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Wie ein Kommunist und ein Werbeguru die AfD stark machten


Die radikale Partei
Wie ein Kommunist und ein Werbeguru die AfD stark machen

  • Jonas Mueller-Töwe
Von Jonas Mueller-Töwe

25.02.2018Lesedauer: 5 Min.
Nachrichten
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Knallhart kalkuliert: Mit Gramsci wollen Rechtsradikale den öffentlichen Diskurs prägen.Vergrößern des Bildes
Knallhart kalkuliert: Mit Gramsci wollen Rechtsradikale den öffentlichen Diskurs prägen. (Quelle: Collage: Benjamin Springstrow/T-Online-bilder)

Mit eigenen Nachrichten will die AfD aus der Opposition heraus die Politik beherrschen. Ihren Aufstieg verdankt die Partei den Ideen eines Kommunisten und eines Werbegurus.

Kennen Sie Antonio Gramsci?

Ist Ihnen der Name Ryan Holiday ein Begriff?

Wenn Sie die Strategie der Alternative für Deutschland und ihre Methoden verstehen wollen, dann schadet es nicht, diese beiden Namen zu kennen. Der eine ist ein italienischer Revolutionär, Mitbegründer der Kommunistischen Partei. Der andere ist ein US-amerikanischer Werbeguru und Bestsellerautor. Gemeinsam prägen sie die Öffentlichkeitsarbeit der Rechtspartei. Ohne sie ist das Phänomen AfD nicht erklärbar.

Antonio Gramsci: der Revolutionär

Beginnen wir mit Antonio Gramsci, der sich in den 1920er- und 1930er-Jahren mit dem faschistischen Mussolini-Regime in Italien konfrontiert sah. Der Schriftsteller Robert Misik hat seinen Einfluss auf den linken Diskurs für "Zeit-Online" sehr anschaulich aufgeschrieben. Weniger bekannt ist Gramscis Einfluss auf die Neue Rechte.

Eine zentrale Idee des marxistischen Intellektuellen ist die "kulturelle Hegemonie". Für die Errichtung des Kommunismus, so Gramsci etwas verkürzt, sei zunächst erforderlich, den marxistischen Ideen zu gesellschaftlicher Dominanz zu verhelfen – außerhalb des Staatsapparates, in der Zivilgesellschaft. Denn "herrschende Ordnung" ziehe ihre Stabilität daraus, dass die Mehrheit der Menschen an sie glaube. Deswegen rängen gesellschaftliche und politische Gruppen um Begriffs- und Ideenhoheit. Sie zu erringen, sei Voraussetzung zur Erlangung der Macht.

Der Kampf um die Begriffe

Die AfD verfolgt diese Strategie, indem sie versucht, Begriffe zu ersetzen und umzudeuten. Das Wort "Flüchtling" verwendet die Partei nicht – und wenn, dann nur hämisch. In ihrem Vokabular finden sich allerdings Begriffe wie "Glücksritter" und "Hasardeure". Sachsen-Anhalts Landessprecher Poggenburg sagt "Kameltreiber" zu deutsch-türkischen Bürgern. Der Bundestagsabgeordnete nennt einen schwarzen Deutschen einen "Halb-Neger". Im Orwell'schen Neusprech der AfD werden Antifaschisten zu "Nazis". Die Bundesrepublik wird mit dem SED-Regime der DDR gleichgesetzt.

Das alles sind keine Zufälle. Es sind auch keine Ausfälle, wie die Parteispitze um Alexander Gauland die stets empörte Presse zu beschwichtigen versucht. Und es sind schon gar keine Einzelfälle – Gauland und seine Vize-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel marschieren an vorderster Front, wenn es darum geht, den öffentlichen Raum mit radikalen Parolen zu plakatieren. Ständige Wiederholung soll die Bilder mit den Begriffen verknüpfen und sie letztendlich in der Öffentlichkeit verankern.

Weit hergeholt? In diesem Video erläutert Thüringens AfD-Landesvorsitzender Björn Höcke selbst den "Kampf um die Begriffe" – und beruft sich dabei ab Minute 20:51 auf Antonio Gramsci:

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"Wer Begriffe prägt, prägt die Sprache. Wer die Sprache prägt, prägt das Denken. Wer das Denken prägt, prägt den politischen Diskurs. Und wer den politischen Diskurs prägt, der beherrscht die Politik – egal, ob er in der Opposition ist oder in der Regierung." (Björn Höcke, 20. Januar 2018)

Dass Sprache eine wichtige Rolle im politischen Prozess spielt, ist nicht neu. Mein Redaktionskollege Jonas Schaible erklärt in seinem Beitrag "Wie sich die SPD ins Bein schießt – und die Union triumphiert" sehr gut, wie sie sich auf den Wahlkampf von Union und SPD ausgewirkt hat. Dass aber eine politische Partei derart offensiv über Begriffsumdeutungen Staat und Gesellschaftsordnung attackiert, schien zumindest lange undenkbar.

Ryan Holiday: der Medien-Manipulator

Doch wie funktioniert für die AfD der Kampf um die Begriffe in der Praxis? Die Partei und ihr Umfeld bedienen sich dafür einer Methode, die der Werbeguru Ryan Holiday in seinem Bestseller "Trust me, I'm lying" beschrieben hat, zu Deutsch: "Vertraue mir, ich lüge". In dem Buch beschreibt er, wie er skandalträchtige Werbekampagnen inszenierte – auch für die berühmt-berüchtigte Modemarke "American Apparel".

Sensationen, Extremismus, Sex, Skandale, Hass: Das ist, was sich verkaufen lässt. Das ist, was Holiday den Medien lieferte. Den Film eines befreundeten Regisseurs bewarb er, indem er die Plakate verunstaltete, Skandalgerüchte verbreitete, Boykotte organisierte. Für andere Kampagnen streute er vermeintlich skandalöse Interna. Und produzierte damit: Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeit. Die Methode fand ihren Weg ins politisch radikale Milieu.

"Unglücklicherweise bezeichnet eine ganze Reihe von Rechtsaktivisten das Buch als ihre Bibel", sagt Holiday gegenüber t-online.de. Dabei sei seine Absicht als Autor genau das Gegenteil gewesen. "Ich wollte die Menschen warnen, aber die Medien hörten nicht zu. Sie waren zu selbstbewusst – wie Banken, die vor der Finanzkrise gewarnt wurden."

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Er sei ein Medien-Manipulator, räumt er im Buch bereitwillig ein. Seine Idee: eine Story aus dem Nichts zu fabrizieren – indem er die Schwachstellen der Medienindustrie ausnutzt. Die Pointe vorweg: Für eine erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit ist die AfD essenziell auf die Medien angewiesen, die sie als "Lügenpresse" diffamiert.

Die "Methode Holiday"

Holidays Methode ist denkbar einfach: Um Aufmerksamkeit in nationalen Medien zu generieren, fütterte er kleine Blogs und Twitter mit sehr polarisierenden "Exklusiv"-Informationen. Die Blogs wählte er danach aus, wie oft ihre Themen von nationalen Medien aufgegriffen werden. Da kleinere Blogs Informationen weniger akkurat prüfen, finden oft falsche Informationen auf diese Art und Weise ihren Weg in größere Publikationen.

Vor allem Twitter spielt für die Inszenierung nicht nur rechtsradikaler Politik inzwischen eine große Rolle. Je polarisierender die Aussage eines Politikers in dem sozialen Netzwerk, desto wahrscheinlicher ist es, dass andere sie aufgreifen und kommentieren. Je weiter sie verbreitet wird – auch von politischen Gegnern und Journalisten – desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Onlinemedien und in der Folge traditionelle Medien sie aufgreifen.

Kaum ein Medium außerhalb des rechtsradikalen Spektrums in Deutschland ließe Poggenburg "Kameltreiber" in einem Interview sagen. Kaum ein Medium außerhalb des rechtsradikalen Spektrums in Deutschland ließe Maier "Halb-Neger" in einem Interview sagen. Kaum ein Medium würde über einen AfD-No-Name berichten, der vor der Wolfsschanze posiert. Durch Twitter und die Empörungsspirale finden diese Meldungen allerdings ihren Weg in Schlagzeilen, in Aufmacher. Sie sind Geschütze im Kampf um die Begriffe.

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"Die Schlüsseltaktik alternativer oder provokativer Figuren ist, die Größe und Plattform ihres 'Nicht-Publikums' einzusetzen, um Aufmerksamkeit zu generieren und darüber eine tatsächliche Zuhörerschaft anzulocken", schreibt Holiday in einer "Observer"-Kolumne. Deswegen neigten Trolle dazu, immer provokativer und radikaler zu werden. Ohne eine Steigerung normalisiere sich ihr Verhältnis zur Öffentlichkeit. Das bedeutet das Ende der Aufmerksamkeit, das Ende von Zustimmung – im Falle der AfD: das Ende von Wahlerfolgen.

Höcke beschwört die absolute Antithese

Denn es geht der AfD entgegen aller Beteuerungen nicht darum, in der Mitte der Gesellschaft anzukommen. Hier schließt sich der Kreis zum Marxisten Gramsci: In seiner Rede warnt Höcke vor "kultureller Assimilation" durch die Mehrheitsgesellschaft. Ohne die unbedingte Gegnerschaft verliert die Partei seiner Ansicht nach ihr Momentum.

Alles spricht dafür, dass sich diese Sicht bis in die Spitze der Partei durchgesetzt hat. Dass sich die Partei nicht mäßigen wird, wie Gauland für die Zeit nach der Wahl angekündigt hatte. Erst kürzlich ließ die Fraktionsvorsitzende Weidel eine "innovative Zeitenwende" für die Bundesrepublik verkünden. Mit einer eigenen PR-Abteilung werde die AfD künftig selbst Nachrichten produzieren. Das muss als Professionalisierung der bisherigen Methode verstanden werden, den Nachrichtenstrom zugunsten der Partei manipulieren zu wollen.

Es ist also nicht abzusehen, dass die Partei sich mäßigen wird. Es ist nicht abzusehen, dass die parlamentarische Arbeit von Realpolitik geprägt sein wird. Es ist auch nicht abzusehen, dass sogenannte Gemäßigte sich abwenden werden. Die AfD trägt den Radikalismus in ihrer DNA. Sie ist rechtsradikal. Der Kampf um die Begriffe hat für die Partei gerade erst begonnen.

Hinweis: Dieser Text erschien erstmals am 25. Februar 2018.

Verwendete Quellen
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