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Wetter – Hitzerekord an Messstation Lingen: Experten kritisieren DWD


Standort mit Problemen
Experten kritisieren den DWD für Hitzerekord von Lingen

  • Lars Wienand
Von Lars Wienand

Aktualisiert am 27.07.2019Lesedauer: 4 Min.
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Die Messgeräte der Wetterstation Lingen: Hier wurde der Rekordwert gemessen. Die Regeln sehen vor, dass Hindernisse wie Bauwerke oder Bäume mindestens das 10-fache ihrer Höhe von der Grenze des Messfelds entfernt sein müssen.Vergrößern des Bildes
Die Messgeräte der Wetterstation Lingen: Hier wurde der Rekordwert gemessen. Die Regeln sehen vor, dass Hindernisse wie Bauwerke oder Bäume mindestens das 10-fache ihrer Höhe von der Grenze des Messfelds entfernt sein müssen. (Quelle: Jannes Wessels/stapelmoor-wetter.de)

42,6 Grad in Lingen? Experten haben an diesem Wert keinen Zweifel und machen dem Deutschen Wetterdienst dennoch Vorwürfe. Bäume spielen dabei eine große Rolle.

Die Telefonkonferenz des Deutschen Wetterdienstes (DWD) am Freitagmorgen dauerte nicht lange: Der Messwert 42,6 Grad vom Donnerstag in Lingen war regulär, er geht in die Geschichte ein. Die Abstimmung war ein Routineprozess, sagt DWD-Sprecher Andreas Friedrich. Er war aber mit Spannung erwartet worden. Der Standort macht Probleme und kann nicht dauerhaft Messstelle sein.

Was ist das Problem?

Kein Experte zweifelt, dass die Werte aus Lingen stimmen. In Fachkreisen wird aber diskutiert, ob der Standort noch den Anforderungen an das Messstationsnetz des DWD genügt. Der Diplom-Meteorologe Michael Theusner, der die Werte analysiert hat, sagt: "Der DWD liefert einen unnötigen Angriffspunkt in einer Lage, die eindeutig ist: Wir hatten am Donnerstag 25 Stationen, an denen über 40 Grad gemessen wurden. In allen Jahren vorher war das an acht Stationen passiert." Der fragwürdige Spitzenwert in Lingen habe den DWD in eine missliche Situation gebracht. "Der DWD weiß lange um Probleme dort. Wenn man den gemessenen Wert aber nicht anerkannt hätte, hätten Leugner des Klimawandels das auch genutzt, um gegen alle Wissenschaft Zweifel zu säen."

Was hat der DWD beraten?

Die Teilnehmer der kleinen Runde hatten die Protokolle aus Lingen vor sich liegen. "Es ging nur darum, ob es Zweifel an der Korrektheit der Messung gibt", so DWD-Sprecher Friedrich. Die Temperatur wird in kleinen metallischen Gehäusen von zwei elektronischen Temperaturfühlern gemessen. Weichen die Werte leicht voneinander ab, wird der niedrigere genommen. Weichen sie stärker voneinander ab, wird detaillierter geprüft. In Lingen zeigte ein Fühler sogar 42,7 Grad. Geprüft wurde auch, ob der Belüftungsventilator ordnungsgemäß lief – keine Beanstandung. Bei der Messung lief also alles korrekt.

Was prüfte der DWD am Freitag nicht?

Manche Experten kritisieren den Standort Lingen grundsätzlich – das lässt der DWD außen vor. Jörg Kachelmann hatte schon 2018 auf t-online.de die Aussagekraft aus Lingen angezweifelt und legte jetzt auf Twitter nach: "Es gibt keine vergleichbare Station, die in einer solchen undurchlüfteten Kuhle liegt." Wetterdienst-Sprecher Andreas Friedrich weist das zurück: Die Station, die nahe unweit des Kanals zwischen Fußballplatz und einem Schwimmbad mit Freibad liegt, entspreche den Normen der Weltorganisation für Meteorologie (WMO), im Mai sei das erst validiert worden. Fotos vermittelten einen völlig falschen Eindruck, von einer Kuhle könne keine Rede sein.

Wie begründet sind die Zweifel?

Den Standort gibt es schon lange, die Kritik ist aber vergleichsweise neu. Diplom-Meteorologe Michael Theusner liefert eine Auswertung von DWD-Daten, die die Kritik erklärt und die t-online.de einsehen konnte. Vereinfacht erklärt: Der Monatsdurchschnitt der Tageshöchstwerte weicht seit 2010 in Lingen immer stärker nach oben ab vom Durchschnitt der Höchstwerte von Niedersachsen. Auch die Tiefstwerte entfernen sich vom Durchschnitt – aber in die andere Richtung. Extreme zeigen sich in Lingen also mit jedem Jahr stärker als an allen anderen Standorten. Weil es keinen Extra-Klimawandel in Lingen gibt, muss es am Standort liegen.

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Wie erklärt sich das?

In Wetterforen ist anschaulich von einem "Garteneffekt" die Rede. Theusner: "Angrenzende Bäume sind gewachsen, der Standort wird immer stärker abgeschirmt. Damit findet kaum Zirkulation statt. Hitze kann dort stehen." Das könne ein Grad ausgemacht haben, so der Diplom-Meteorologe. Jörg Kachelmann schrieb sogar von drei Grad. Der Deutsche Wetterdienst bestätigt zwar Probleme mit dem Umgebungsbewuchs. "Langsam kritisch" werde es nach den maßgeblichen Richtlinien der Weltorganisation für Meteorologie für die Wind- und Strahlungsmessung, so Friedrich. Dabei geht es vor allem um Abstände zu Hindernissen. Er sagt aber, dass dies nach Ansicht von DWD-Fachleuten keinen signifikanten Einfluss auf die Frage der Temperaturmessung hat. "Wenn da Irregularitäten festgestellt worden wären, würden unsere Klimatologen da nicht mitspielen."

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Also ändert der DWD nichts?

Doch, seit Jahren ist eine Verlegung geplant, sie stand auch schon für 2016 im Raum. Im vergangenen Jahr hieß es im Stadtrat Lingen, Baubeginn am neuen Standort im Stadtteil Baccum sei in diesem Jahr. Das ist auch nicht mehr zu schaffen. Das Landesamt für Bau und Liegenschaft hat die Planungen abgeschlossen, sagte eine Sprecherin. Der Auftrag ist aber noch nicht vergeben. Danach dauert es bis zum Baubeginn noch mindestens ein halbes Jahr. Entsprechend könnte die bestehende Station auch im Sommer 2020 noch Werte liefern.

War es jetzt doch nicht so warm?

Doch, natürlich. Kein Experte zweifelt an der gemessenen Temperatur der Station in Lingen. Sie war auch nicht der heißeste Fleck in Deutschland. "Auf dem Marktplatz in Lingen, wo die Fernsehteams standen, waren es beispielsweise wahrscheinlich 44, 45 Grad", sagt DWD-Sprecher Friedrich. Es geht um die Statistik der Welt-Wetter-Organisation. In Deutschland gibt es auch Stadtklimastationen, die mit vergleichbarer Messtechnik auch höhere Werte liefern.

Diese Messwerte sind dann auch korrekt – aber sie gehen nicht in die Statistik ein, weil sie für zu kleine Räume gültig sind und als nicht repräsentativ gelten. Sie können nicht die Regularien erfüllen, die die WMO für Standorte aufgestellt hat. "Aber das sind natürlich die Bedingungen, mit denen dann sehr viele Menschen leben müssen", so Friedrich. Messstation bilden also tendenziell die Situationen in aufgelockerten Vororten und auf dem Land ab.

Was würde eine Aberkennung des Werts aus Lingen bedeuten?

In Wetterforen wird die aussichtslose Forderung zum Teil diskutiert. Wenn Lingen nicht zählen würde, wären Duisburg-Baerl und Tönisvorst mit 41,2 Grad neue Rekordhalter geworden. Auch diese Werte sind deutliche Anzeichen der dramatischen Klimaveränderung. In Tönisvorst wurden am Freitag am dritten Tag in Folge mehr als 40 Grad gemessen. Auch das gab es in Deutschland noch nie.

Verwendete Quellen
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