich dieser Wunsch mit der Sehnsucht, mitgerissen zu werden. Auch Pegida ist eben eine Wurzel der heutigen AfD.

Und so reichen einige Appelle an den Patriotismus, die Heimat, so genügen ein paar Attacken auf der Bühne, und aus den Delegierten werden jubelnde Zuhörer. Aus den biederen Bürokraten, die eine halbe Stunde und mehr über die Redezeit abgestimmt haben, werden Anhänger, die es damit nicht mehr genau nehmen.

Als Jörg Meuthen seine Bewerbungsrede um den Parteivorsitz hält, sagt er, er sei Patriot. Weil er sein Land liebe. Und wenn das die „Roths und die Stegners und wie die bildungsfernen Deutschlandabschaffer heißen“ spießig fänden, dann sei er gerne Spießer.

Da johlt die Menge, und lacht und klatscht und steht.

Er überzieht seine Redezeit deutlich und wird von den Versammlungsleitern zur Ordnung gerufen. Nonchalant sagt er: „Es sind ja nicht so viele Kandidaten, geben Sie mir noch eine Minute.“ Der Saal? Lacht. Dann dürfen Fragen gestellt werden.

„Ich hätte gerne gewusst, was sie noch zu sagen hätten“, fragt der erste. Heißt: Bitte reden Sie einfach weiter, Herr Vorsitzender.

Nicht einmal Gauland hat die Partei im Griff

So wichtig sind Vorschriften dann offenbar doch nicht.

Und dann, nach allem hin und her, kommt Gauland. Der schon lange die Fäden zieht. Der wichtigste und mächtigste Mann der AfD. Er wollte dort nicht hin, erzählt man, er wäre gerne stellvertrender Vorsitzender geworden. Aber jetzt ist er da. An der Spitze einer Partei, die er zwar begreift und lenkt wie niemand sonst. Aber die niemand im Griff haben kann. Nicht einmal er selbst, wie es aussieht.

Er bekommt: 68 Prozent. Er ist zwar ein Gott, der aus dem Nichts kam. Aber ein lädierter Gott.

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