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Stiller Held des D-Day: Alan Turing entschlüsselte die Nazis


Das Mathegenie, das die Nazis entschlüsselte

dpa, Von Christoph Bock

Aktualisiert am 06.06.2014Lesedauer: 4 Min.
Im Museum: Alan Turing und die deutsche Verschlüsselungsmaschine EnigmaVergrößern des BildesIm Museum: ein Denkmal des genialen, aber eigenbrötlerischen Alan Turing, der die deutsche Verschlüsselungsmaschine Enigma knackte. Am Freitagabend (6. Juni) würdigt ihn der TV-Sender Arte (Quelle: dpa-bilder)
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Er sah schon in den 1940ern die künstliche Intelligenz kommen und wurde als Spinner abgetan. Er entwickelte IT-Technik, die den D-Day ermöglichte und den Zweiten Weltkrieg um zwei Jahre verkürzte. Und doch starb Alan Turing aus Wilmslow, Großbritannien einsam.

Er ist der Stammvater der Nerds: Alan Turing (1912 bis 1954) war einsamer Vordenker der modernen Computertechnik und ein stiller Held des Zweiten Weltkriegs. Das Leben des schwulen Einzelgängers, der seiner Zeit um Jahrzehnte voraus war, endete mit einem Sittenskandal, Zwangskastration, Selbstmord.

Der wohl von ihm selbst vergiftete und dann angebissene Apfel auf dem Nachttisch soll das Apple-Logo inspiriert haben, heißt es. Näher wurde sein Tod nie aufgeklärt.

Historiker meinen, dass Turings geniale Leistungen beim Entschlüsseln von Wehrmachts-Nachrichten den Zweiten Weltkrieg um vielleicht zwei Jahre verkürzt haben. Am Freitag - dem 70. Jahrestag der alliierten Landung in der Normandie und 60 Jahre nach seinem Todestag am 7. Juni 1954 - sendet der TV-Sender Arte um 21.10 Uhr die Doku "Wie ein Mathegenie Hitler knackte" - eine Hommage an den großen Briten, der erst 2013 offiziell von der Queen rehabilitiert wurde.

Einzelgänger mit eigenen Sätzen

Turing ist schon als Cambridge-Student Einzelgänger. Er meidet es sogar, auf Schriften anderer aufzubauen, wenn er Probleme zu lösen hatte. Sein Blick auf Menschen ist sehr eigen: "Ich sehe die Menschen als ein rosafarbenes Gebilde mit charakteristischen Daten." Die Vorstellung von Körper und Geist als Maschine zieht sich durch seine Karriere. Das Erfinden geheimer Codes wird zu seinem Hobby.

"Turing war äußerst vielseitig und hat in verschiedenen Bereichen Großes geleistet", urteilt Philosoph Jack Copeland von der Universität Canterbury in Neuseeland. "Er war Mathematiker, dann Code-Knacker, dann Pionier der Computertechnologie, der sich schließlich der theoretischen Biologie zuwandte." Nur wenige Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts könnten eine so große Bandbreite vorweisen.

Bestimmend für Turings Leben wird 1939 seine Einberufung in den Kampf gegen Nazi-Deutschland. Einen Tag nach dem Kriegseintritt Großbritanniens wird er nach Bletchley Park gerufen, einem hochgeheimen Treffpunkt der Geisteselite im Dienst der Streitkräfte.

Die Bombe gegen Enigma

Unter den 30 Experten sind Archäologen, Linguisten, Schachmeister, sogar Spezialisten für Kreuzworträtsel, aber nur zwei Mathematiker. Britische Behörden sehen in dem Problem der Entschlüsselung der berühmten deutschen Enigma-Chiffriermaschine offenbar eher ein literarisches als ein mathematisches Problem, wie Doku-Filmer Denis van Waerebeke anmerkt.

Turing meidet auch hier den Kontakt zu anderen. Er trägt im Sommer eine Gasmaske gegen den Heuschnupfen. Er geht wie besessen joggen. Das verschrobene Genie macht aber bahnbrechende Erfindungen, darunter die sogenannte Turing-Bombe, mit der die Briten tausende verschlüsselte Nachrichten des nationalsozialistischen Deutschlands knackt. Bombe heißt die Maschine wegen ihres charakteristischen Tickens.

In großer Stückzahl testen die Maschinen systematisch alle Möglichkeiten durch, die richtige Lösung zu finden. Bis zu 9000 Menschen sind am Projekt Entschlüsselung beteiligt. "Ich gehe davon aus, dass die Turing-Bombe der erste Schritt zu dem war, was wir heute künstliche Intelligenz nennen", sagt Copeland.

Der größte Bluff aller Zeiten

Turings Technik hilft den Alliierten maßgeblich, die Position deutscher U-Boote zu orten und die Attacken der Deutschen auf den Nachschub vorherzusehen. "Die Atlantikschlacht wurde natürlich nicht nur deswegen gewonnen, aber die Entschlüsselung war ein ausschlaggebendes Element", sagt Historiker Francois-Emmanuel Brézet.

Das Meisterstück der Techniker: Sie helfen mit beim sogenannten D-Day. Dass Alan Turing die deutschen Kommunikations-Codes der Enigma dechiffriert hatte, ist 1944 auch maßgeblich für das Gelingen des größten militärischen Bluffs aller Zeiten. Durch Vorspiegelung einer geplanten Invasion weiter östlich nahe Calais mit Soldaten aus Pappe und Panzern aus Holz schwächen die Alliierten Hitlers Truppenstärke.

Doch Turing wird nicht als Held gefeiert, stattdessen gilt er inzwischen als Risiko. Schlimmer fast: Das Genie, das heute zu den größten Logikern und Theoretikern des 20. Jahrhunderts gezählt wird, wird seinerzeit chronisch unterschätzt. 1945 zeichnet Turing Pläne, aus denen der erste moderne Computer hätte werden können - wenn das National Physical Laboratory ihm die nötigen Mittel bewilligt hätte.

"Zeitverschwendung", "Schülerniveau"

1948 kündigt er Jahrzehnte im Voraus die Entwicklung der künstlichen Intelligenz und der neuronalen Netze an. Sein Direktor tut diese Überlegungen als "Arbeit auf Schülerniveau" ab. 1950 schreibt er eines der ersten Computerprogramme und das erste Schachprogramm. "Zeitverschwendung", rümpfen seine Kollegen die Nase.

Nach einer Affäre mit einem Mann wird Turing 1952 wegen Verstoßes gegen gute Sitten verurteilt. Chemische Kastration durch weibliche Hormone rettet ihn vor dem Gefängnis. Am 7. Juni 1954 wird Turing tot in seinem Schlafzimmer gefunden - er hatte sich vergiftet.

Von ihm bleiben bemerkenswerte Sätze wie: "Wenn wir davon ausgehen, dass ein Gehirn beim Tier und vor allem beim Menschen im Grunde genommen nichts anderes ist als eine Maschine, dann müssen wir daraus folgern, dass ein Computer, der richtig programmiert ist, genau wie ein Gehirn funktioniert."

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