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Prozess gegen Anders Breivik: Der Mann im Hintergrund


Justiz
Der Mann im Hintergrund

Von Gerald Traufetter

Aktualisiert am 20.04.2012Lesedauer: 4 Min.
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Kommissar Löken und Breivik beim Ortstermin auf auf der Insel UtoyaVergrößern des Bildes
Kommissar Löken und Breivik beim Ortstermin auf auf der Insel Utoya (Quelle: danapress)

Es gibt nicht viele Bilder von ihm. Eines zeigt ihn mit seinem Markenzeichen, einer wollenen Schlägermütze. Die Bilder stammen von einem denkwürdigen Tag für Norwegen, dem 13. August. Es war der Tag, an dem der Massenmörder Anders Breivik zurückkam an den Tatort: Utoya. Der Mann mit der Schlägermütze wich ihm nicht von der Seite, den ganzen Tag lang.

Geir Egil Loken trug ein Holzfällerhemd und eine kugelsichere Weste. Der Attentäter trug ein Bergsteigergeschirr - ein Seil sicherte ihn, während er den Polizisten zeigte, wie er auf der kleinen Insel 69 Menschen erschossen hatte.

Über 200 Stunden Verhör

Seit den Anschlägen am 22. Juli 2011 ist Loken fast wie ein Schatten Breiviks: Der 39-jährige Kriminalkommissar verhörte den Delinquenten 220 Stunden lang. Und er kennt sich wie kein anderer aus in den rund 55.000 Seiten Ermittlungsmaterial, das die Polizei zusammengetragen hat.

Genau das macht ihn zu einer Art grauen Eminenz im Prozess gegen Breivik. Loken ist der Mann im Hintergrund, diskret und effektiv. Gemeinsam mit drei Kollegen sitzt er in einem Raum direkt neben dem Gerichtssaal 250 und verfolgt über Monitore, was Breivik sagt. Er ist es, der die Staatsanwälte sofort informiert, wenn er einen Widerspruch zwischen Breiviks Aussagen in den Hunderten Stunden Verhör und im Zeugenstand bemerkt.

Alle Aussagen im Computer erfasst

Loken hatte auch am Donnerstag eine Menge zu tun. Direkt nach der Mittagspause etwa, als Ankläger Svein Holden im Kreuzverhör von Breivik etwas über die perverse Logik erfahren wollte, mit der er seine beiden Attentatsziele ausgewählt hat. "Utoya war das attraktivste Ziel für mich während der Ferienzeit", sagte der Terrorist mit vollkommen gefühlloser Miene. Es hätten sich jede Menge "Kategorie-A-Verräter" dort aufgehalten - mit diesem Begriff beschreibt Breivik in seinem menschenverachtenden Kategoriensystem jene, die zur Führungsschicht der Arbeiterpartei zählen.

Holden fährt ihm ins Wort: In einem seiner Verhöre habe er die Jungendlichen auf Utoya nur als Kategorie-C-Ziele klassifiziert. In einem Nebensatz fügte der hagere Ankläger hinzu: "Ich habe da jemanden, der mir die passende Quelle heraussucht." Da war das Signal für Loken. "Wir haben alle Dokumente in einem eigenen elektronischen Computersystem", erklärt Lokens Kollege Kenneth Wilberg im Gespräch mit Spiegel Online. "Ausgedruckt sind das 120 Aktenordner mit jeweils 500 Seiten."

Loken wurde fündig. Ein paar Minuten nach der Frage des Staatsanwaltes an Breivik, ob er überhaupt legitimiert gewesen sei, Kategorie-C-Ziele zu töten, konnte er der Richterin das Aktenzeichen des Breivik-Zitats präsentieren.

Erzieher, Krankenpfleger, Polizist

Loken ist einem Polizei-Ermittler behilflich, der gleich neben den beiden Anklägern hinter dem Pult sitzt. Er hat einen Computer mit Datenleitung zum Hinterzimmer, in dem Loken sitzt. Am Mittwoch war Loken einmal kurz in einer Pause zum Pult von Staatsanwältin Inga Bejer Engh geeilt, er plauderte mit der Anklägerin. Man sieht ihm den Stress des Verfahrens nicht an.

Der 39-jährige Kommissar hat die Frische eines Naturburschen. Er stammt aus Bjørhovde, einer kleinen Stadt im Westen des Landes unweit des Sognefjordes. "Er ist kein gewöhnlicher Polizist", sagt ein Kollege über ihn. Vielleicht liegt das daran, dass der unverheiratete Loken zunächst als Kindergärtner arbeitete und dann als Pfleger in einer psychiatrischen Einrichtung, ehe er Polizist wurde.

Auch danach verlief seine Karriere zunächst gar nicht steil: Vier Jahre lang patrouillierte er als Streifenpolizist durch die Straßen von Bergen, ging dann nach Oslo und diente im Jahre 2006 als Uno-Polizist im Kosovo.

"Ein bisschen wie Columbo"

An einem Punkt seiner Karriere dann fiel sein außergewöhnliches Verhörgeschick auf. "Er hat seine ganz eigene Art, Leute aufzuschließen, er ist ein bisschen wie Columbo", sagte ein Kollege der Zeitung "VG".

Auf Breivik angesetzt zu werden, verdankt Loken vermutlich seinen Verdiensten, die er sich als Ermittler in der Abteilung für organisierte Kriminalität erworben hat - unter anderem in einem spektakulären Verfahren gegen einen Drogenhändler-Ring.

Tragischerweise kam ihm Breivik erst nach seinem Massenmord ins Visier und nicht in den Jahren zuvor, als sich der Attentäter mit Kreditkartenbetrug und Konkursen finanziell über Wasser hielt.

Perfekte Zusammenarbeit im Gericht

Am Donnerstag wachte Loken über besonders traurige Details: Breiviks diverse Tötungspläne. Seine ursprüngliche Absicht sei der Bau von drei Autobomben gewesen, einschließlich einer "Erschießungsoperation" auf einem Motorroller, deren ultimatives Ziel nach Angaben Breiviks seine eigene Erschießung war. Die von Løken und seinen Kollegen sichergestellten Mengen von Kunstdünger deuten darauf hin, dass tatsächlich mehr als eine Bombe geplant war.

Breivik schilderte die Nacht vor dem 22. Juli, als er mit dem Wagen und der darin versteckten Bombe zum Haus seiner Mutter fuhr und parkte. "Es war sehr spät geworden", sagte Breivik, und Staatsanwalt Holden erwiderte nur, dass er das genau abklären will. Wieder war Spezialagent Loken im Einsatz. Auf Holdens Monitor erschien die passende Information. "Das GPS-System im Auto", zitierte Holden das Memo aus den Untersuchungsakten, "zeigte 23.33 Uhr."

Szenen wie diese sind es, die dokumentieren, wie reibungslos dieser Prozess bislang ablief. Das beginnt mit der Betreuung der vielen hundert Journalisten, deren Sicherheitschecks kaum Wartezeiten verursachen. Es sind aber auch die Abläufe im Gericht, souverän gesteuert von Richterin Wenche Arntzen.

Breivik wird en Detail demontiert

Die Arbeit aller Beteiligten verhindert, dass der Gerichtssaal eine Bühne für Breivik wird. Stattdessen ist dank der akribischen Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft zu beobachten, wie Breiviks krudes Weltbild, seine großspurigen Pläne und seine nachträglichen Verklärungsversuche demontiert werden.

Am Freitag werden die Staatsanwälte noch mehr als sonst angewiesen sein auf Sonderermittler Loken: Dann wollen sie mit Breivik durch die grauenhaften Einzelheiten seines 72-minütigen Tötungslaufes auf Utøya gehen.

Loken hat ihn damals, beim Ermittlungstermin auf der Insel am 13. August, beobachtet, wie er die Arme in die Luft hob, als würde er noch einmal anlegen und abdrücken. Die Fotos von diesem Tag haben die Norweger schockiert. Das wird auch morgen der Fall sein. Und dennoch muss das Kreuzverhör sein. "Denn", so hieß es im Polizeipräsidium von Oslo während der Ermittlungen zu Spiegel Online: "Der beste Zeuge ist der Täter selbst."

Mitarbeit: Espen A. Eik

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