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Jauch diskutiert Germanwings-Absturz: rücksichtslose Spekulationen


Spekulativer ARD-Talk
Lufthansa-Vorstand bei Jauch: "Indizienlage erdrückend"

t-online, Marc L. Merten

Aktualisiert am 30.03.2015Lesedauer: 4 Min.
Kay Kratky aus dem Lufthansa-Vorstand erklärte bei "Günther Jauch", dass noch keine "einhundertprozentige Diagnose" möglich sei.Vergrößern des BildesKay Kratky aus dem Lufthansa-Vorstand erklärte bei "Günther Jauch", dass noch keine "einhundertprozentige Diagnose" möglich sei. (Quelle: dpa-bilder)
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Man müsste meinen, Günther Jauch und die ARD würden sorgsam und verantwortungsbewusst mit ihrer Sendezeit umgehen. Man müsste meinen, dass gerade Jauch den Absturz der Germanwings-Maschine 4U9525 mit dem nötigen Fingerspitzengefühl diskutieren würde. Und man müsste meinen, dass sich gerade das öffentlich-rechtliche Fernsehen an den Pressekodex gebunden fühlt. Stattdessen führte Jauch die Gäste und Zuschauer seiner Talkshow in die Tiefen der rücksichtslosen Spekulation.

Das Wichtigste zu Beginn: Kay Kratky, Vorstand bei Lufthansa Passage und damit für den Passagierbetrieb mitverantwortlich, war am Sonntagabend bei Jauch im Gasometer zu Gast. Er sprach den Angehörigen und Betroffenen sein Beileid für eine "unglaublich traurige und fassungslose Situation" aus. Er bedauerte, "keinen anderen Kenntnisstand" liefern zu können als den, den t-online.de hier zusammengefasst hat.

Daraus gehe hervor, so Kratky, dass die "Indizienlage im Moment erdrückend" darauf hindeutet, dass Co-Pilot Andreas L. den Absturz der Maschine willentlich herbeigeführt hat. Da allerdings insbesondere der Flugdatenschreiber noch nicht gefunden sei, "langen die Erkenntnisse bislang nicht für eine einhundertprozentige Diagnose". Die Suche nach dem vielleicht entscheidenden Puzzlestück sei deswegen so schwierig, weil die Maschine "mit 800 km/h in eine senkrechte Wand geflogen ist und dabei atomisiert wurde. Es kann sein, dass diese Belastung für den Flugschreiber zu groß war. Er wäre aber sehr hilfreich, um das Bild des Hergangs zu komplettieren."

Kratky konnte darüber hinaus zur Dienstakte des Co-Piloten aus rechtlichen Gründen nur mitteilen, dass "er regelmäßige Checks ohne Beanstandung absolviert" habe und der 27-Jährige nach den Maßgaben der Lufthansa wie auch der hoheitlichen Luftfahrtbehörde flugtauglich war.

"Man muss die Angehörigen schützen"

Jauch leitete diesen Beginn der Sendung bedächtig, ruhig und mit klaren Fragen. Er bezog nacheinander seine Gäste mit ein. Erst Sabine Rau, die leitende Notfallpsychologin in Düsseldorf, die sich um die Angehörigen getöteter Insassen kümmert. Sie betonte, wie wichtig es sei zu bedenken, dass "Fakten und Wissen den Angehörigen helfen aus der Ohnmacht rauszukommen." Spekulation seien dagegen nicht hilfreich. Auch der Theologe Wolfgang Huber brachte seinen Wunsch zum Ausdruck, "dass die Trauer der Angehörigen das Erste ist, was uns jetzt wichtig ist".

Ex-Bundesinnenminister Gerhard Baum (FDP) forderte eine transparente Aufklärung, um Spekulationen entgegen zu wirken. "Die Angehörigen möchten wissen, was passiert ist, ob es vermeidbar war und ob es wieder passieren kann. Diesem Wunsch nach Wissen müssen wir Gehör schenken." Ansonsten, so Baum, "wollen die Angehörigen in Ruhe gelassen werden. Man muss sie schützen vor der Neugier der Öffentlichkeit. Das ist auch ein Appell an die Presse."

Sensationsjournalismus statt Selbstkritik

Es wäre der perfekte Zeitpunkt gewesen für Jauch, über etwas zu sprechen, das genau diesen Forderungen seiner Gäste Rechnung getragen hätte. Etwas, das der Deutsche Journalisten-Verband nach dem Absturz mit Verweis auf den deutschen Pressekodex kritisiert hatte ("Es verbietet sich für Journalisten, die Trauernden zu bedrängen") und was Airbus-Chef Tom Enders am Sonntag noch in aller Deutlichkeit der "Bild am Sonntag" erklärt hatte: "Was wir kritisch hinterfragen sollten, ist das Unwesen, das manche 'Experten' vor allem in TV-Talkshows treiben. Teilweise wurde dort ohne Fakten spekuliert, fantasiert und gelogen", sagte er. "Oft hanebüchener Unsinn. Das ist eine Verhöhnung der Opfer."

Leider ist nicht überliefert, warum die ARD, Jauch und dessen Redaktion entschieden hatten, keine Kritik an den eigenen Kollegen zu üben. Aus Angst, als Nestbeschmutzer da zu stehen? Dafür steht Jauch bei vielen Zuschauern nun wohl als Vorzeige-Sensationsjournalist da. Denn statt den respektvollen Beginn seiner Talkrunde zu folgen, den auch Lufthansa-Vorstand Kratky gefordert hatte ("keine Szenarien mit Fantasie angereichert diskutieren aus Respekt vor den Angehörigen"), hatte sich Jauch für eben jenen Part - das Spekulieren - extra einen Gast eingeladen.

Depression und Narzissmus - da wurde es Baum zu bunt

Reiner Kemmler, ein Flugpsychologe, der seit Jahren Piloten betreut, wagte sich auf das gefährliche Feld der Depression. Er sollte versuchen zu erklären, was in dem mutmaßlich psychisch erkrankten Andreas L. vor sich gegangen sein könnte. Eigentlich, so betonte Kemmler, gebe es "Grenzen der Psychologie und Medizin, so etwas wie diesen Fall zu erkennen". Selbst bei intensiven Tests hätte der Co-Pilot eine schwere Depression "verschleiern" können. Darüber hinaus war er bemüht zu erklären, dass jeder Mensch im Laufe seines Lebens depressive Phasen durchlaufe.

Trotzdem ergab sich aus Kemmlers Aussagen ("Die Grenze zur Flugtauglichkeit ist dort, wo eine Depression dispositionell, also erblich bedingt ist") eine höchst spekulative Diskussion, die für jeden Menschen, der unter Depressionen leidet, ein schwerer Schlag gewesen sein dürfte. Von Liebeskummer über erblich bedingte Depression bis hin zu Narzissmus und Persönlichkeitsstörungen - Jauchs Sensationstalk ließ nichts aus. Selbst über die Frage, ob es laut Kemmler "erweiterter Suizid" war, ein "Selbstmord-Attentat" (Jauch) oder Massenmord (Huber), stritt die Diskussionsgruppe.

Bis es Baum zu bunt wurde und der sich echauffierte: "Was machen wir jetzt hier? Wir spekulieren!" Das war ungefähr zu dem Zeitpunkt, als die ARD-Regie das Thema der nächsten Talkshow einblendete: "hart aber fair" mit Frank Plasberg würde am Montagabend über das Thema "Notfall Psyche - Gefahr auch für die Mitmenschen?" diskutieren. Die Leitfrage: "Gilt die Krankheit Depression jetzt als eine Gefahr für alle? Und wer bekennt sich noch zu einer Depression, wenn jeder damit in den Schatten einer solchen Tat gerät?" Man wünscht sich, die Polit-Talkshows um Jauch und Plasberg hätten sich die "heute show" des ZDF zum Vorbild genommen und ihre Sendungen aus Respekt vor den Opfern abgesagt.

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