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Bundesliga-Abstieg: Wiederholt sich das Finale von 1999?


Wiederholt sich die Geschichte?
Abstiegsfinale 1999: "Ich will das nicht mehr sehen"

Von t-online
22.05.2015Lesedauer: 5 Min.
Jan-Aage Fjörtoft macht sich unsterblich: Sein Treffer zum 5:1 bedeutete den Klassenerhalt für Eintracht Frankfurt.Vergrößern des BildesJan-Aage Fjörtoft macht sich unsterblich: Sein Treffer zum 5:1 bedeutete den Klassenerhalt für Eintracht Frankfurt. (Quelle: WEREK/imago-images-bilder)
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Die Bundesliga erlebt den wohl spannendsten Abstiegskampf ihrer Geschichte. Am 33. Spieltag gab es in der Live-Tabelle fast minütlich neue Konstellationen - ähnliches ist für den 34. und letzten Spieltag zu erwarten. Mit Hertha BSC, dem SC Freiburg, Hannover 96, dem VfB Stuttgart, dem Hamburger SV und dem SC Paderborn müssen noch sechs Teams bangen.

Im Jahr 1999 gab es schon einmal eine ähnliche Konstellation - mit dem Unterschied, dass damals nur fünf Mannschaften involviert waren. Das tat der Spannung damals aber keinen Abbruch - im Gegenteil. t-online.de-Redakteur Mark Weidenfeller erinnert sich.

Das verrücktesten Abstiegsfinale aller Zeiten

Am 29. Mai 1999 empfängt Eintracht Frankfurt am 34. Spieltag der Bundesliga den 1. FC Kaiserslautern zum Abstiegsendspiel. Fünf Mannschaften, von denen die Eintracht die schlechteste und der 1. FC Nürnberg die beste Ausgangsposition haben, kämpfen gegen den Absturz in die 2. Liga. Klar ist: Frankfurt braucht einen Sieg und muss gleichzeitig auf Ausrutscher der Konkurrenz hoffen. Um 15:30 Uhr pfeift Schiedsrichter Jürgen Jansen bei höllisch heißem Sommerwetter die Partie im Glutofen des Frankfurter Waldstadions an, ich stehe als 13-Jähriger im K-Block hinter dem Tor. Vorhang auf zum verrücktesten Abstiegsfinale aller Zeiten.

Das große Zittern

Mein Puls erreichte bereits vor Anpfiff Tour-de-France-Dimensionen. Nach nur einem Jahr Bundesliga sah es tatsächlich so aus, als müsste die SGE schon wieder den bitteren Gang in die Zweitklassigkeit antreten. Nachdem eine Woche zuvor der Abstieg mit einem 3:2-Sieg nach 0:2-Rückstand auf Schalke noch abgewendet werden konnte, fand ich mich erneut im Dilemma zwischen Hoffen und Bangen wieder. Ich hoffte auf Tore der Eintracht, auf Treffer von Bochum gegen Rostock, auf einen Bremer Sieg in Stuttgart. Ich hoffte auf ein Wunder - und bangte um die sportliche Zukunft meiner Eintracht.

Die Ausgangslage war ebenso eindeutig wie kompliziert. Die Eintracht stand mit 34 Punkten und dem mit Abstand schlechtesten Torverhältnis auf Platz 16. Ein Platz und ein Punkt besser war Hansa Rostock, das bei den bereits abgestiegenen Bochumern antrat. Auf Rang 14 rangierte der SC Freiburg, der beim Zwölftplatzierten Club aus Nürnberg mit einem Sieg den Klassenerhalt klarmachen konnte. 13. war der VfB Stuttgart. Borussia Mönchengladbach und der VfL Bochum standen bereits als Absteiger fest.

12. 1. FC Nürnberg 33 39:48 -9 37
13. VfB Stuttgart 33 40:48 -8 36
14. SC Freiburg 33 34:43 -9 36
15. Hansa Rostock 33 46:56 -10 35
16. Eintracht Frankfurt 33 39:53 -14 34

Kühne Mathematiker hatten vor dem entscheidenden Spieltag ausgerechnet, dass Frankfurt bei einem Sieg mit mindestens fünf Toren Unterschied die Klasse auf jeden Fall halten würde. Warum genau, habe ich damals nicht verstanden. Es war auch egal. Ein 5:0-Sieg gegen Champions-League-Anwärter Kaiserslautern erschien in etwa so wahrscheinlich wie ein Fallrückziehertor von Uwe Bindewald. Wir mussten also irgendwie gewinnen und dann auf die anderen Plätze gucken.

Eine Achterbahnfahrt der Gefühle

Das Spiel selbst begann dann eher mäßig. Die ersten 45 Minuten bildeten das langweilige Vorspiel für ein fußballerische Feuerwerk, wie ich es bis dahin nie gesehen hatte und auch seitdem nicht mehr gesehen habe. Der Chinese Chen Yang, der zwar extrem schnell laufen, aber extrem schlecht Fußball spielen kann, erzielte eine Minute nach der Halbzeit die 1:0-Führung für Eintracht Frankfurt. Das Stadion tobte, der Optimismus war spürbar, der Klassenerhalt plötzlich zum Greifen nahe.

Doch die Ernüchterung folgte auf dem Fuß. In der 68. verwandelte FCK-Kapitän Michael Schjönberg einen Elfmeter zum 1:1. War es das schon? Sollte das tatsächlich schon alles gewesen sein? Der Traum vom Klassenerhalt ausgeträumt? Die klare Antwort: nein! Denn nur zwei Minuten später traf Thomas Sobotzik per Kopf zur erneuten Führung für die Eintracht. Im Stadion herrschte Ausnahmezustand. Denn ab diesem Zeitpunkt überschlugen sich die Ereignisse.

17:05 Uhr: Ich presste das extra mitgebrachte Transistorradio fest an mein Ohr. Freiburg führte in Nürnberg mit 2:0. Plötzlich unterbrach ein lauter Torschrei aus Bochum den grantelnden Radio-Reporter Günther Koch. Peter Peschel brachte den VfL gegen Rostock mit 2:1 in Führung. Die frohe Botschaft machte in Rekordzeit die Runde durch das Stadion, auf lauten Jubel folgten "VfL, VfL"-Sprechchöre. Zu diesem Zeitpunkt war die SGE gerettet. Das Wunder nahm Formen an. Ich bekam Gänsehaut.

17:08 Uhr: Wieder Tor in Bochum. Victor Agali machte den Ausgleich. Noch war Rostock auf einem Abstiegsplatz, dem Team von Andreas Zachhuber fehlte aber nur ein Treffer, um wieder an der SGE vorbeizuziehen. Und was passierte eigentlich auf dem grünen Rasen im Waldstadion? Dort war auf einmal Marco Gebhardt im Spiel. Der Linksaußen, der eine unterirdische Saison gespielt hatte, nahm einen langen Ball mit der Hacke an, lupfte ihn über seinen Gegenspieler und haute das Ding in den Winkel. 3:1 für Frankfurt. Ich rastete aus.

17:11 Uhr: So etwas hatte ich noch nie erlebt. Die 58.245 Zuschauer machten einen Lärm wie zehn startende Düsenjäger. Es ist unfassbar, ein Angriff nach dem anderen rollte auf den FCK-Kasten. Dieses Mal flankte Yang (das ist der, der eigentlich nur laufen kann) das Leder millimetergenau auf Bernd Schneider. Dieser nahm den Ball volley mit der Innenseite - 4:1 für Eintracht Frankfurt. Ich umarmte fremde Menschen.

17:12 Uhr: Das Radio blökte schon wieder: Tor in Bochum. Ich hielt die Luft an, bitte kein Tor für Rostock. "Majaaaak, der eingewechselte Majaaaaak" krächzt eine sich überschlagende Stimme. 3:2 für Hansa, Rostock zog an uns vorbei. Das durfte nicht wahr sein, dachte ich, in diesem Moment war Nürnberg abgestiegen. Aber alles hing an einem Tor. Ich hatte längst Kopfschmerzen von den vielen Was-wäre-wenn-Gedanken.

17:13 Uhr: "Tooooooor in Nürnberg", meldete sich Günther Koch zu Wort. Der Club hatte tatsächlich das 1:2 gemacht. "Ich will das nicht mehr sehen, ich halte das nicht mehr aus", legte der Reporter nach. Ich will das auch nicht mehr sehen, dachte ich, denn im Moment war die SGE trotz eines unglaublichen 4:1 gegen Kaiserslautern abgestiegen. Wir brauchten ein Tor. Wissen das die Spieler, fragte ich mich? Ich sah den verletzten Thomas Epp wie ein HB-Männchen mit den Armen fuchtelnd in Richtung Spielfeld rennen. Jetzt wissen die Spieler, dass sie nach 89 umkämpften Minuten bei 35 Grad noch ein Tor nachlegen müssen, hoffte ich. Die Uhr tickte. Ich war mir sicher: Wenn ich nicht erst 13 wäre, würde ich jetzt ein Bier trinken - auf Ex!

17:15 Uhr: Der eingewechselte Ansgar Brinkmann grätschte den Ball in Richtung Christoph Westerthaler. Der Österreicher gewann zum gefühlt ersten Mal in seinem Leben einen Zweikampf und zog in Richtung Tor. Dort spitzelte er den Ball im letzten Moment zu Jan-Aage Fjortoft. Der Norweger, der unglaublich langsam war, aber dafür unglaublich gut kicken konnte, drang in den Sechszehner ein, ging auf Torwart Andreas Reincke zu, machte einen Übersteiger und schob das Leder tatsächlich in die Maschen. 5:1! Das Stadion war ein Tollhaus. Ich konnte nicht mehr.

Kurz später war das Spiel vorbei, in den anderen Stadien passierte auch nichts mehr. Dass Nürnbergs Frank Baumann das Kunststück vollbrachte, den Ball aus drei Metern nicht im leeren Tor unterzubringen, bekam niemand mit. Es war auch egal. Wir stürmten den Platz, im Hintergrund lief Status Quo, auf den Rängen tanzte der halbnackte Jan-Aage Fjortoft mit Oberbürgermeisterin Petra Roth einen Walzer. Eintracht Frankfurt blieb in der Bundesliga.

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