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Kolumne "Held der Woche": Würdigung an Meister Wampe


Kolumne "Held der Woche"
Würdigung an Meister Wampe

Meinungt-online, Anja Rützel

Aktualisiert am 17.09.2017Lesedauer: 3 Min.
Nur in Boxershorts und Badelatschen im Waschsalon – ein Grund für Anja Rützel, diesen Mann zum "Held der Woche" zu küren.Vergrößern des BildesNur in Boxershorts und Badelatschen im Waschsalon – ein Grund für Anja Rützel, diesen Mann zum "Held der Woche" zu küren. (Quelle: t-online.de / Instagram / Anja Rützel)
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Was hinter dem Fastnacktmann und seiner Plauzigkeit wirklich steckt, erklärt Anja Rützel.

Meister Wampe saß auf der Waschmaschine und telefonierte mit einer leergetrunkenen Limoflasche. Er war der einzige Mensch im Waschsalon, aber er wäre mir auch sofort aufgefallen, wenn tout Friedrichshain in dieser Stunde beschlossen hätte, in exakt diesem Reinigungsetablissment den Grind der letzten Tage aus seinen Buxen zu spülen. Was vor allem daran lag, dass der Mann auf der Waschmaschine bis auf eine Boxershort und ein Paar Gummischlappen nackt war. Und ein bisschen daran, dass er mit leichtem Overacting und putzigem französischen Schmierenkomödienakzent vorgab, dass man mit einer leeren Plastikflasche ganz ausgezeichneten Handyempfang haben könnte, wenn man sie nur im richtigen Winkel hielt.

Mir kamen sein Aufzug und Gebaren leicht schrullig vor, aber einerseits war das hier immer noch Berlin, und ein Freund behauptete immer noch extrem halsstarrig, er sei neulich zusammen mit einem leibhaftigen, Ringelshirt tragenden Minischwein zusammen in der M10 gefahren, und zweitens war ich ja seit Jahrzehnten raus aus dem Waschsalon-Biz, was wusste ich also von den aktuellen Gepflogenheiten. Ich war ja überhaupt nur hier, weil meine Waschmaschine vor vier Wochen den Geist aufgegeben und ich es dank meiner professionellen Verschleppungstechniken noch nicht hinbekommen hatte, eine neue zu kaufen. Inzwischen waren meine Bestände an noch sauberer Notkleidung soweit ausgedünnt, dass ich mit den übrigen Wunderlichkeitsfetzen nur noch auf einem Gauklerfestival oder in einem Avodacofrühstückslokal mit extrem hoher Hipsterdichte unbegafft davonkommen würde.

Also fuhr ich nach etwa 25 Jahren zum ersten Mal wieder in einen Waschsalon, und da saß also der Quasi-Nackte. Ich füllte meine Wäsche in eine freie Maschine und überlegte, was das sollte. Ich kam zu drei gleichwahrscheinlichen Thesen.

  • Vielleicht war der Mann einfach gerne nackt.
  • Vielleicht war das Ganze eine Kunstperformance gegen normative Idealkörper – immerhin besaß der Mann einen beträchtlichen Schmerbauch, bleichkrötige Haut und leicht reptilienhaft angeschuppte Schienbeine.
  • Vielleicht war sein Vorrat an Notkleidung einfach etwas kleiner als meiner.

Womöglich allerdings, und das fiel mir erst ein, nachdem ich den Plautzofanten sicher 10 Minuten unverhohlen angestarrt hatte, war es ihm einfach nur egal, wie er wirkte. Womöglich schiss er sich einfach nix, wie der unerbittlich feinsinnige Österreicher sagen würde, was die anderen über ihn denken könnten. Wahrscheinlich war das die allerwahrscheinlichste These, und diese mutmaßliche Haltung nötigte mir sofort großen Respekt ab. Auch wenn ich leicht genervt war, dass er inzwischen angefangen hatte, in immer kürzer werdenden Intervallen zu bellen.

Der Fastnacktmann streckte seine offensive Plauzigkeit in eine Welt, in der so viel wie nie gespachtelt, verblurrt und scharadiert wird, ganz wörtlich wie auch metaphorisch gesehen, um die nach außen getragene Version unseres Selbst zu frisieren, als sei es ein fügsamer Königspudel oder eine noch fügsamere Buchsbaumhecke. Und zwar nicht nur von den Wahlplakaten grienenden Politikmenschen, die ja quasi berufsmäßig zu solchen Schleifarbeiten verpflichtet sind, sondern ganz selbstverständlich auch der ganz normale Filterfex. Natürlich hatte auch ich eine Schicht Clarendon drübergelegt, bevor ich mein semi-unauffälliges Handyfoto des Plauzibärs bei Instagram postete. Wie dämlich, wirklich.

Ich hatte mich tatsächlich schon ein bisschen für meine blaue Ikeatasche geschämt, in die ich zuhause meine Schmutzwäsche gepackt hatte, weil mir das raschelnde Ramschding eigentlich nur für den Transport hinfälliger Foxterrier akzeptabel erschien. Und im Salon stopfte ich die schmuddelige Kleidung so hastig und in der gebückten Haltung eines peinlich berührten Waschbärs in die Maschine, als würde so niemand mitbekommen, dass der ungefilterte Mensch tatsächlich einen sudelfreudigen Körper besitzt, der eben regelmäßig Dreckwäsche produziert.

Als meine Wäsche fertig war, packte Meister Wampe, inzwischen Operetten trällernd, seine Fuhre in einen der Trockner. Sie bestand aus einer Hose und einem Hemd sowie zwei schrumpeligen Socken. Seine haarige Körpermitte strahlte weiß wie der Vollmond, der hinter ein paar Schlierenwolken hervorschien. Die Botschaft des Waschsalonhelden war klar: In Zukunft einfach mal mehr aufs Bauchgefühl hören.

Die Autorin Anja Rützel kürt in ihrer Kolumne den "Held der Woche" und erklärt, warum er mit seinem Verhalten für ein gesellschaftliches Phänomen steht.

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