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Exklusiv: "Wollen das Finanzressort nicht um jeden Preis"


FDP-Ex-Ministerin im Interview
"Wir wollen das Finanzressort nicht um jeden Preis"

t-online, Marie Illner

30.09.2017Lesedauer: 7 Min.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) war von 1992 bis 1996 und von 2000 bis 2009 Bundesministerin der Justiz.Vergrößern des BildesSabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) war von 1992 bis 1996 und von 2000 bis 2009 Bundesministerin der Justiz. (Quelle: Daniel Karmann/dpa-bilder)
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Sabine Leutheusser-Schnarrenberger war zwei Mal Bundesjustizministerin, ist von diesem Amt 1996 aus Überzeugung zurückgetreten und hat erlebt, wie die FDP aus dem Bundestag geflogen ist. Im Interview mit t-online.de spricht sie über das Comeback der FDP, Demut gegenüber dem Wähler und den Umgang mit der AfD.

Ein Interview von Marie Illner

Frau Leutheusser-Schnarrenberger, die FDP ist wie ein Phoenix aus der Asche auferstanden: 10,7 Prozent der Stimmen – das sind 6 Prozent mehr als 2013. Aber Sie kennen auch die andere Seite der Medaille: 2013 sind Sie mit der FDP aus dem Bundestag geflogen. Wie hat sich das damals angefühlt?

Leutheusser-Schnarrenberger: Das war ein Schock. Wir alle hatten mit einem schlechten Abschneiden gerechnet, aber nicht damit, dass wir unter fünf Prozent bleiben. Die Stimmungslage sah so aus, dass wir sehr unsicher waren. Wie sollte es gelingen, dass die FDP außerparlamentarisch nicht untergeht, sondern sich wieder aufrappelt und eine neue Chance bekommt gewählt zu werden? Die Zukunft der FDP war damals sehr unsicher und offen.

Was muss passieren, damit die FDP nicht nach der kommenden Legislaturperiode wieder in der Versenkung verschwindet?

In der aktuellen Lage wissen wir noch nicht, wie die Sondierungsgespräche ablaufen und zu welcher Regierung es kommen wird. Es ist entscheidend für die FDP, dass sie – egal ob Koalition oder Opposition – ein klares Profil hat und klar für bestimmte Themen steht. Daran darf nicht herumgewackelt werden. An den Grundlinien dürfen keine Zweifel entstehen - bei aller notwendigen Kompromissfähigkeit.

Angela Merkel sagte, sie sehe keinen Punkt, in dem ihre Partei etwas hätte anders machen sollen. Immerhin sei die Union nach wie vor stärkste Kraft. Auch Ursula von der Leyen sagte, man müsse nicht in Sack und Asche gehen. Zeigt die CDU zu wenig Demut gegenüber ihrem schlechtesten Wahlergebnis seit 1949?

Ja, die Union hat die Realität noch nicht richtig wahrgenommen. Natürlich ist sie stärkste Kraft, aber mit großen Verlusten, gerade auch in bestimmten Regionen. Natürlich muss jetzt etwas anders gemacht werden. Man kann nach so einem historischen Wahlergebnis nicht zur Tagesordnung übergehen. Die Union schätzt also nicht richtig ein, was auf sie zukommt.

Sie selbst waren von 1992 bis 1996 und von 2000 bis 2009 Bundesministerin der Justiz. Kommt das auch für 2017 bis 2021 in Frage?

Nein, ich war zwei Mal Ministerin. Das war eine wunderbare Zeit mit Höhen und Tiefen, aber jetzt sind andere dran. Wir haben ein gutes Team mit guten Leuten, die brauchen keine "elder state woman", die aus dem Off sagt "Jetzt möchte ich Ministerin werden". Ich gebe Ratschläge, wenn es gewünscht ist, und kann meine Erfahrung einbringen, aber ich bin nicht mehr Berufspolitikerin.

Wie begegnen Sie dem Vorwurf, die FDP bestehe in der Öffentlichkeit nur aus Christian Lindner, der Wahlerfolg sei mehr der guten Marketingstrategie als den Inhalten zu verdanken?

Natürlich wird die FDP bisher vor allem über Christian Lindner wahrgenommen, aber wir haben auch ein gutes Programm. Wir werden wahrgenommen als eine Partei, die sagt: Wir brauchen Aufbruch, wir brauchen Veränderung. Wir brauchen ein neues Denken mit Blick auf Bildung, Offenheit für Forschung und Entwicklung und mit Blick auf starke Bürgerrechte. Da hat die FDP klare Inhalte. Aber, dass in einer außerparlamentarischen Opposition der Parteivorsitzende am meisten wahrgenommen wird, ist doch ganz klar, weil die Medien sich auf ihn fokussieren. Aber es gibt eine Reihe weiterer guter Leute.

Immer mehr Parteien sitzen im Bundestag, er zersplittert immer weiter. Ist die Zeit der Volksparteien vorbei?

Auf alle Fälle ist es ein deutliches Schrumpfen der Volksparteien. Bei der SPD kann man angesichts der 20-Prozent-Marke fast nicht mehr von Volkspartei sprechen. Wir haben eine starke Fragmentierung des Parteiensystems, rechts und links. Das, was früher in der Bonner Republik selbstverständlich war – zwei Volksparteien, eine oder zwei weitere Parteien, ein rechtes und linkes Lager – diese Zeiten sind vorbei. Das heißt, dass Neues passieren muss, wie möglicherweise eine Koalition aus drei Parteien. Das hat es auf Bundesebene noch nicht gegeben. Man merkt: Da verändert sich was.

Die SPD hat sofort nach der Wahl angekündigt, nicht als Regierungspartei zur Verfügung zu stehen. Wie bewerten Sie dieses Verhalten?

Ich kann es nachvollziehen, dass jetzt allein parteitaktische und parteiinterne Faktoren bei der SPD eine Rolle spielen. Es wird aber der zweitstärksten – wenn auch schwachen – Kraft nicht gerecht, sich am Wahlabend ohne Wenn und Aber aus jeglicher Verantwortung zu stehlen. Das ist die Entscheidung der SPD. Der Start in die Opposition ist komplett danebengegangen. Wenn das das Niveau ist – mit "in die Fresse hauen" und was dort sonst noch abgesondert wird, dann kann ich nur sagen: Die SPD verabschiedet sich aus dem ernsthaften Diskurs.

Wolfgang Schäuble ist für das Amt des Bundestagspräsidenten vorgeschlagen worden. Damit ist der Posten des Bundesfinanzministers frei. Wie sehr schielt die FDP darauf?

Wenn es zu einer Koalition käme, wäre das für die FDP natürlich ein hochinteressantes Ressort. Dort ist mit dem Haushalt, den Weichenstellungen in der Steuerpolitik und Europa viel Macht konzentriert. Für uns ist das aber nicht der Kernpunkt, wir sagen nicht: "Für uns gibt es nur eins in der Koalition, wir wollen das Ressort!" Wenn die Inhalte nicht stimmen, nutzt auch ein Finanzressort nichts. Also: Erstmal Inhalte, erstmal verhandeln und dann für jeden Koalitionspartner ein wichtiges Ressort. Die FDP muss auf jeden Fall die Themen Bürgerrechte, Datenschutz und Digitalisierung besetzen. Das Finanzressort ist interessant, wir wollen es aber nicht um jeden Preis.

Ihr Parteivorsitzender Christian Linder hat in einem Interview mit der "Welt" gesagt: "CDU, SPD und die Grünen haben in den vergangenen Jahren einen kaum voneinander unterscheidbaren Mainstream gebildet." Sehen Sie das auch so?

Ja. Es gab im Bundestag keine kontroversen Grundliniendebatten. Es wurde nicht diskutiert über Grundsätze wie: "Wollen wir den Sozialstaat ausbauen oder wo können wir Marktwirtschaft stärken?" Die Alternative, die Marktwirtschaft zu stärken, gab es nicht. Auch die Alternative "Wie kann ich Freiheitsrechte sichern?" gab es fast nie. Man hat sich da in eine Richtung bewegt. Deshalb ist es so wichtig, dass nun die FDP mit ihrem Credo "Freiheitsentfaltung, Selbstbestimmung und den Staat nicht zum Bevormunder zu machen" eine andere Stimme einbringt.

Die Koalitionsgespräche laufen aktuell. Wie sicher ist Jamaika und wo sehen Sie die größten Hürden?

Sicher ist im Moment gar nichts. Es geht jetzt darum, die Bereitschaft aller auszuloten. Wie weit sind sie auch zu Kompromissen bereit? Bereit, von eigenen Forderungen abzusehen oder sie zurückzustellen. Anders geht es nicht, wenn vier Parteien zusammenfinden sollen. Es gibt Gemeinsamkeiten und unterschiedliche Schnittmengen, etwa: Die Polizei zu stärken, mehr in Bildung investieren – das ist unstrittig. Im Bereich der Flüchtlings- und Einwanderungspolitik sowie der Steuerpolitik gibt es deutliche Unterschiede. Die FDP will Steuern senken, die Grünen den Spitzensteuersatz vielleicht anheben. Da ist es die Kunst des Verhandelns, Linien zu finden, die Veränderung und nicht Stillstand bedeuten, und das sich am Ende alle wiederfinden. Bei den Punkten, auf die man sich nicht einigen kann, müssen die Koalitionspartner sagen: "Eigentlich wollen wir mehr! Wir geben dieses Ziel nicht auf." Es darf nicht der Eindruck entstehen: Das ist der kleinste gemeinsame Nenner und dann wurschtelt man sich durch.

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Die größten Zugeständnisse werden wohl von Seiten der Union kommen müssen. Bei welchen Themen lässt die FDP nicht mit sich diskutieren?

Die FDP lässt bei vielen Themen mit sich diskutieren, manchmal gibt es auch kleine Schritte. Wir sind eine pro-europäische Partei, daher wollen wir als Kernpunkt mehr Stabilitätspolitik in Europa. Wir wollen auf keinen Fall Steuererhöhungen. Wie man bestimmte Ziele erreicht, kann man natürlich verhandeln. So wird es bei CDU/CSU und den Grünen auch sein. Rote Linien aufzubauen bringt uns hier nicht voran.

Sie waren von 1992 bis 1996 und von 2009 bis 2013 Justizministerin. Hohe Beliebtheitswerte haben Sie stets durch Ihr bewiesenes Rückgrat erhalten, beispielsweise als Sie 1996 als Justizministerin zurücktraten. Welche Rolle spielt Haltung und Rückgrat für Sie als Politikerin?

Haltung, Überzeugung, Rückgrat und das durchzusetzen, was man gesagt hat, ist für mich entscheidend für Glaubwürdigkeit in der Politik. Es ist das Entscheidende, dass Bürgerinnen und Bürger Vertrauen in Politiker und Politik haben können. Das ständige Lavieren, immer einen Deal suchen, biegsam sein, heute so, morgen so mit immer neuen Gründen – das beschädigt die Bindung zwischen Bürger und Politik. Dann erodiert es an der Basis. In den Grundlinien politischer Überzeugung muss man Haltung zeigen.

Zeigt Frauke Petry Rückgrat, wenn Sie nun aus der AfD austritt oder täuscht sie ihre Wähler?

Frauke Petry folgt zuallererst ihren eigenen Interessen, weil sie gemerkt hat, dass sie in der AfD keine Unterstützung mehr hat. Auch wenn sie immer noch Parteivorsitzende war, war sie kaltgestellt. Sie sucht jetzt Wege, überhaupt noch Politik zu machen, indem sie austritt. Ich messe das nicht ihren Überzeugungen zu, sondern den eigenen Interessen nach dem Motto "Rette sich wer kann".

Die AfD hat den Einzug in den Bundestag als drittstärkste Kraft geschafft. Über den Umgang vor, während und nach der Wahl mit ihr wird viel diskutiert. Welches Rezept haben Sie für Rechtsextreme im Bundestag?

Die AfD ist zum Teil rassistisch und rechtsextrem, aber zum Teil sind es Protestwähler. Diese sind nicht für immer und ewig an die AfD gebunden. Von daher kann ich nur ein Rezept empfehlen: Klare Kante in der inhaltlichen Auseinandersetzung mit der AfD. Nicht hinterherrennen und sagen: "Die Bürger wollen was die AfD sagt, also müssen wir AfD-Politik in irgendeiner Form übernehmen." Das wäre das Falscheste, was man tun kann. Die CSU hat es in Bayern ein bisschen versucht und ist kläglich gescheitert. Wir brauchen klare Haltung und die inhaltliche Auseinandersetzung zu Themen wie Rente, Gesundheit, Wohnen, Bauen und Freiheitsrechte. Wir dürfen die AfD nicht nur über die Themen, bei denen es um völkisch-nationalistische Gefühle geht, reden lassen, sondern, wo es um Politik für die Menschen und die Jugend geht. Dann wird man sehen: Da stehen welche, die haben gar keine Kleider an.

Leutheusser-Schnarrenberger spricht am 4.10. um 19 Uhr auf der Veranstaltung „Herausforderung Zukunft“ in Bochum über ihr Buch "Haltung ist Stärke" und die Mechanismen der Politik.

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