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Hartz-IV-Empfängerin nennt Jens Spahns Aussagen "menschenverachtend"


Hartz-IV-Empfängerin über Jens Spahn
"Politiker sehen nur die Zahlen und Statistiken"

Ein Interview von Daniel Schreckenberg

Aktualisiert am 19.03.2018Lesedauer: 6 Min.
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Jens Spahn äußerte sich zu Hartz 4-Bezügen. Nun wollen Zehntausende, dass der CDU-Politiker für einen Monat von Hartz IV leben soll.Vergrößern des Bildes
Jens Spahn äußerte sich zu Hartz 4-Bezügen. Nun wollen Zehntausende, dass der CDU-Politiker für einen Monat von Hartz IV leben soll. (Quelle: Kay Nietfeld/dpa)

Nach seinen umstrittenen Äußerungen über Armut fordern im Netz Zehntausende, der designierte Gesundheitsminister solle für einen Monat von Hartz IV leben. Im Interview erklärt die Initiatorin, warum sie sich von dem CDU-Politiker persönlich angegriffen fühlt.

Sandra S. hat sich geoutet. Sie lebt von Hartz IV, bereits vier Jahre lang. Viele ihrer Freunde wussten nichts davon. Nun wissen sie es. Denn Sandra S. hat eine Petition ins Netz gestellt: "Herr Spahn, leben Sie für einen Monat vom Hartz IV-Grundregelsatz", schreibt sie dort. Fast 40.000 Menschen unterzeichneten die Aufforderung bereits.

Der CDU-Politiker und künftige Gesundheitsminister Jens Spahn hatte in einem Interview über die Essener Tafel und über das Leben mit Sozialleistungen gesprochen. Dort sagte er, dass niemand mit Hartz IV hungern müsse, wenn es die Tafeln nicht geben würde. Er wurde dafür von Politikern, die Spahn als "kaltherzig" und "abgehoben" bezeichneten, scharf kritisiert. Und von Sandra S., die in ihrer Petition schreibt: "Leider bin auch ich Empfängerin von Sozialleistungen – sprich Hartz IV. Dies öffentlich zuzugeben, fällt mir nicht leicht. Doch der Wille, die Aussagen von Jens Spahn nicht einfach vorüberziehen zu lassen, ist stärker als die Scham."

Der CDU-Politiker verstärke das Bild, das viele von Menschen wie ihr hätten. "Das sind doch Schmarotzer", würden diese sagen. Aus Spahn spreche Unwissenheit, schreibt Sandra S.. Sie will das ändern. Deshalb fordert sie den Politiker auf, doch selbst einmal für einen Monat mit dem Hartz-IV-Satz zu leben. Damit ist Sandra S. nicht alleine. In nicht einmal 24 Stunden hat die 40-jährige Karlsruherin bereits zehntausende Unterstützer gefunden.

Was sie sich von der Petition verspricht, erklärt Sandra S. im Interview mit t-online.de.

t-online.de: Frau S., was haben Sie gedacht, als Sie die Aussagen von Jens Spahn gelesen haben?

Sandra S.: Seine Aussagen sind an Respektlosigkeit kaum zu überbieten. Was er dort gesagt hat, war schlicht menschenverachtend.

Wie meinen Sie das?

Er hat keine Ahnung wie es ist, mit 400 Euro im Monat zu überleben. Mich stört, dass er so pauschale Aussagen trifft. Er kennt unsere Lebensrealität nicht und kann überhaupt nicht nachvollziehen, wie es ist, von Hartz IV abhängig zu sein.

Wie fühlen Sie sich bei solchen Aussagen wie der von Jens Spahn?

Ich bin wütend. Diese Wut staut sich bei mir schon seit einiger Zeit auf. Ich bin alleinerziehend und lebe von Hartz IV. Seit vier Jahren nun. Ich bin gelernte Bürokauffrau und würde gerne halbtags arbeiten, damit ich mein Kind nicht den ganzen Tag alleine lassen muss. Durch meinen Sohn habe ich es nicht so einfach auf dem Arbeitsmarkt. Ich hatte in den letzten Jahren immer wieder Jobs. Aber es hat nie wirklich gepasst. Und jetzt kam das mit Jens Spahn noch obendrauf. Ich dachte, jetzt musst du etwas tun.

Sie haben Jens Spahn aufgefordert, einen Monat lang von Hartz IV zu leben. Warum?

Damit er merkt, dass es nicht so einfach ist, wie er sich das vorstellt: Solange man nur sein Essen braucht und ein paar Kleinigkeiten, dann kommt man mit Hartz IV wunderbar klar. Das möchte ich auch gar nicht kritisieren und ich bin froh, dass es diese Sozialleistungen gibt. Aber zu sagen, man sei nicht arm, das ist respektlos: Es darf keine Waschmaschine kaputt gehen oder das Kind eine Klassenfahrt machen wollen. Dann ist alles vorbei.

Jens Spahn sagte, niemand müsse mit Hartz IV hungern, wenn es Zusatzangebote wie die Tafel nicht gäbe. Hat er recht?

Ich kenne viele, die hungern müssten. Da gibt es die, die aus besseren Tagen noch Kredite laufen haben. Bei denen bleibt am Ende des Monats wirklich nichts mehr übrig. Das sind Menschen, die dann zur Tafel gehen, um überhaupt noch etwas zu Essen zu bekommen. Es gibt auch Menschen, die schämen sich, Sozialgelder zu beantragen und es gibt Menschen, die Leben auf der Straße. Die alle brauchen die Tafel. Ohne die Tafel, würde es ihnen noch viel, viel schlechter gehen.

Was bleibt diesen Menschen außer der Tafel?

Ohne die Tafel können nur noch Freunde und Familie helfen. Ich selbst habe im Bekanntenkreis Personen, die Flaschen sammeln, um sich davon Lebensmittel zu kaufen. Macht einen das nicht unglaublich traurig?

Was bedeutet es für Sie, mit 10 Euro am Tag leben zu müssen?

Es ist täglicher Verzicht. Es bedeutet, meinem Sohn nicht alles erfüllen zu können. Sei es ein Zoobesuch oder eine Eintrittskarte für das Kino. Solche einfachen Dinge. Selbst Freunde treffen, ist für ihn manchmal schwierig, denn dann wollen die Kinder Essen oder etwas tun. Zwar bieten seine Freunde an, ihn einzuladen, aber auch das möchte man ja eigentlich nicht. Man zieht sich total zurück, weil man am Leben nicht mehr teilhaben kann. Wenn etwas kaputt geht, muss ich schauen, wie ich mit den Lebensmitteln irgendwie haushalte. Ich kaufe viele Sachen, die kurz vor dem Ablaufdatum sind.

Ihr Sohn ist zehn Jahre alt. Was macht Hartz IV mit Ihnen als Mutter?

Ich schäme mich dafür. Ich schäme mich dafür, abgelaufene Produkte kaufen zu müssen. Ich schäme mich, wenn ich Freunden absagen muss. Aber mir tun die zehn Euro am Abend weh. Hartz IV ist purer Scham.

Die Aussagen von Jens Spahn haben Sie wütend gemacht. War es schlimm, dass dort ein reicher Mensch über Hartz IV geurteilt hat? Oder dass es eine Person der künftigen Bundesregierung war, die so über Ihre Lebenssituation spricht?

Beides tat weh. Aber ich sehe Jens Spahn am meisten als Politiker. Seine Aussagen in dieser Funktion kann ich ihm anlasten. Er spricht als Politiker zu verachtend über Hartz IV und bringt damit alle Politiker in die Bredouille. Dass Politiker mehr Geld haben als ich, ist nicht das Problem. Ich gönne es ihnen, aber dann sollte man auch nicht nach unten treten. Viele, die Jens Spahn gewählt haben, wird er durch solche Aussagen wieder verloren haben.

Können Politiker Ihre Probleme überhaupt verstehen?

Nein, denn Politiker sehen nur die bloßen Zahlen und Statistiken. Politiker können vielleicht noch verstehen, dass es schwierig ist, für 200 Euro im Monat Lebensmittel zu kaufen. Aber wie das Leben unter Hartz IV ist, was das für Verzicht heißt, was das für Scham bedeutet, das kann man nur nachvollziehen, wenn man mittendrin steckt. Und deshalb auch die Aufforderung an Jens Spahn.

Warum haben Sie eine Online-Petition erstellt?

Wenn ich nach Berlin gefahren wäre und hätte Jens Spahn um ein Gespräch gebeten, hätte er mir nicht zugehört. Ich hätte keine Chance gehabt. Durch die Petition habe ich eine Chance. Eine Petition kann aufrütteln. Heutzutage ist das die beste Methode ein Anliegen zu verbreiten. Im Internet kann so etwas viral gehen, so viele Unterschriften können sie auf der Straße gar nicht sammeln.

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Glauben Sie Jens Spahn wird auf die Petition reagieren?

Wenn sie weiter so wächst, wird sie eine Zahl erreichen, die er nicht mehr ignorieren kann. Ich glaube nicht, dass er den Monat durchziehen wird. Ich glaube auch nicht, dass er sich bei mir meldet. Das ist mir aber auch egal. Aber die Bevölkerung sollte merken, dass Politiker, die solche Aussagen treffen, nicht die richtigen Vertreter für sie sind.

Was sollten Politiker tun, damit Sie Ihre Lebenssituation besser verstehen können?

Es gibt ja die Sendung "Undercover Boss". Ich fände es toll, wenn sich Politiker wirklich so einem Test aussetzen würden. Das wäre ein ganz großes Zeichen. Dann würden sie spüren, wie das alles überhaupt ist. Die Politiker sollten wieder anfangen, mit den Menschen zu reden. Meist sieht man die Politiker nur alle vier Jahre im Wahlkampf vor Ort. Da reden sie viel, am Parteistand oder beim Stammtisch. Aber was ist zwischen den vier Jahren? Politiker müssten viel Präsenter sein. Sie müssten Nachfragen: Was sind eure Probleme. Was sind eure Wünsche? Wie können wir das gemeinsam angehen?

Fast 40.000 Menschen haben Ihre Petition bereits unterschrieben. Hat Sie das überrascht?

Eigentlich nicht. Es ist eine Zeit, in denen sich viele Menschen nicht mehr mit unseren Politikern identifizieren können. Solche Aussagen kommen mittlerweile einfach nicht mehr gut an. Ich scheine einen Nerv getroffen zu haben.

Vielen Dank für das Gespräch Frau S.

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