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Talk bei Maybrit Illner: Dieter Wedel und die Aura der sexualisierten Gewalt


Talk bei Maybrit Illner
Wedel und die Aura der sexualisierten Gewalt

Meinungt-online, Marc L. Merten

Aktualisiert am 02.02.2018Lesedauer: 4 Min.
Dem Regisseur und damalige Festspiel-Intendant Dieter Wedel wird mehrfach sexuelle Gewalt vorgeworfen.Vergrößern des BildesDem Regisseur und damaligen Festspiel-Intendanten Dieter Wedel wird mehrfach sexualisierte Gewalt vorgeworfen. (Quelle: dpa-bilder)
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Dieter Wedel, Harvey Weinstein, #Aufschrei: Frauen auf der ganzen Welt klagen an, Opfer von sexualisierter Gewalt geworden zu sein. Maybrit Illner lud zum Talk, der bewies: Moralisch sind sich alle einig, rechtlich wird es schnell schwierig und die Öffentlichkeit als Gerichtssaal hilft nicht immer weiter.

Von Marc L. Merten.

Die Gäste

- Anne Wizorek, #Aufschrei-Initiatorin
- Svenja Flaßpöhler, Philosophin
- Patricia Thielemann, ehemalige Schauspielerin
- Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur "Die Zeit"
- Benjamin Benedict, Filmproduzent
- Thomas Bellut, ZDF-Intendant

Das Thema

Anfang des Jahres berichtete "Die Zeit", der Regisseur Dieter Wedel habe Frauen missbraucht. "Wir haben sieben Fälle dokumentiert und recherchiert, haben bis heute insgesamt 22 Fälle ausfindig gemacht und mit 160 Menschen gesprochen", sagte Giovanni di Lorenzo. Erst nach mehreren Monaten habe das Medium entschieden, die Verdachtsberichterstattung zu veröffentlichen. "Dieser Vorwurf der Vergewaltigung ist einer der schlimmsten, die man erheben kann", sagte di Lorenzo. Deswegen habe man so lange gewartet. Dieter Wedel bestreitet die Vorwürfe. Womit die Probleme in der Diskussion begannen.

Die Fronten

Di Lorenzo brachte eines der Kernprobleme der gesamten Diskussion auf den Punkt: "Beim Missbrauch selbst ist niemand sonst dabei." Aussage gegen Aussage, in dieser Situation haben sich schon viele Frauen befunden, die Opfer sexualisierter Gewalt wurden. Allerdings auch Männer, die Opfer von Rufmordkampagnen wurden, wie einst Jörg Kachelmann. Gesetze, die ein ausgesprochenes "Ja" vor einem sexuellen Akt vorschreiben, helfen da wenig. Denn auch dafür gäbe es schließlich keine Zeugen. Andererseits brachte der Fall Dieter Wedel die Frage auf, ab wann solche Vorwürfe glaubhaft werden. "Ich weiß nicht, warum es noch jemanden geben könnte, der das nicht glaubt. Ich habe keinen Grund, diesen Frauen nicht zu glauben“, sagte stellvertretend Anne Wizorek. Doch es sollte am Donnerstagabend ja um mehr gehen, um die gesellschaftlichen Folgen dieses Falles. Da fragte die Philosophin Svenja Flaßpöhler: "Wie exemplarisch sind diese Fälle, die vor 20 Jahren passiert sind, für unsere heutige Gesellschaft?" Jedenfalls so exemplarisch, dass einige Gemeinsamkeiten bis in die heutige Zeit problemlos festgestellt werden konnten. Patricia Thielemann, nach eigener Aussage ein Opfer Wedels, erklärte: "Dadurch, dass es ans Licht kommt, ändert sich etwas in unserer Gesellschaft." Aber was?

Begriff des Abends

Eine zentrale Frage des Abends lautete, warum angeblich so viele von Wedels Vergehen gewusst haben sollen, doch niemand etwas gesagt habe. Die Frauen selbst fürchteten um ihre Karrieren, wenn sie gegen den Star der Regisseurszene aussagten. Dieser wehrte sich offenbar schon damals aktiv mit aggressiven Anwaltsschreiben. Entstand so ein "Schweigekartell"? Benjamin Benedict sagte jedenfalls, er habe nichts gewusst. Der 45-Jährige gehört jedoch bereits der nächsten Generation an, mochte also unter Umständen nichts mitbekommen haben. Er sagte, den "Genie-Kult", der Wedel umgeben habe, gebe es heute generell nicht mehr. Das ist zwar kaum vorstellbar, wenn man bedenkt, auf welche Säulen die modernen Helden der Unterhaltungsbranche auch heute noch gestellt werden, über wie viel Macht einzelne Wenige verfügen. Doch dass heute plötzlich diverse Menschen doch davon gewusst haben wollen, nannte Illner ein Phänomen nach dem Motto "Heldentum nach Ladenschluss". ZDF-Intendant Thomas Bellut bestätigte, dass Wedel einst die "Aura des Erfolgs" umweht habe. Nun mache es "die Fülle der Berichterstattung für uns zwingend erforderlich, herauszufinden, was da passiert ist".

Moderatoren-Frage des Abends

Die Aufarbeitung ist also bereits (oder noch) im Gange, doch die Verurteilung hat schon längst begonnen. Wedel wird wohl künftig nicht mehr die Aura des Erfolgs, sondern die Aura der sexualisierten Gewalt umgeben. Auch, wenn Illner in die Zukunft blickte und sagte, dass eine richterliche Verurteilung wohl kaum realistisch sei. "Fürchten Sie, dass der öffentliche Raum zu einem Gerichtsaal wird?" Diese Frage ist nicht neu, sie ist uralt. Doch sie wird immer aktueller, je interaktiver (und lauter) die Medienwelt und ihre Rezipienten werden.
Was passiert dadurch eigentlich mit dem Bild der Frau? Darüber stritten Flaßpöhler und Wizorek in einer hitzigen Debatte. Die Philosophin warnte davor, dass die #MeToo-Bewegung die Frau "in eine infantile Rolle" dränge, weil das Bild entstünde, Frauen könnten sich nicht wehren und der Terminus "ich auch" zu unspezifisch wäre, weil alle Arten sexualisierter Gewalt und Belästigung in einen Topf geworfen würden. Wizorek hielt dagegen, man müsse "alles ansprechen, auch das, was schon vor der Straftat passiert“. Flaßpöhler wiederum sagte, dadurch würde wieder "ein passives Frauenbild reaktiviert“, in dem es nur um den Willen und die Macht der Männer gehe, aber nicht um die Macht der Frau, über sich selbst zu entscheiden.

Was offen bleibt

Schließlich war es Illner, die diesen Konflikt mit einer Frage weiterbrachte. "Ist ein Fall wie Wedel heute noch denkbar?“ Obwohl es zum Anfang hieß, es seien Fälle, die vor teils über zwei Jahrzehnten geschehen seien, musste Bellut einräumen: "Ich wollte, ich könnte es verneinen. Aber wer Macht hat, hat eine Druckposition.“ Der Intendant gab zu, dass es auch zuletzt im ZDF Fälle von sexueller Belästigung und Gewalt gegeben habe, man diese Fälle ohne Öffentlichkeit geklärt habe, entweder durch Abmahnungen, Entlassungen oder Anzeigen. Es gehe auch um den Täterschutz, aber letztlich um die Frage, welche Maßnahmen man ergreifen könne, um Frauen eine bessere Handhabe zu geben. Thielemann sagte: "Jeder, der klar im Kopf ist, kennt die Linie zwischen Anmache und Belästigung.“ Doch mit einer solch einfachen Feststellung ist es offenbar nicht getan. Schon gar nicht im Arbeitsumfeld, wie di Lorenzo betonte. "Die meisten Menschen lernen sich am Arbeitsplatz kennen“, sagte der "Zeit"-Chef. "Das muss völlig okay bleiben. Die Grenzen müssen klar sein. Aber man darf sich als Mann nicht fürchten, alleine mit einer Frau in einem Aufzug zu fahren und anschließend mit Rufmord gezeichnet zu werden." Ein Thema, in dem sich die meisten Deutschen moralisch einig sein dürften, ist also für die Betroffenen längst nicht so einfach zu lösen.

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