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Verschüttet von der Lawine: "Ein bisschen Atmen ging irgendwie noch"


Verschüttet von der Lawine
"Ein bisschen Atmen ging irgendwie noch"

t-online, Das Interview führte Christian Kreutzer

04.12.2013Lesedauer: 5 Min.
"Man ist wie eingebacken" - Lawinenabgang in der Französischen SchweizVergrößern des Bildes"Man ist wie eingebacken" - Lawinenabgang in der Französischen Schweiz (Quelle: Reuters-bilder)
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Theodore Brian Berr, bekannt als „Teddy Berr“, ist wegen seiner beeindruckenden Stunts ein Star, selbst unter Freeski-Profis. Fragt man den 31-Jährigen, was selbst ihm zu gefährlich wäre, sagt er: "Da fragen Sie den Falschen." 2006 aber geriet der Extremsportler, Online-Journalist und Sport-Film-Produzent nahe Davos unter ein abrutschendes Schneebrett. Bei t-online.de berichtet er über die schlimmsten Minuten seines Lebens.

t-online.de: Herr Berr, was genau hat Sie im Frühjahr 2006 auf das Schweizer Weißfluhjoch geführt?

Berr: Wir waren schon den ganzen Winter für ein Filmprojekt unterwegs gewesen. Wir sammelten Material für einen internationalen Freeski-Filmwettbewerb, die Vast Awards.

Sie sollten da oben etwas vorführen?

Genau. Man kann sich dort vollkommen frei bewegen. Man sucht sich ein Skigebiet mit guten Wetter- und Schneebericht aus. Dann hat man praktisch freie Hand und macht das, was man als Fahrer gern zeigen möchte und was man sich zutraut. Wir waren auf etwa 2500 Metern Höhe, und es war nicht extrem lawinengefährdet. Die Lawinenwarnstufe war 3. Das ist nicht unerheblich, aber so, dass man sich schon noch traut, sich abseits zu bewegen - mit einer entsprechenden Ausrüstung, versteht sich.

Waren Sie allein?

Es waren noch Maxi Kaiser und Nicki Umlauf dabei, zwei befreundete Fahrer und außerdem ein Fotograf und ein Kameramann. Da sucht sich dann jeder Fahrer seine Abfahrt aus. Ich war relativ nah an der offiziellen Piste. Deshalb habe ich mir auch keine Sorgen gemacht, als ich durch das Schneebrett gegangen bin, dass sich dann später abgelöst hat. Meine Abfahrt war die vermeintlich ungefährlichere. In dem Moment war ich also schon allein - allerdings unter Beobachtung und in Sichtkontakt mit den anderen. Ich bin dann am Ende mitten durch den Hang gegangen, statt mich an einer Flanke zu halten, wie man es eigentlich machen soll. Ich dachte, dass es ja schon ein paar Tage nicht mehr geschneit hat.

Hat sich das, was dann passiert ist, irgendwie angekündigt?

Ich war in der Mitte des Schneebretts relativ zügig unterwegs, weil ich schnell wieder raus wollte und war auch entsprechend außer Atem. Irgendwann hat man so eine Art dumpfen Knall gehört. Der entsteht, wenn die obere Schneeschicht sich ablöst und sich auf die untere setzt. Da wurde mir gleich anders, weil ich wusste, das jetzt etwas abgeht. Drei Sekunden später hat sich das ganze Brett in Bewegung gesetzt und mich mitgenommen.

Wie weit waren Sie vom Rand des Schneebretts entfernt?

Ich war schon fast oben. Die Abrisskante war fünf bis zehn Meter über mir. Mein Hauptproblem war, dass ich die Ski nicht angeschnallt hatte. Als geübter Skifahrer hat man immerhin die Möglichkeit, Schuss zu fahren und links oder rechts auszuweichen, sobald man aus dem Lawinenkegel raus ist. Aber ich stand ohnehin bis zu den Hüften im Schnee. Da ging gar nichts. Dann habe ich meinen ABS-Ballon gezündet.

… den sogenannten Lawinen-Airbag.

Genau. Und bin dann einige Meter relativ entspannt obenauf gerutscht.

Was bewirkt dieser Airbag genau?

Man hat einen Auslösegriff am linken Gurt. Da ist eine Gaspatrone drin, die über einen Druckluftschlauch zwei große Ballons aufbläst. Die vermindern Deine Gesamtmasse im Vergleich zum Umfang und lassen einen obenauf schwimmen.

Das hat bei Ihnen aber nicht richtig funktioniert.

Zuerst schon. Aber dann wurde ich über ein kleines Felsband gespült, das vielleicht zwei Meter hoch war. Dabei habe ich mich überschlagen, sodass ich danach mit dem Gesicht nach unten im Schneebrett trieb. Dann war ich schließlich in einer Mulde und weitere Schneemassen sind über mich geströmt. Das war dann die blödeste Situation. Ich war vom Aufstieg noch außer Atem und dann auch noch von dem Schock. Ich wusste nicht, ob irgendwas von mir noch herausragt. Ich hatte es auch nicht geschafft, mit meinen Händen eine Atemhülle um mein Gesicht zu schaffen.
Der Schnee war direkt vor meinen Gesicht. Mein Mund war zugekleistert. Als ob einem jemand Mund und Nase zuhält, aber neben noch ein paar Öffnungen freilässt. Ein bisschen Atmen ging irgendwie noch. Ich habe ein paar Befreiungsversuche mit voller Kraft gemacht, aber nach zehn Sekunden war klar, dass ich mich keinen Zentimeter bewegen konnte. Man ist wie eingebacken.

Sie steckten mit dem Kopf nach unten fest?

Mit dem Kopf talwärts und einen Meter tief unter dem Schnee, wie sich später herausgestellt hat. Der Rucksack mit dem ABS hing mir irgendwie an den Achseln. Ich hatte ihn aus Eitelkeit nicht richtig festgemacht. Aber ohne ihn hätte ich womöglich zwei Meter tiefer gelegen. Ich habe versucht zu schreien. Mann hört unter der Lawine relativ viel von dem was draußen los ist. Umgekehrt leider nicht. Gottseidank hatte ich mein LVS an.

Das Lawinen-Verschütteten-Ortungsgerät.

Es sieht aus wie ein Handy und kann senden und empfangen. Im Normalbetrieb sendet es, wenn man jemanden sucht, schaltet man auf empfangen. Die sind heute sehr gut und zeigen gleich die Richtung zum Verschütteten an.

Von Ihnen war aber noch ein bisschen was zu sehen.

Ja, man konnte noch einen Zipfel von einem der Ballons sehen. Die andern hatten alles beobachtet und kamen auch sofort zu mir und haben angefangen mich freizuschaufeln.

Wie lange dauerte das?

Bis ich was rascheln hörte und sicher war, dass mir jemand hilft, dauerte es etwa drei Minuten. Aber das waren die ekelhaftesten drei Minuten meines Lebens.

Mit was für Gedanken haben Sie sich dabei über Wasser gehalten?

Man hat ja so seine Schulungen mitgemacht. Aber da denkt man, Sch…e, das ist jetzt wirklich wahr. Ich stecke hier fest und kann nichts machen. Ich hatte vorher eine Familie mit Kindern gesehen. Alles hatte so friedlich gewirkt und wahrscheinlich war es immer noch friedlich, nur ich steckte hier drin. Ich war mir schon relativ sicher, dass die anderen das mitbekommen hatten. Aber wenn man nichts sieht, dauert das sehr lang. Man versucht halt irgendwie, die Atmung ruhig zu halten.
Das hat mich auch einige Zeit gekostet, das zu verarbeiten. Ich habe heute noch ein Problem damit, mit abgeschnallten Skiern auf einem Tiefschneehang zu stehen. Das ist vielleicht blauäugig, aber wenn ich die Ski anhabe, fühle ich mich sicher. Wenn ich aber nach deinem Sturz ohne Ski wieder aufstehen muss, kommt das alles wieder hoch.

Was würden Sie anderen Freeskiern raten: Wo muss man besonders aufpassen?

Prinzipiell sollte man die Lawinen-Warnstufen kennen. Dann muss man vor Ort noch mal schauen. Ich habe auch meine Lawinenschutzausrüstung immer mit dabei. Manchmal werde ich belächelt, weil ich bei Warnstufe 2 schon mein ABS und LVS mitnehme, aber das ist mir egal. Man kann noch so erfahren sein und sämtliche Hangneigungen und die Zahl der Sonnenstunden kennen, aber soviel theoretisches Wissen kann man gar nicht haben, zum zu wissen, was sicher ist. Außerdem sollte man immer einen Plan haben: Wohin fliehe ich, wenn jetzt ein Schneebrett abgeht. Und wenn man auf andere wartet, dann möglichst nicht mitten im Hang. Das sind ein paar Grundregeln, die einen Großteil des Risikos ausschließen.

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