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Wendepunkt im Vietnamkrieg: Dieses Foto schockierte vor 50 Jahren die Welt


Dieses Foto schockierte vor 50 Jahren die Welt

dpa, Christoph Sator

Aktualisiert am 01.02.2018Lesedauer: 4 Min.
General Nguyen Ngoc Loan erschießt im Jahr 1968 Nguyen Van Lem: Der Guerilla-Kämpfer soll an der Ermordung zahlreicher Menschen beteiligt gewesen sein.Vergrößern des BildesGeneral Nguyen Ngoc Loan erschießt im Jahr 1968 Nguyen Van Lem: Der Guerilla-Kämpfer soll an der Ermordung zahlreicher Menschen beteiligt gewesen sein. (Quelle: Eddie Adams/ap-bilder)
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Die Berichterstattung über den Krieg gilt als mitentscheidend dafür, dass sich die USA 1975 in Vietnam geschlagen gaben. Zu schockierend waren die TV-Bilder, zu brutal die Berichte. Ein Foto aus Saigon blieb besonders im Gedächtnis.

Anfangs sieht alles nach Alltag aus, irgendein Tag im Vietnamkrieg, auf den Straßen von Saigon. Ein schmächtiger Mann in kurzer Hose und kariertem Hemd, barfuß, die Hände hinter dem Rücken in Handschellen. Er wird von Soldaten durch die Stadt geführt. Von rechts kommt noch ein Mann ins Bild. Er wedelt mit einem Revolver, verschafft sich Platz. Dann stellt er sich neben den anderen, streckt den rechten Arm und schießt ihm in den Kopf. Einfach so.

Das ist der Moment, in dem der US-Fotograf Eddie Adams auch auf den Auslöser drückt. Auf diese Weise entstand vor genau 50 Jahren, am 1. Februar 1968, eines der berühmtesten Bilder der Kriegsfotografie – wie ein Mann in Zivil von einem Militär erschossen wird. Man kann auch sagen: hingerichtet. Es ist ein brutales Bild und auch ein zutiefst menschliches. Man kriegt es kaum aus dem Kopf. Viele sind der Meinung, dass es den Lauf des Krieges verändert hat.

Angebliches Mitglied einer Todesschwadron

Der Mann im Karohemd hieß Nguyen Van Lem. Er war Mitte 30, verheiratet, ein Guerilla der kommunistischen Vietcong, die in dem geteilten Land unter Ho Tschi Minh gegen Südvietnam und damit auch gegen die USA kämpften. Eigentlich hatten beide Seiten zu Vietnams Neujahrstag Tet, dem 1. Februar, eine Feuerpause vereinbart. Aber allen Zusagen zum Trotz startet Ho Tschi Minh am Tag zuvor einen Angriff, der als Tet-Offensive in die Geschichte einging.

Auch in Saigon wurde schwer gekämpft. Lem war mittendrin. Er soll, genau weiß man das bis heute nicht, einer Todesschwadron angehört haben, die es auf südvietnamesische Polizisten und ihre Familien abgesehen hatte. Angeblich wurde er an jenem Morgen in der Nähe eines Massengrabs mit 34 Leichen verhaftet. Der australische Kameramann Neil Davis berichtete später, dass Lem auch Freunde von Saigons Polizeichef Nguyen Ngoc Loan ermordet habe, auch Patenkinder von ihm.

Loan war der Mann mit dem Revolver. Ein General von 37 Jahren, ehemaliger Pilot, Studienfreund von Südvietnams Ministerpräsident. Er behauptete später, dass Lem die Familie eines seiner Offiziere getötet habe. Das passt zur Darstellung des Australiers. Ob es stimmt, wird man wohl nie erfahren. Jedenfalls drückte der General aus seiner 38er-Smith&Wesson ohne jedes Zögern ab.

Wirklich die Guten? Zweifel kommen auf

Die Szene wurde von einer Handvoll Kriegsreporter verfolgt. Manche sagen, dass Loan den Vietcong ansonsten nie erschossen hätte. Die Aufnahmen, die der Kameramann Vo Suu für den amerikanischen Fernsehsender NBC drehte, kann sich heute jeder auf YouTube anschauen. Dort ist zu sehen, wie Lem zusammenbricht, nach rechts auf die Straße sinkt und dann Blut aus seinem Kopf sickert. Loan steckt die Pistole zurück ins Holster und dreht ab.

Viel mehr Wirkung als die Fernsehbilder hatte jedoch das Foto, das Adams machte. Der Amerikaner, seinerzeit 34, war für die Nachrichtenagentur Associated Press (AP) im Einsatz, ein erfahrener Mann. Er dachte, nur ein Verhör auf offener Straße zu fotografieren. "Damals war es üblich, dass man Gefangenen dabei die Pistole an die Schläfe hält", erzählte Adams später. Es kam anders.

Das Foto hatten in den Tagen danach alle großen US-Zeitungen und auch viele Blätter im Rest der Welt auf dem Titel. Man schaut auf den General, seinen Arm, die Pistole und irgendwann dann auch ins Gesicht von Nguyen Van Lem, der gerade sein Leben verliert. Das linke Auge ist noch offen. Viele sahen sich durch das Bild in der Einschätzung bestätigt, dass die USA in Vietnam die falschen Leute unterstützten. Die amerikanische Politik geriet zunehmend in die Defensive.

Fotograf verteidigte den General

Das Bild wurde Pressefoto des Jahres. Adams bekam dafür den Pulitzer-Preis, Amerikas wichtigste Auszeichnung für Journalisten. Das Magazin "Time" nahm es auf die Liste der wichtigsten 100 Fotos aller Zeiten. Trotzdem erzählte Adams später immer wieder, dass er die Aufnahme bereue. Das Bild sei aus dem Kontext gerissen worden, nur eine "Halbwahrheit". "Der General hat den Vietcong getötet. Und ich habe mit meiner Kamera den General umgebracht."

Und manchmal stellte er auch die Frage: "Was hätten Sie getan, wenn Sie der General gewesen wären? Zu dieser Zeit und an diesem Ort? An diesem heißen Tag? Und Sie hätten diesen angeblichen Schurken gefangen, nachdem er ein, zwei oder drei amerikanische Soldaten abgeknallt hätte?" Die Frage beschäftigte ihn bis zu seinem Tod 2004.

Flucht in die USA

Loan wurde gleichfalls zur Berühmtheit. Der Kameramann von damals berichtete, wie er gleich nach der Erschießung zu den Reportern kam und sagte: "Diese Kerle bringen viele unserer Leute um. Ich denke, Buddha verzeiht mir." Auf Bildern, die etwas später entstanden, ist zu sehen, wie er Bier trinkt, raucht, lacht. Drei Monate danach wurde er schwer verwundet. Sein rechtes Bein musste amputiert werden.

Nach dem Abzug der US-Truppen aus Saigon 1975 floh der General mit seiner Familie in die Vereinigten Staaten. Es gab Forderungen, ihn als Kriegsverbrecher vor Gericht zu stellen, aber dazu kam es nie. Im US-Bundesstaat Virginia eröffnete er eine Pizzeria, die er aber wieder zumachen musste, als seine Vergangenheit bekannt wurde. 1998 starb er mit 67 Jahren an Krebs.

In Saigon, das heute Ho-Chi-Minh-Stadt heißt, erinnert kaum etwas an die Szene von damals. Über die Straße, wo es passierte, die Ly Thai To im 10. Bezirk, rollen jetzt die Mopeds dicht an dicht. Irgendeine Form des Gedenkens gibt es hier nicht. Im Kriegsmuseum der Stadt hängt Adams' Foto ziemlich versteckt in einer Vitrine – nur eines von vielen, auf denen zu sehen ist, wie der Tod über das Land kam.

Verwendete Quellen
  • dpa
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