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BVB-Coach Tuchel nimmt Borussia Dortmund für sich ein


Die ersten vier Wochen
Tüftler Tuchel nimmt Dortmund für sich ein

Von t-online
28.07.2015Lesedauer: 5 Min.
Thomas Tuchels Einstand bei Borussia Dortmund ist bisher sehr vielversprechend verlaufen.Vergrößern des BildesThomas Tuchels Einstand bei Borussia Dortmund ist bisher sehr vielversprechend verlaufen. (Quelle: DeFodi/imago-images-bilder)
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Von Patrick Brandenburg

Plötzlich war selbst dem Perfektionisten ein Detail durchgegangen. Thomas Tuchel stand in der Mixed Zone der AFG-Arena von St. Gallen und misstraute dem Journalisten, der ein Zwischenfazit seines ersten Monats in Schwarz-Gelb erbat. "Vier Wochen sollen schon vorbei sein?", fragte der Trainer von Borussia Dortmund bei der improvisierten PK nach dem Sieg über Juventus Turin, und fügte mit einem Augenzwinkern an: "Das muss ich aber erst mal nachprüfen."

Genau so lange wirkt der neue Coach aber nun beim BVB und zurzeit sieht alles danach aus, als habe er beim Neustart einiges richtig gemacht. Fleiß, Offenheit, Bescheidenheit, Mut und Beharrlichkeit wünscht sich der 41-Jährige von seinem Team, und bislang bringt er genau diese Merkmale auch selbst mit.

Fleiß

Trainingslager Bad Ragaz, "Ri-Au"-Sportplatz: Tuchel ist wie immer eine halbe Stunde vor seiner Mannschaft da und bereitet die Einheiten vor. Pedantisch malt er ein Quadrat auf den Rasen, mit Slalomstangen fixiert er eine elastische Leine. Hier zwei Zentimeter nach links, dort drei Zentimeter nach rechts, bis das kleine Übungsfeld perfekt liegt, in das er zwölf Spieler für eine wilde Balljagd steckt.

Es soll die Summe der kleinen Dinge sein, die beim Start des BVB in eine neue Zukunft zählen. Jedes Detail ist wichtig, um den verlorenen Boden der vergangenen Seuchensaison wieder gut zu machen. Mit welchem Fuß der Ball gespielt wird, wie ein Spieler den Körper öffnet. Jede Einheit wird per Video kontrolliert, Brustgurte liefern unablässig Daten, ob im Training oder in den Tests. Tuchel fordert viel von seinen Spielern, etwa in knackigen Einheiten Eins-gegen-Eins, die nur 25 Sekunden dauern, aber hoch intensiv sind. Selbst die Ernährung der Spieler liegt nun in den Händen der Trainer.

Offenheit

Swissporarena des FC Luzern: Vor dem Stadion wartet der Mannschaftsbus des BVB auf die Abfahrt. Das Team wäre bereit. Aber der Tross muss auf Tuchel warten, der am Zaun mit glänzenden Augen Trikots verziert, die Fans in der Dunkelheit über das Gitter werfen. Das Licht im Bus bleibt zunächst hell und so kann jeder sehen, wie sich BVB-Chef Watzke und Sportdirektor Zorc auf den vorderen Plätzen freuen, dass die Chemie zwischen Fans und Trainer zu stimmen scheint.

Als Tuchels Verpflichtung bekannt wurde, gab es auch Zweifel. Youtube-Videos aus Mainzer Zeiten, mit einem schimpfenden Tuchel im Training oder einem patzigen Tuchel vor Journalisten machten schnell die Runde und schufen eine gewisse Grundskepsis. Die ist bislang unangebracht. Tuchel wirkt alles andere als sperrig. Beim ersten Test gegen den Landesligisten VfL Rhede setzte er den Ton, er kam fast zu spät zum Anstoß, weil er zu lange Autogramme schrieb. Später überraschte er mit der Nachricht, dass er mit seiner Familie in die Dortmunder City gezogen ist und mit seinen Kindern auf dem Spielplatz schon Bekanntschaften geschlossen hat.

Auch auf den Klub ist er neugierig zugegangen, hat sich vorab auf der Geschäftsstelle den anderen Mitarbeitern vorgestellt. Dem Kader begegnete er ohne Vorurteile. Eine Übergabe von seinem Vorgänger Klopp wünscht er sich, aber erst später. Erst einmal will sich der Coach ein eigenes Bild machen. Im Training scherzt er mit allen Spielern, korrigiert oder lobt gleichmäßig, ob Startelfkandidat oder Herausforderer. "Keiner wusste, wie er arbeiten würde, aber er macht alles mit einem Lächeln, das macht es viel einfacher", gab Neuzugang Gonzalo Castro preis.

Bescheidenheit

Im Bauch der AFG-Arena St. Gallen: Thomas Tuchel nimmt sich für jeden Zeit. Auf dem Flur begegnet er Sami Khedira, mit dem Weltmeister tauscht er sich lange aus. Dann tritt er vor die TV-Kameras und erklärt auch für die neu dazugekommenen Fernsehteams den Stand der Vorbereitung. Sein Vorgänger Klopp wäre nun abgerauscht, doch Tuchel widmet sich in einer Extrarunde noch der schreibenden Presse, um das Spiel gegen Juventus Turin zu erörtern.

"Castro oder nix" – einen solchen Spruch hat es von Tuchel nicht gegeben. Anders als sein Kollege Guardiola beim FC Bayern hat Dortmunds Coach auf einen Wunschzettel verzichtet. Stattdessen lobte er den "klug zusammengestellten Kader" und fing wechselwillige Stars wie Mats Hummels oder Ilkay Gündogan durch intensive Gespräche ein. Die unvermeidlichen Vergleiche mit Vorgänger Klopp lässt er über sich ergehen. Die Promotour nach Asien nahm Tuchel klaglos als Teil der zerstückelten Vorbereitung hin. Er hat klare Vorstellungen. Und doch wirkt er sehr offen für Ratschläge. Tuchel saugt alles auf, um die schwarz-gelbe Welt zu verstehen. Vor allem mit Sportdirektor Zorc tauscht er sich ständig aus. Zur Not wird noch zwanzig Minuten nach Trainingsende im Mittelkreis diskutiert.

Mut

AFG-Arena, St. Gallen: Die Generalprobe des BVB vor dem Pflichtspielauftakt in der Europa League. Tuchel steht einer der besten Kader der Bundesliga zur Verfügung. Allein im Mittelfeld balgen sich 14 Spieler um fünf Plätze. Nationalspieler sind dabei, Routiniers. Im Prestigeduell mit dem Champions-League-Finalisten Juventus stellt Tuchel aber lieber den 19-Jährigen Julian Weigl gegen Paul Pogba und Co.. Mit Erfolg. Der Youngster macht seine Sache gegen Italiens Meister mehr als gut.

Ein ängstlicher Mensch ist Tuchel bestimmt nicht. Dass lässt sich schon daran erkennen, dass er nicht vor der Aufgabe zurückschreckt, das schwere Erbe der Ära Klopp anzutreten. "Das ist das, was mir besonders imponiert", lobte BVB-Chef Watzke kürzlich. Mut wird der Neue auch brauchen, um den Umschaltfußball mit mehr Ballbesitz zu versöhnen. Tuchel hat sich dem dominanten Spiel verschrieben, er will das frühere Westfalenstadion wieder zur Festung machen. Das große Ziel heißt: Rückkehr in die Champions League.

Beharrlichkeit

"Ri-Au"-Sportplatz, das letzte öffentliche Training in Bad Ragaz. "Es ist noch nicht vorbei", flachst Tuchel in Richtung Watzke und Zorc, die unter der Plexiglas-Haube der Trainerbank gespannt die komplette Einheit verfolgen. Nach dem Aufwärmen und lockeren Übungselementen schickt der Coach die Spieler in Drei-gegen-Zwei-Konstellationen in eine Tempogegenstoß-Übung, die mental ebenso anstrengend ist wie körperlich. "Nein. Mehr verzögern." "Ihr müsst die Abwehr zu Entscheidungen zwingen." Tuchel lässt nicht locker. Immer wieder unterbricht er die Übung, bis die Einheit sitzt.

Beim Neustart von Borussia Dortmund kann nicht alles von heute auf morgen klappen. "Wir sind noch nicht da, wo wir hinwollen", bilanzierte Tuchel jüngst. "Das wird uns die ganze Hinrunde noch begleiten." Aus einer Vielzahl von möglichen Kombinationen wird sich erst allmählich ein Tuchel-Team herausschälen. Und das wiederum braucht Zeit, ein System, eine Grundordnung zu finden, in dem sich jeder wohlfühlt. Erst danach wollen Trainer und Team den nächsten Schritt wagen, und im System und bei der Taktik flexibler werden.

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Diese umfangreichen Ziele nicht aus dem Auge zu verlieren, darf man dem Mann zutrauen, der in Mainz zum Hohepriester des Matchplans wurde. Schließlich ist er sich auch als Coach des deutlich ambitionierteren BVB nicht zu schade, Grundlagenarbeit zu leisten und zur Not öffentlich die Taktiktafel zu zücken.

Zwischenbilanz

Vier Wochen beim BVB liegen hinter Tuchel, Risiken bleiben genug: In der Detailarbeit liegt für den Fußball-Nerd die Gefahr, als quengeliger Besserwisser zu wirken. Tuchel wird schlau genug sein zu wissen, dass er nicht überdrehen darf und seinen Perfektionismus am besten mit guter Laune paart und mit Übungen, die jeder versteht. Noch kann er Sympathien gleichmäßig verteilen, die Probleme kommen spätestens, wenn die ersten Bankdrücker Frust schieben. Die erste Nagelprobe steht direkt an, nun da Kevin Großkreutz, Oliver Kirch und Moritz Leitner nicht einmal für die Europa League gemeldet sind. Ein klares Zeichen an das Trio, welchen Stellenwert es noch bei den Schwarz-Gelben besitzt.

Was die gute Vorbereitung wert sein wird, wird sich zudem erst zeigen, wenn der BVB ein Pflichtspiel verliert. Aber zunächst hat Tuchel immerhin ein Klima geschaffen, das Erfolg ermöglicht. "Es lässt sich gut an", wie BVB-Sportdirektor Zorc beinahe verniedlichend konstatiert. Der Neustart ist bislang überraschend reibungslos verlaufen. Es liegt nicht zuletzt an Tuchel, dass ganz Dortmund schon wieder Riesenlust auf die neue Saison hat.

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