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Schmutzkampagne gegen Annalena Baerbock: Geld vernebelt den Verstand


Tagesanbruch
Geld vernebelt den Verstand

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 14.06.2021Lesedauer: 5 Min.
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Die "Süddeutsche Zeitung" ließ sich die Kampagne gegen Annalena Baerbock versilbern.Vergrößern des Bildes
Die "Süddeutsche Zeitung" ließ sich die Kampagne gegen Annalena Baerbock versilbern. (Quelle: T-Online-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

die "Süddeutsche Zeitung" hat eine lange Tradition als linksliberales Autorenblatt, in ihrem Selbstverständnis rühmt sich die Redaktion als "vertraute, unbestechliche, neugierige, offene, kluge und wenn möglich heitere Freundin und Begleiterin". Die Wochenzeitung "Die Zeit" hat ebenfalls eine lange Tradition, ihre Redaktion ist stolz auf ihre Unabhängigkeit und kommentiert das politische Geschehen gern von hoher Warte. Meinungsfreudig ist auch die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", die eine konservative Kommentierung pflegt, dabei aber Wert auf ihre Überparteilichkeit legt.

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Am vergangenen Freitag mussten Leserinnen und Leser dieser drei großen Zeitungen an der Unabhängigkeit der Blätter zweifeln. Bei der Morgenlektüre wurden sie mit einer außergewöhnlichen Anzeige der Lobbyorganisation Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) konfrontiert. Für das Motiv wurde das Gesicht der Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock auf einen Körper im Moses-Gewand retuschiert, der zwei Steintafeln mit zehn Geboten in klauenartigen Händen hält. Mal prangte daneben der Slogan "Wir brauchen keine Staatsreligion", mal die Parole "Warum uns grüne Verbote nicht ins Gelobte Land führen". Auf den Tafeln standen "Verbote", die die Grünen angeblich umsetzen wollen: "Du darfst nicht fliegen", "Du darfst nicht schöner wohnen", "Du darfst deine Arbeitsverhältnisse nicht frei aushandeln" und so weiter. Polemisch, manipulativ, platt: So wirkte das Machwerk der INSM, die von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie finanziert wird.

Die Anzeige sorgt seit Freitag für Empörung, viele Leserinnen und Leser kritisieren sie als beleidigend und frauenfeindlich. Manche Betrachter sehen sich in ihren religiösen Gefühlen verletzt, andere empfinden sie gar als antisemitisch. Schon ein kurzer Faktencheck ergibt, dass die Behauptungen der INSM gegen die Grünen überwiegend übertrieben oder ganz falsch sind.

Nicht von ungefähr erinnert die Anzeige an Schmutzkampagnen in amerikanischen Wahlkämpfen. Sie verdeutlicht, wie hart die Wahlschlacht ums Kanzleramt am Ende der Ära Merkel geführt wird. In manchen Unternehmerkreisen herrscht eine regelrechte Panik davor, dass die Grünen die künftige Bundesregierung anführen könnten. Offenkundig übermannt diese Panik bei manchen Herrschaften sowohl den guten Geschmack als auch den Anstand. Das kann man bedauern, man kann es kritisieren und man kann es auch verachten. Aber Lobbyisten sind nun einmal Lobbyisten.

Anders sieht es mit den Medien aus, die sich nicht zu schade waren, die herabwürdigende Anzeige abzudrucken oder auf ihre Websites zu stellen. Die "Süddeutsche Zeitung" gehört dazu, die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und "Die Zeit". Alle diese Medien haben kluge Redaktionen und scharfsinnige Chefredakteure. Aber alle diese Medien sind durch den digitalen Wandel unter Druck geraten und kämpfen daher um jeden Anzeigenkunden. Wozu diese Entwicklung führt, dokumentiert die Anti-Baerbock-Anzeige: Selbst der schärfste Verstand scheint nicht dagegen gefeit zu sein, vom Dunst des Geldes vernebelt zu werden. Legt ein Kunde genügend Hunderttausender auf den Tisch, machen wir alles mit: Das ist die Botschaft, die diese Medien ihren Lesern auf den Frühstückstisch geknallt haben.

Man kann Anzeigen ablehnen. Der "Spiegel" hat das in diesem Fall getan. Auch t-online wurde von der INSM angefragt, hat die Anzeige aber zurückgewiesen – so wie wir jede politische Wahlkampfwerbung auf unserer Website ablehnen. Weil wir unabhängig berichten und nicht in den Ruch einseitiger Parteinahme geraten wollen. Weil wir kein Vehikel für Lobbyisten sind.

Selbstverständlich kann man die politischen Positionen der Grünen und Frau Baerbocks kritisieren. Auch im Tagesanbruch haben wir das erst am Freitag in aller Deutlichkeit getan – aber in einem redaktionellen Beitrag: mit Argumenten und offenem Visier, nicht mit einer als Anzeige getarnten Schmutzkampagne. Ein derartiges Motiv zu veröffentlichen, ist auch dann keine Option, wenn man jeden Euro gut gebrauchen kann. Eigentlich sollte das im Journalismus eine Selbstverständlichkeit sein. Leider scheint in manchen Chefredaktionen der Kompass abhandengekommen zu sein. Das ist ein schlechtes Omen für eine unabhängige Berichterstattung im Bundestagswahlkampf.


Nato auf Sinnsuche

Nach dem G7-Gipfel ist vor dem Nato-Gipfel: Weilte er gestern Nachmittag noch zum Teetrinken mit Queen Elizabeth II. auf Schloss Windsor, beehrt US-Präsident Joe Biden heute schon das Nato-Spitzentreffen in Brüssel. Und während G7-Gastgeber Boris Johnson in seiner Abschlussbilanz vor allem das "fantastische Niveau an Harmonie" zwischen den Staatenlenkern lobte – man vereinbarte Impfstoffhilfen für arme Länder und bekannte sich zum Kampf gegen die Klimakrise –, stehen heute kontroversere Themen auf dem Programm: Es soll um Antworten auf Russlands aggressive Politik und den Aufstieg Chinas gehen. Was genau die Amerikaner dabei fürchten, beschreibt mein Kollege Bastian Brauns in diesem Hintergrundartikel.

Eines allerdings dürfte die Regierungschefs der 30 Nato-Staaten genauso verbinden wie die G7: die Erleichterung darüber, dass der Egomane Donald Trump nicht mehr dabei ist. Der Ex-Präsident, der heute im fernen Florida seinen 75. Geburtstag feiert, hatte die Nato als "obsolet" bezeichnet. Mit solchen Attacken muss Generalsekretär Jens Stoltenberg beim aktuellen Amtsinhaber nicht rechnen: Herrn Biden wird an einem Schulterschluss mit seinen Verbündeten gelegen sein, bevor er übermorgen in Genf auf Wladimir Putin trifft.


Fällt die Maskenpflicht?

Die Infektionszahlen sinken weiter, ab heute sollen die Apotheken beginnen, die digitalen Impfpässe auszugeben: Die Pandemie klingt unübersehbar ab. Prompt ertönen Forderungen nach dem Ende der Maskenpflicht. FDP-Vize Wolfgang Kubicki ist ganz vorn dabei, aber auch SPD-Justizministerin Christine Lambrecht meint: Die Bundesländer müssten nun klären, "ob und wo eine Maskenpflicht noch verhältnismäßig ist", erst recht in den Schulen. Taugt womöglich Dänemark als Vorbild, wo die Maskenpflicht heute in fast allen Bereichen des öffentlichen Lebens aufgehoben wird? Ich sage es mal so: Vorsicht hat in dieser Weltkrise noch nie geschadet. Noch warten Millionen Menschen auf ihre Impfung, und ein paar weitere Wochen mit Maske sind kein Drama.

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Was lesen?

Es hat tatsächlich geklappt: Israel hat eine neue Regierung, nach zwölf Jahren ist die Ära Netanjahu vorbei. Wie geht es nun weiter in dem gespaltenen Land? Die "Zeit" wagt einen Ausblick.


Es gibt ja diese Texte, die einen noch lange nach der Lektüre nachdenken lassen. Bei diesem Artikel unseres Gastautors Michael Kraske ging es mir so: Er berichtet, wie eine Historikerin die Geschichte Sachsens erforscht. Es ist ein Lehrstoff zu nationalen Opfermythen, der ganz Deutschland betrifft.


Das Vermögen vieler Superreicher ist in der Corona-Zeit gewachsen. Das scheint der Geldelite aber nicht zu reichen: Jetzt greift sie mit viel Geld in den Bundestagswahlkampf ein, berichtet der "Spiegel"-Kolumnist Christian Stöcker.


Der CDU-Generalsekretär und die "Bild"-Zeitung attackieren die Autorin Carolin Emcke: In ihrer Rede auf dem Grünen-Parteitag habe sie Klimaforscher mit Holocaustopfern verglichen. Das ist perfide, denn nichts dergleichen hat Emcke gesagt, wie Ronen Steinke in der "Süddeutschen Zeitung" zeigt.


Trotz des Zusammenbruchs von Mittelfeldspieler Christian Eriksen wurde das EM-Spiel Dänemark gegen Finnland fortgesetzt. Nun gibt es immer lautere Kritik an der Entscheidung, wie die "Tagesschau" berichtet.


Was amüsiert mich?

Jeder hat ja seine eigene Perspektive.

Ich wünsche Ihnen einen perspektivreichen Tag. Morgen schreibt Sven Böll den Tagesanbruch, von mir lesen Sie ab Mittwoch wieder.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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