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Chemiewaffen: Der stille Tod in der Lüneburger Heide


Chemiewaffen-Gefahr
Der stille Tod in der Lüneburger Heide

dpa, Peer Körner

28.03.2017Lesedauer: 4 Min.
In der Lüneburger Heide lauert die Gefahr von C-Waffen aus den beiden Weltkriegen.Vergrößern des BildesIn der Lüneburger Heide lauert die Gefahr von C-Waffen aus den beiden Weltkriegen. (Quelle: dpa-bilder)
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Umweltverschmutzung mit schrecklichen Folgen: In der Lüneburger Heide wurden schon im Ersten Weltkrieg chemische Waffen produziert. Später lagerte dort auch die Wehrmacht die tödlichen Stoffe. Die Altlasten verseuchen bis heute Boden und Grundwasser.

Die zwitschernden Vögel im Kiefernwald lassen sich vom Donnern der Panzergeschütze auf dem Truppenübungsplatz in der Nähe nicht stören. Nur eine kleine Senke verrät, wo einst der Dethlinger Teich war. Längst wachsen Bäume auf der nach dem Zweiten Weltkrieg zugeschütteten Fläche nahe Munster, einer Kleinstadt in der Lüneburger Heide.

Eigentlich ist es ganz schön hier an diesem Frühlingsmorgen. Doch Carsten Bubke sagt: "Das könnte eine der größten Altlasten chemischer Kampfstoffe in Deutschland sein." Der 50-Jährige ist Umwelttechniker des Heidekreises und Experte für Sprengstoffe. "Wir haben Abbauprodukte von Lost, also Senfgas, gefunden." Auch Spuren von Arsen haben die Spezialisten nachgewiesen.

Alles landete im Teich

"Das ist eine Hinterlassenschaft der Luftwaffenmunitionsanstalt der Wehrmacht in Oerrel", erklärt Bubke, der die Arbeiten beaufsichtigt. In Oerrel - einem Ortsteil von Munster - seien chemische Waffen produziert, abgefüllt und gelagert worden.

Nach der Kapitulation 1945 kamen die Briten in die Lüneburger Heide, die Anlage wurde mitsamt den brisanten Munitionsvorräten kampflos übergeben. "Die Briten haben die Reste zum großen Teil abtransportiert, darunter wohl auch Munition aus den besetzten Ländern", sagt Bubke. "Alles, was sie nicht für transportfähig hielten, landete im Teich."

Anschließend entsorgte auch der niedersächsische Kampfmittelbeseitigungsdienst dort seine Funde. Als Anwohner danach fischten, um die wertvollen Metalle zu Geld zu machen, schoben die Behörden 1952 einen Riegel vor. "Man hat den Teich mit Bunkerschrott gesichert - sprich: Man hat ihn zugekippt", sagt Bubke.

"Wir wissen nicht genau was drin ist"

In seinem Bauwagen hängt eine Karte, 20 Kreuze markieren die neuen Probebohrungen. Ein Luftbild von 1946 zeigt ein kreisrundes Gewässer von rund 60 Metern Durchmesser. "Unser Hauptproblem ist: Wir wissen nicht genau was drin ist", sagt Bubke über die Hinterlassenschaften. "Jetzt geht es nur um die Frage, ob wir eine Probeöffnung machen können." Notfalls muss alles da bleiben, wo es ist. Was auch immer aus der Munition wird - es wird Jahre dauern und viel Geld kosten.

Weil für derartige Funde zunächst die jeweils betroffene Kommune zuständig ist, machen sich die Verantwortlichen im Heidekreis Gedanken. Die bisherigen Untersuchungen hat das Land Niedersachsen aus einem allgemeinen Fördertopf für Altlasten gefördert. Bis 2020 hat das Land dafür im Februar eine Gesamtförderung von bis zu zwei Millionen für die Teichöffnung und die Untersuchungen des Grundwassers zugesichert.

Hunderte Tonnen

"Die ehemaligen Bestände sind nicht dokumentiert", sagt Friedrich-Wilhelm Otte von der Unteren Wasserbehörde des Kreises. "Nach Informationen aus der Nachkriegszeit gehen wir von mehreren Hundert Tonnen chemischer Kampfstoffmunition aus", so Otte weiter. "Darunter befinden sich so gefährliche Substanzen wie der Hautkampfstoff Lost und Phosgen, das unter anderem die Lunge zerstört."

Zunächst sollen bei einer Öffnung des Teiches probeweise rund 80 Kubikmeter entnommen werden. "Wenn eine Gefahr für Leib und Leben nachgewiesen werden kann, muss der Bund als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches die Kosten tragen", erklärt Otte. "Wir gehen zur Zeit von Gesamtkosten von bis zu 50 Millionen Euro bei einer Sanierung aus, viele Faktoren sind aber noch ungewiss", warnt er. "Ohne die Hilfe des Bundes ist es nicht zu schaffen."

Grundwasser verseucht

Nur wenige Kilometer weiter nördlich gibt es ein weiteres gewaltiges Problem mit militärischen Altlasten. Dort wurden am früheren Gasplatz Breloh - ebenfalls ein Ortsteil von Munster - schon im Ersten Weltkrieg chemische Waffen wie Giftgas produziert. Bei einer Explosion wurden 1919 weite Bereiche verseucht. "Wir haben dort einen massiven Grundwasserschaden, der Schaden wird seit 1999 durch den Bund saniert", sagt Otte.

Am Ort der Katastrophe von 1919 stehen deshalb die Anlagen der Gesellschaft zur Entsorgung von chemischen Kampfstoffen und Rüstungsaltlasten. Die bundeseigene Geka ist das derzeit einzige deutsche Unternehmen mit der Berechtigung zur systematischen Vernichtung von Chemiewaffen. Sie reinigt jedes Jahr rund 5000 Tonnen des kontaminierten Erdbodens und entsorgt auch andere Altlasten aus dem Bundesgebiet, eine Mammutaufgabe. Überall wurde nach dem Krieg verbuddelt, versenkt - auch im Meer - oder schlicht weggeworfen. Sollte die giftige Fracht aus dem Dethlinger Teich geborgen werden können, so wäre es nicht weit zu den Öfen der Geka.

Viele Altlasten

Belastete Böden sind ein bundesweites Problem. Allein in Niedersachsen gibt es rund 100 000 betroffene Flächen, hat der "Weser-Kurier" unter Berufung auf das Umweltministerium in Hannover berichtet. Dazu gehören aber nicht nur militärische Altlasten, sondern auch frühere Standorte etwa von Tankstellen und chemischen Reinigungen. In ganz Deutschland gibt es nach Angaben des Umweltbundesamts auf Basis von Zahlen der Länder rund 260 000 "altlastverdächtige Flächen". Die Kriterien sind allerdings unterschiedlich, die Zahlen sind nicht alle auf dem gleichen Stand. Nur bei etwa 32 000 Flächen ist die Sanierung abgeschlossen.

Draußen im Wald unweit des Dörfchens Dethlingen stehen drei Brunnenbauer an einem gelben Raupenfahrzeug mit einem gewaltigen Bohrer am Rand der kleinen Senke. "Anfang April beginnen die Messungen", sagt Bubke. "Dann wissen wir, wie es weitergeht."

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