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Femizid-Mahnmal in Frankfurt: Wenn Männer Frauen töten


Femizide in Frankfurt
Sie wurden getötet, weil sie Frauen sind

Von Roxana Frey

22.05.2022Lesedauer: 5 Min.
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Frauen demonstrieren gegen Vergewaltigung und sexuelle Gewalt auf dem Opernplatz in Frankfurt (Archivbild): Wie dringend eine bessere Sichtbarkeit benötigt wird, weiß auch der Verein "Frauen helfen Frauen".Vergrößern des Bildes
Frauen demonstrieren gegen Vergewaltigung und sexuelle Gewalt auf dem Opernplatz in Frankfurt (Archivbild): Wie dringend eine bessere Sichtbarkeit benötigt wird, weiß auch der Verein "Frauen helfen Frauen". (Quelle: Michael Schick/imago-images-bilder)

Wenn Männer Frauen töten: Um den Opfern von Femiziden mehr Sichtbarkeit zu geben, plant die Stadt Frankfurt, ein Mahnmal für ermordete Frauen zu errichten. Dass Frauen mehr Sichtbarkeit und Schutz brauchen, weiß auch der Verein "Frauen helfen Frauen".

Es ist der Abend des 10. Oktober 2019: Vor einem Supermarkt im Frankfurter Stadtteil Bornheim wird Günay Ü. mit 33 Messerstichen regelrecht abgeschlachtet. Der Täter: ihr Ex-Freund Sam M. Der 43 Jahre alte Mann ersticht seine Ex-Freundin mit einem Küchenmesser, welches sie selbst dem Täter unmittelbar zuvor in dem Markt gekauft hatte.

Der Fall sorgte für große Aufmerksamkeit, weit über die Grenzen von Frankfurt am Main hinaus. Vor allem, weil das Landgericht Frankfurt die Attacke als Totschlag und nicht als Mord wertete. Ü.s Ex-Freund habe spontan "aus Frust und Wut“ gehandelt – nach Ansicht der Kammer gab es keine niederen Beweggründe, die eine Verurteilung wegen Mordes gerechtfertigt hätten. Aus diesem Grund wurde Sam M. im Dezember 2020 zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt.

Durchschnittlich ein Femizid pro Tag in Deutschland

Dieser Tat eilt eine lange Vorgeschichte voraus: Es ist eine Geschichte von emotionaler Erpressung, Abhängigkeit und Gewalt, wie es viele Frauen weltweit erleben. Im Durchschnitt versucht täglich ein Mann in Deutschland seine (Ex-)Partnerin zu töten. Jeden dritten Tag findet ein solches Verbrechen tatsächlich statt. Auch in Deutschland setzt sich für solche Taten der Begriff "Femizide" immer mehr durch.

Der Begriff (engl. "femicide") wurde von der 2020 verstorbenen Soziologin Diana E. H. Russell geprägt. Sie definierte Femizid als "Tötung einer oder mehrerer Frauen durch einen Mann oder mehrere Männer, weil sie Frauen sind". Femizide können sich in unterschiedlichen Formen äußern, unter anderem die Tötung durch einen Intimpartner innerhalb oder nach Auflösen der Beziehung oder das Töten im Namen der "Familienehre".

Frankfurt: Femizid-Mahnmal soll Bewusstsein schaffen

Um diesen Taten mehr Sichtbarkeit zu verleihen, plant die Stadt Frankfurt ein Femizid-Mahnmal an einem öffentlichen Ort zu errichten. Initiiert von der SPD-Fraktion, soll dieses Denkmal das gesellschaftliche Bewusstsein für geschlechtsspezifische Gewalt erweitern: "Wir sprechen hier nicht von bedauerlichen Einzelfällen. Frauen werden aufgrund von patriarchalen Machtstrukturen getötet. Deshalb darf auch niemand mehr wegsehen. Mit dem Mahnmal schaffen wir Aufmerksamkeit für dieses Problem und einen Ort für die Trauer“, so Stella Schulz-Nurtsch, frauenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion.

Wird eine Frau von ihrem (Ex-)Partner getötet, ist das Motiv für die Tat meistens die Trennung oder die Absicht der Frau dazu. Auch die Krankenschwester Günay Ü. hatte versucht, die Beziehung zu Sam M. zu beenden. Der Täter begann sie zu stalken und drohte mit Suizid. Ein Teufelskreis, aus dem es schwer ist auszubrechen.

Femizide sind kein Familiendrama oder Beziehungstat

Auch Birgitt Schnitzler kennt diesen Kreislauf. Sie arbeitet in der Beratungsstelle des Frankfurter Vereins "Frauen helfen Frauen". Zu ihr kommen Frauen und deren Kinder, die von häuslicher Gewalt betroffen sind. Der Verein bietet ihnen Schutz, psychosoziale Beratung und auch die Möglichkeit zur Vermittlung an ein Frauenhaus.

Sie findet es wichtig, dass die Stadt mit dem Mahnmal ein Zeichen setzen will. Femizide werden ihrer Meinung nach zu oft als "Beziehungstat" oder "Familientragödie" bezeichnet – vor allem in den Medien. "Das sind sie definitiv nicht", so Schnitzler, da dabei impliziert werde, dass die Frau und der Mann gleichermaßen Schuld an der Tat tragen. "Es ist vielmehr ein Machtgefälle. Mich macht das wütend, wenn ich so was lese", so Schnitzler.

Auch ihre Kollegin Marianna Mohr hält nichts von diesen Bezeichnungen. Sie arbeitet im Frankfurter Frauenhaus im Kinderbereich. Dass eine Frau von ihrem Ex-Partner umgebracht wurde, hat sie im Frankfurter Frauenhaus noch nicht erlebt. Laut "One Billion Rising" wurden im letzten Jahr 104 Frauen in Deutschland von Männern getötet, weil sie Frauen sind.

Unter den Tätern sind nicht nur Ehemänner und Ex-Partner, sondern auch Söhne, Brüder oder andere männliche Verwandte. Auch sogenannte "Ehrenmorde" zählen in diese Statistik. Allerdings sind diese Zahlen mit Vorsicht zu betrachten: Viele Fälle, in denen Frauen getötet werden, weil sie eben Frauen sind, werden nicht als Femizid gewertet, weil andere Strafmerkmale dazukommen.

Ehrenmorde aus traditionellen und religiösen Gründen

Der Begriff "Femizid" wird auch kritisch bewertet: Die Ethnologin Prof. Dr. Susanne Schröter von der Goethe-Universität Frankfurt findet, dass der Begriff nicht passgenau sei, da er verschleiere, dass es sich häufig um Ehrenmorde handele.

"Ehrenmorde sind nicht einfach Morde an Frauen, sondern solche, die mit bestimmten kulturellen Traditionen von Zuwanderern und häufig auch mit islamistischen Vorstellungen in Verbindung stehen. Die Morde werden oft innerhalb der Familie geplant und die Täter werden für die Tat bewundert, weil sie die Ehre der Familie angeblich wieder hergestellt haben. Ehrenmorde treffen übrigens auch Männer, die mit der traditionellen Männerrolle brechen und beispielsweise offen homosexuell leben", so Schröter.

Die Fallzahlen zeigen: Wir brauchen besseren Schutz für Frauen. Prävention spielt hier eine wichtige Rolle: Laut Mohr ist für Frauen die Zeit nach einer Trennung am gefährlichsten: Der Ex-Partner versuche, seine Macht über die Frau zurückzugewinnen – die Frauen werden gestalkt und tyrannisiert.

"Den größeren Verlust hat die Frau"

Ein Weg, den Kreislauf aus häuslicher Gewalt zu durchbrechen, ist zunächst eine physische Trennung zu schaffen, sagt Mohr. Das stellt für die Frauen eine zusätzliche Belastung dar: Sie müssen in ein Frauenhaus in eine andere Stadt ziehen, sich einen neun Job suchen, ihren gewohnten Freundes- und Familienkreis verlassen. Das kann auch eine finanzielle Belastung bedeuten. "Den größeren Verlust hat die Frau", sagt Mohr.

Schnitzler und Mohr hoffen, dass sich mit der Istanbul-Konvention* einiges bessern könnte. Dazu bedarf es einer akuten Ansprache an Männer, in Form von Präventionsprogrammen und Beratungsstellen. "Die Verantwortung darf nicht nur bei der Frau liegen", so Schnitzler. Wenn eine Frau beispielsweise einen Antrag nach dem Gewaltschutzgesetz** stellt und berufstätig ist, müsse sie diesen selbst bezahlen. Mit 200 bis 250 Euro müsse man da rechnen: "Eine Frau muss für ihren eigenen Schutz bezahlen", sagt Schnitzler.

"Warum trennst du dich nicht einfach?"

Wichtig sei auch, wie das Umfeld der betroffenen Frau auf die Gewaltsituation reagiert. Häufige erlebe sie, dass Frauen sich nicht von ihrem Umfeld verstanden fühlen, da dieses mit Unverständnis reagiert. Die Frage "Warum trennst du dich nicht einfach?", unterschätze vollkommen, in welchen prekären Situationen sich die Frauen befinden – emotionale und teilweise auch finanziell. "Man solle keinen zusätzlichen Druck aufbauen, "so Schnitzler.

Über die Ausgestaltung des Mahnmals soll ein Kunstwettbewerb des Kulturdezernats sowie des Frauenreferats entscheiden. Des Weiteren soll eine Jury beteiligt werden, die den Siegesentwurf auswählen soll.

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"Frauen helfen Frauen" e. V. in Frankfurt unterstützt Frauen und deren Kinder, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind. Betroffene können sich telefonisch, per E-Mail oder auch anonym per Online-Beratung Hilfe suchen.

Schutzmaßnahmen für Opfer von Gewalt

*Die Istanbul-Konvention verpflichtet die Mitgliedstaaten der UN, gegen jegliche Formen von Gewalt vorzugehen, im Fokus der Konvention steht jedoch geschlechtsspezifische Gewalt. Die Staaten sind im Rahmen ganzheitlicher Gewaltschutzstrategien zu verschiedenen Maßnahmen verpflichtet. Dazu zählen auch die Bewusstseinsschaffung der Öffentlichkeit, Unterstützung sowie Schutz durch Hilfsdienste, aber auch die Ausdehnung der Maßnahmen in Asylverfahren. (UNWomen)

**Das Gewaltschutzgesetz bezweckt den Schutz einer Person vor allen Formen von Gewalt im privaten und häuslichen Umfeld. Das Gewaltschutzgesetz wurde geschaffen, damit die Person, von der eine Gewaltgefährdung ausgeht, polizeilich der Wohnung verwiesen werden kann, während das Opfer häuslicher Gewalt bleibt und nicht Zuflucht suchen muss.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Marianna Mohr und Birgitt Schnitzler
  • Anfrage an Prof. Dr. Susanne Schröter
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