Philipp Boy ballte immer wieder die Siegerfaust, Elisabeth Seitz strahlte mit ihren Fans um die Wette: Nur vier Stunden, nachdem der 23-jährige Boy in die Fußstapfen von Fabian Hambüchen getreten war, gewann Seitz am Tag der Sternstunden eine historische Medaille für das deutsche Turn-Team. Mit 56,70 Punkten erkämpfte die 17-Jährige das erste Edelmetall für eine Athletin des Deutschen Turner-Bundes (DTB) in der 54-jährigen Geschichte der Titelkämpfe. Die letzte Mehrkampf-Medaille einer Deutschen überhaupt war der Silbergewinn der für die ehemalige DDR startenden Berlinerin Maxi Gnauck 1985 in Helsinki.
Zuvor hatte Boy die Nachfolge von Hambüchen angetreten, der vor zwei Jahren in Mailand den bislang einzigen deutschen Mehrkampf-Titel in der EM-Geschichte erobert hatte und wegen Verletzung in Berlin als Co-Kommentator dabei ist. Dabei steigerte sich Boy mit einer großartigen Aufholjagd in eine Top-Form und zog mit 88,875 Punkten in einer irren Wimpernschlag-Entscheidung erst an den beiden letzten Geräten an allen Mitfavoriten vorbei.
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Völlig verrückter Wettkampf
"Ein Traum ist wahr geworden. Ich habe noch nie so einen spannenden und krassen Wettkampf erlebt. Wahnsinn", sagte Philipp Boy euphorisch. "Ich habe so viele Fehler gemacht, aber ich habe mich durchgekämpft und bin für meinen Kampf mit dem Titel belohnt worden", sagte der Sportsoldat. "Das war eine Achterbahnfahrt mit allen Höhen und Tiefen", stöhnte sein Heimtrainer Karsten Oelsch. DTB-Präsident Rainer Brechtken jubilierte: "Das war der verrückteste Wettkampf meines Lebens. Ich freue mich für Philipp." Silber ging mit 0,05 Punkten Rückstand an den Rumänen Flavius Koczi (88,825) vor den beiden punktgleichen Dritten Daniel Purvis (Großbritannien) und Mykola Kuksenkow (Ukraine/beide 88,350). Marcel Nguyen verpasste als Sechster das Siegerpodest (87,550), nachdem er 20 Stunden zuvor noch Zweiter der Qualifikation gewesen war.
Für Boy hatte der Wettkampf mit einer Ernüchterung begonnen. Am Pauschenpferd fehlte ihm die Kraft, um den Abgang ordentlich vorzubereiten. Das wurde hart bestraft. Konsequenz: Nur Platz 20. Danach setzte Boy zu einer phänomenalen Aufholjagd an und schob sich mit einer starken Ringe-Übung (14,625) auf Platz 12. Nach einem Super-Sprung (15,95) war er Siebter. Am Barren musste er einmal aufsitzen (14,20), damit galt am Reck schon das Alles oder Nichts: Doch so sauber wie am Vortag brachte er seine auf Sicherheit geturnte Übung nicht durch und hatte vor dem abschließenden Boden noch 0,6 Punkte Rückstand auf den Rumänen Koczi. Dank großer Nervenstärke gelang es Boy, diesen Rückstand aufzuholen (15,15) und den Rumänen noch zu übertrumpfen.
Die Boden-Übung als Krönung
Elli Seitz war gehandicapt in den Wettkampf gegangen, weil sie sich erst am Morgen beim Balken-Training den kleinen Finger der linken Hand ausgekugelt hatte, der umgehend eingerenkt werden musste. Unbeeindruckt davon glänzte sie vor allem mit einer Traumübung am Stufenbarren, die mit 14,725 noch drei Zehntel höher bewertet wurde als tags zuvor im Vorkampf. Die deutsche Meisterin unterstrich damit auch ihre Medaillen-Ambitionen an diesem Gerät am Samstag. Auch am Sprung und am Balken - wenn auch mit kleinen Wacklern - turnte sie durch. Krönung war ihre Boden-Übung, die von rhythmischem Klatschen des Publikums begleitet wurde. Der Titel ging an die Russin Anna Dementjewa mit 57,475 Punkten.