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Interview mit Simone Moro - die Schlägerei am Everest


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Simone Moro und die Schlägerei am Everest: "Ich bin kein A...schloch"

trax.de, Das Interview führte Hanna Engler

30.09.2013Lesedauer: 9 Min.
Simone Moro am Nanga Parbat 2012.Vergrößern des BildesSimone Moro will eines klar stellen: Er ist nicht das "typisch italienische A...", wie der Kurzfilm "High Tension" es seiner Ansicht nach glauben lässt. (Quelle: Matteo Zanga/The North Face)
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In dem Kurzfilm "High Tension - Gewalt am Everest" wird ein Einblick in die Geschehnisse des 27. April 2013 gewährt, einem dramatischen Vorfall am höchsten Berg der Welt, der zur Anfeindung zwischen allen Beteiligten und auch Unbeteiligten innerhalb der Bergsteigerszene führte: Sherpas, westliche Alpinisten, Expeditionsanbieter, sogar der Everest selbst wurde von allen Seiten kritisiert. Grund war ein handfester Streit, bei dem die international renommierten Bergsteiger Ueli Steck und Simone Moro am Ende von einer großen Menge wütender Sherpas angegriffen wurden. Der Film geht seit vergangenem Freitag, 27. September, mit den Reel Rock-Filmen in Deutschland auf Tour. Wir haben das zum Anlass genommen, mit einem der Alpinisten zu sprechen: Simone Moro fand ziemlich deutliche Worte, was den Wahrheitsgehalt des Films angeht.

Die Schlägerei am Everest

Den Mount Everest kennt wohl wirklich jeder. Dass er mit 8848 Metern der höchste Berg der Welt ist, lernen Kinder spätestens in der Schule. Und auch heute kehrt er noch jedes Jahr zurück in die Medien, wenn zur Saison kuriose Rekorde aufgestellt werden, Bergsteiger Schlange stehen, um den höchsten Gipfel der Erde zu erklimmen wie im Mai 2012 oder Profis von ihren beeindruckenden Expeditionen erzählen. Aber solche Schlagzeilen wie sie auf die Geschehnisse am 27. April 2013 folgten, hat es um den Everest wohl noch nie gegeben.

Die Welt, zumindest die Bergsteigerszene, reagierte schockiert und betroffen von der Nachricht, dass die zwei international bekannten Profibergsteiger Simone Moro und Ueli Steck in eine Schlägerei mit Sherpas geraten sind. Schon kurz danach wurden weitere Details bekannt, nach denen rund 100 Sherpas auf die Europäer und ihren sie begleitenden Alpinfotografen Jonathan Griffith losgegangen sein sollen, so dass die Bergsteiger um ihre Leben fürchteten und flohen. Die ersten Berichte kamen stets aus der Sicht von Moro und seinem Team, die über deutlich bessere Verbindungen als die einheimischen Sherpas verfügten. Doch mit der Zeit kamen auch Sherpas zu Wort, die abweichende Erzählungen über den Konflikt widergaben. Was ist wirklich geschehen? Wie kam es zu dem Konflikt am Everest? Ueli Steck und Simone Moro sind nun in einem Kurzfilm zu sehen ("High Tension"), der einen Einblick in den Vorfall gibt und der ab dem 27. September in Deutschland im Rahmen der Reel Rock-Filmtour zu sehen ist. Wir haben mit Simone Moro über den Film und die erschreckenden Ereignisse an der Lhotse-Flanke gesprochen - und waren überrascht.

"Der Film ist nicht mein Film"

"Ich bin nicht glücklich über den Film." Das ist das erste was der italienische Bergsteiger zu mir sagt. "Überhaupt nicht glücklich." Ich bin verwirrt, denkt man doch bei all den Beschreibungen von "High Tension", dass der bei der Filmtour Reel Rock gezeigte Kurzfilm aus der Initiative von Simone Moro und seinem Seilpartner Ueli Steck hervorgegangen und wohl von diesen abgesegnet worden ist. Doch Moro erklärt in dem am Tag des Tour-Starts geführten Interview: "Der Film ist nicht mein Film, er wurde von Sender Films - einer US-amerikanischen Produktionsfirma - produziert. Ich fahre nicht zur Premiere, um den Film zu sehen oder Ruhm zu ernten, sondern nur um den Menschen die Wahrheit zu sagen." Und die stellt sich seiner Meinung nach etwas anders da als gezeigt.

"Ich komme wie ein 'typical Italian A...loch' rüber"

"Sie haben nicht gelogen", erklärt der italienische Profibergsteiger seinen Unmut, "aber sie haben zu viele Punkte der Wahrheit ausgelassen. Man hat im Leben immer die Wahl: Entweder du lügst, oder erzählst nur einen Teil der Wahrheit. Das ist ein Weg, die Wahrnehmung von etwas zu manipulieren! Ja, wir hatten mit der Produktion eine Vereinbarung, und mit 'wir' meine ich mich, Ueli Steck und Jonathan Griffin. Sie hatten ein langes Interview mit Ueli Steck, ein langes mit mir, und ein kürzeres Interview mit Jonathan Griffin, und konnten Teile von diesen im Film zusammenführen, das ist normal. Doch die Geschichte, die rauskam, ist nicht die, die ich erzählen wollte. Es wurden zu viele große Teile nicht berücksichtigt, und jetzt komme ich wie ein 'typical Italian A...loch' rüber."

Die Sichtweise wird manipuliert

Zunächst möchte er nichts dazu sagen, doch dann erklärt Moro, dass die Produzenten den Punkten, die geändert werden sollten, damit die Interpretation der Geschichte stimmt, keine Aufmerksamkeit schenkten. Diese erklären im Übrigen gegenüber trax.de, dass sie es bedauerlich fänden, dass Moro nicht glücklich ist, sie aber zum Film stehen und diesen als getreu und fair empfinden.

Ich frage den Bergsteiger nach den fehlenden Punkten: "Ich mag die Manipulation der Sichtwiese nicht. Ein Beispiel: Ich beschimpfe dich, und du willst mich töten. Das ist eine Geschichte. Aber, wenn ich dich beschimpfe, weil du versuchst, einen Freund von mir zu töten, und daraufhin versuchst du mich zu töten - dann ist der erste Teil wichtig. Der Film sagt, der Kampf hat mit meinem 'bad word' angefangen. Aber so war es nicht: Alles hat angefangen, weil Ueli Steck und ein Sherpa aneinander gerieten und die Sherpa nahe dran waren, Ueli ins Gesicht zu schlagen, so dass ich Angst hatte und nur schrie, um meinen Freund zu verteidigen. Und danach haben sie versucht, mich zu töten. Wenn man diesen Teil aber nicht kennt, ändert sich alles."

Wichtige Aspekte der Wahrheit ausgelassen?

Immer wieder lässt der Extrembergsteiger, Fallschirmspringer und Rettungshubschrauber-Pilot fallen, dass er wie ein "typisches italienisches A..." dargestellt wird ("Ok, ich bin Italiener, aber nicht alles in Italien ist Mafia. Es gibt auch viele gute Dinge in Italien"), eben weil wichtige Aspekte der Wahrheit weggelassen werden. Dabei erhebt er keinen Vorwurf gegenüber Ueli Steck, über den schon vor "High Tension" ein Film der selben Firma gedreht wurde: "Der Film versucht jeden Zweifel an Ueli Steck zu zerstreuen und auch jeden Zweifel am Verhalten der Sherpas. Aber sie sind nicht ganz so vorsichtig, mit meiner Verteidigung - es ist einfach, die Schuld bei mir abzuladen. Dabei beschwere ich mich nicht über Ueli, der wirklich mein Freund ist und nur seinen Ruf verteidigen will. Aber die Geschichte, die erzählt wird, die ist so nicht authentisch."

"Ich liebe die Sherpa"

Also ist der Film nicht objektiv, frage ich den erregten Moro: "Objektivität ist nicht das richtige Wort. Ein Exzerpt kann objektiv und wahr sein, aber am Ende erzählt es nicht die ganze Wahrheit. Was vergessen wird, ist das Missverhältnis der Reaktion der Sherpa gegenüber Ueli und mir. Das gilt nicht für alle Sherpa - ich liebe die Sherpa! Ich habe eine Schule für 386 Kinder dort gebaut, auch das erzählt keiner. Und ich habe über 50 Mal Sherpas und Einheimische gerettet (Anm. d. Red.: Simone Moro besitzt seinen eigenen Hubschrauber, mit dem er Rettungseinsätze vor allem im Himalaya fliegt), auch das erzählt keiner. Auf der anderen Seite wird darüber berichtet, dass es eine Art 'Friedensvereinbarung' zwischen Ueli, mir und den Sherpas gab. Aber der Film sagt nicht, dass ich die Person war, die 24 Stunden nach dem Kampf entschied, zum Zelt der Sherpa zu gehen, die Hand zu reichen und zu sagen 'Ok, ich vergebe dir'."

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"Ich kam, um ihnen die Hand zu schütteln"

Hier muss ich den wie am Band redenden Moro unterbrechen - wie haben denn die Sherpa reagiert, die ihn einen Tag zuvor noch umbringen wollten? Sind sie nicht sofort aggressiv geworden in dem Moment, als sie ihn auf sich zukommen sagen? "Nein, nein, sie waren total verlegen! Weil sie realisiert hatten, was sie getan haben. Sie waren nicht in der Lage, mir in die Augen zu schauen, weil sie wussten, wie hart sie mich, Ueli und Jonathan behandelt haben. Jetzt war ihre Wut verraucht und sie waren überrascht, dass ein Mann wie ich 24 Stunden später zurück kommt, um die Hand zu reichen. Ich sagte ihnen, ich könnte ihre Namen der Polizei übergeben, und ihr Leben wäre vorbei - das Gefängnis in Nepal ist ein schlimmes Gefängnis, das garantiere ich. Aber es wäre wie eine Bombe, die hochgegangen wäre, und ich wollte Ruhe und Frieden für die Zukunft am Everest.

Auch das zeigt, dass ich nicht das arrogante A...loch bin, wie es der Film vermittelt. Ich will mich nicht verteidigen, aber ich will die Wahrheit verteidigen. Und auch wenn es mir auf eine bestimmte Art und Weise leid tut für Sender Films - das ist zu viel, ich will nicht der Buhmann der ganzen Welt sein. Und ich bin nicht wie ein Schaf, das leise seinem Führer hinterher trottet."

"Everest ist Geschäft für diese Männer"

Aber wer war dann Schuld an dem Eklat, will ich wissen: "Alles ging von ein paar Sherpas aus, die - wie der Film auch zeigt - Seile fixierten. Zur gleichen Zeit kletterten wir ohne Seil hunderte Meter von der Gruppe entfernt: Wir konnten sie nicht unterbrechen, nicht stören, kein Eis abbrechen, das ihnen auf die Köpfe fallen könnte. Das Problem ist eine Frage des Stolzes: Sie sahen uns - drei Typen, keine typischen Klienten, wir waren sicher und schnell, und wir hatten die rechtliche Erlaubnis, den Everest unabhängig zu besteigen. Dazu waren wir auf dem Weg zu unserem Zelt, das wird dort schon vor der Sherpa-Gruppe aufgeschlagen hatten. Als wir den Punkt erreichten, wo sie mit dem Fixieren der Seile angefangen hatten, fingen sie an zu schreien - es machte sie verlegen ein paar Bergsteiger zu sehen, die nicht so schwach wie ihre Kunden sind und ohne sie klettern können. Also wollten sie uns loswerden - der Everest ist Geschäft für diese Männer. Ich glaube, wir haben ihr ökonomisches System gestört."

Alle Sherpa?, hake ich nach. Das verneint Simone Moro vehement, und des Öfteren betont er im Interview, dass es sich dabei nur um sehr wenige Sherpas handelte: "Die Geschichte zwischen den Sherpas und Kletterern ist eine sehr lange. In der Vergangenheit trugen Sherpa lediglich die schwere Ausrüstung der fremden Bergsteiger. Nach 20 Jahren aber waren sie nicht mehr nur noch Träger, sondern wurden auch zu Guides und einige auch zu Organisatoren solcher Expeditionen. So wurden sie und nichteinheimische Veranstalter und Bergsteiger zu Wettbewerbern - da ist also eine hohe Spannung ('High Tension') zwischen MANCHEN Sherpa und MANCHEN Führern der kommerziellen Anbieter. Es sind vor allem die Sherpa der jungen Generation, die mit einer arroganten Mentalität aufwachsen und nur das Geschäft im Kopf haben."

"Man weiß schon, wer richtig und wer hier falsch lag"

Trotz dieser harten Einschätzung, bringt Simone Moro viel Verständnis auf: "Ich verstehe ja, dass die Sherpa und Nepal ihre Position so stark verteidigen, und ich stimme dem ja zu: Nepal und Sherpa sind so nicht (95 Prozent der Sherpa wollten uns nicht töten). Doch in diesem speziellen Fall... Es ist doch nur eine Entschuldigung, wenn sie sagen, ich hätte ein böses Wort gesagt, sie wollen damit rechtfertigen, was sie getan haben. Aber niemand hat abgestritten, dass sie mit der Absicht kamen, uns zu töten. Dieser Teil der Geschichte ist abgeschlossen - man weiß schon, wer richtig und wer hier falsch lag.

Aber das Missverhältnis ist so offensichtlich - selbst wenn man nicht alle Details kennt, und egal, ob man meiner Version oder der der Sherpas Gehör schenkt: Wenn dich jemand anschreit oder beleidigt, gehst du weg oder schreist zurück. Aber du kommst nicht mit hundert Leuten und versuchst, mich umzubringen. Das ist verrückt! Der Film hätte ein Instrument sein können, um die Wahrheit authentisch darzustellen. Doch er ist es nicht: Es kommt niemand drittes zu Wort, es wird nur erzählt, dass ich die Sherpa beleidigt habe. Dass es aufgrund der Tatsache geschah, dass Ueli Steck bedroht wurde, wird nicht erwähnt."

Und trotz der Lebensbedrohung betont der 45-jährige Italiener: "Ich liebe Nepal und ich liebe auch die Sherpa noch immer. Nach dem Eklat habe ich viele, viele Emails von Sherpas erhalten, die den Vorfall sehr bedauerten und sich über den 'dummen' Sherpa beklagten, der Lügen verbreitet hatte und so viele andere Sherpa dazu brachte, sich an dem Aufruhr gegen uns zu beteiligen. Zum Beispiel stimmt es nicht, dass wir Eis auf die Sherpa warfen, die das Seil fixierten, wie viele andere Dinge auch nicht. Als sie das erfuhren, schrieben sie mir: 'We were sorry Simon, we believed our colleague.' "

"Es kann wieder passieren"

Ich frage den Extrembergsteiger, ob er glaubt, dass so eine Eskalation noch mal vorkommen könnte: "Es kann wieder passieren. Manche Menschen fühlen sich als 'König des Everest' - das muss vom Everest verschwinden. Auch Reinhold Messner, der zu der Zeit des Kampfes im Basecamp war, hat das in mehreren Artikeln gesagt, dass es einige Menschen gibt, die sich als Könige des Everests aufführen, die keinen anderen um sich herum haben wollen. Das sind einige der kommerziellen Expeditionen, nicht alle, manche, und einige der Sherpas, nicht alle, manche. Und das sind die Menschen, die den Everest zum Geschäft machen. Das ist also nicht nur meine Sichtweise - du kannst Reinhold Messner lieben oder hassen, aber wenn er etwas zum Thema Everest sagt, gibt es nichts daran zu beanstanden..."

Simone Moro muss los: In ein paar Stunden will er in Stuttgart sein, um den Zuschauern der Deutschland-Premiere seine Sicht der Dinge zu erzählen; die Punkte zu verdeutlichen, die seiner Meinung nach ausgelassen wurden und ihn in einem Licht erscheinen lassen, das dem Italiener nicht gefällt. Darüber kann sich jeder selbst sein Urteil bilden, die Reel Rock-Tour ist noch bis zum 28. Oktober 2013 in Deutschland unterwegs.

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